Neue Westfälische - Paderborner Kreiszeitung
Beats, Bronx, Bling Bling
Er prägt mittlerweile die westliche Welt wie kaum eine andere Kultur: Hip-hop beeinflusst Sprache, Mode, Lebensziele und Ideale vieler junger Menschen, auch in Deutschland. Nun bringt die Schirn in Frankfurt am Main Gegenwartskunst und Hip-hop-kultur zusa
Frankfurt. Hip-hop war schon immer mehr als nur Musik, Rhythmus, Beats. Angefangen hatte alles als kleines Konzertgeschäft einer klammen Jugendlichen. Die 16-jährige Cindy Campbell feierte im August 1973 Geburtstag, besaß aber kein Geld. Um ein bisschen dazu zu verdienen, organisierte sie eine Party, auf der ihr Bruder Clive – später sollte er sich den Namen Kool DJ Herc geben – Schallplatten in der von ihm erfundenen Breakbeat-technik auflegte.
Hip-hop begann zu leben, die Menschen in der Bronx hatten ihre Musik gefunden, um ihr Lebensgefühl auszudrücken, sichtbar zu werden, zu feiern. „Go, shorty, it’s your birthday / We gon’ party like it’s your birthday“, singt 50 Cent. 1982 wurde Rap mit Grandmaster Flash und ihrem Hit „The Message“politisch – und ist es bis heute. Seitdem entwickelte sich Hip-hop mit den vier Säulen Rap, Breakdance, Graffiti und Djing zu einer weit aufgefächerten Kultur, nein, er wurde zu DER Kultur unserer Zeit. Und so passt der Titel einer Ausstellung in der Frankfurter Schirn, die den Hip-hop in der Kunst der Gegenwart spiegelt. In „The Culture“ist zu sehen, was Hip-hop eben vieles sein kann, neben Sound.
Zentral bei diesem „Mehr als Musik“ist die Sprache, oder weiter gefasst, Kommunikation, Codes, Symbole. „Der wirkliche Zustand des Menschen ist der, wo alles Zeichen ist.“Robert Musils Satz aus seinem „Mann ohne Eigenschaften“ist wohl nirgends so zu Hause wie in der Hip-hop-kultur. Zum einen spielen die Lyrics in Rapsongs eine besonders zentrale Rolle. Künstler wie die Sugarhill Gang, The Notorious B.I.G, 2pac, Jay-z, Kanye West, Snoop Dogg und Rapperinnen wie Missy Elliott, Lil’ Kim, Lauryn Hill und Queen Latifah haben in den vergangenen fünf Jahrzehnten in ihren Songs ganz eigene Ausdrucksformen erfunden.
Das, was zunächst nur Ausdruck einer Subkultur in den marginalisierten Bezirken Usamerikanischer Städte war, prägt spätestens seit den Neunzigern mit Begriffen wie „battlen“, „Beef“, „Hood“oder „Word!“ganz selbstverständlich den Wortschatz junger Generationen. Auch in Europa.
Außerhalb der Songs wird ebenfalls kommuniziert: Graffiti sprechen Bände an Wänden, Mode transportiert Gruppenzugehörigkeit und hilft abzu
grenzen, Tattoos verwandeln Arme, Beine, Rücken in Leinwände. Überhaupt ist der menschliche Körper, das zeigt besonders die Hip-hop-kultur, veränderlich, formbar, flexibel und wird so zur Spielmasse des Individuums.
In der Ausstellung wird dies an vielen Stellen sichtbar. So zeigt das Video „Extensions“der Künstlerin Yvonne Osei die kulturelle Technik des Haaresflechtens in ihrem Heimatland Ghana. Jene Flechtfrisuren machte unter anderem Queen Latifah zu einem wichtigen Stilmerkmal in der Rapperszene. Auf Perücken unterschiedlicher Länge, Farbe und Verzierung setzt hingegen Rapperin Lil’ Kim. Ihre Haarstylistin Dionne Alexander druckte Anfang der 2000er Jahre sogar die bekanntesten Markenlogos jener Zeit auf die falschen Haare.
Die bis heute wirksame Vereinigung von Hip-hop, Konsum und Marken ist in diesem Teil der Ausstellung sehr gut nachzuvollziehen.
Aber nicht nur eine wirklich schöne Retrosporttasche, die der vor zweieinhalb Jahren gestorbene, begnadete Modedesigner Virgil Abloh für Louis Vuitton entworfen hat, beweist, welche Rolle Luxus, Mode und Markendesign heute im Hiphop spielen. Jordan Casteel malte 2018 eine sitzende Person mit Fendi-tasche, jenem traditionellen italienischen Lable, in dem über Jahrzehnte Karl Lagerfeld die Mode prägte. Und auf Kudzanai Chiurais inszeniertem Foto „The Minister of Enterprise“von 2009 posiert ein junger Mann mit teurer Sonnenbrille, dicker Zigarre und im Bademantel. Er ist Unternehmensminister, was
auch sonst? Geschäft, Geld, Luxus, Bling Bling strahlen so heute auch auf die Wünsche und Lebensentwürfe junger Menschen aus. Diejenigen, die es noch nicht haben, streben danach, diejenigen, die es haben, zeigen es gern. „I get money“heißt ein Rapsong von 50 Cent. Er ist nur einer von vielen.
Selbst politische Botschaften werden heute mit Glitzer und Glanz transportiert. Ein Mund mit strahlenden Grillz, die das
Wort „Black Power“bilden“, grinst dem Betrachter in einem Bild von Hank Willis Thomas aus dem Jahr 2006 entgegen.
Die Schirn in Frankfurt stellt vor bunten Wänden Exponate aus, unterteilt in die Themenbereiche Pose, Marke, Schmuck, Tribut, Aufstieg und Sprache. Immer wieder wird der reiche Austausch des Hiphop mit Traditionen, Dingen, Moden offenbar. Das postmoderne Spiel der Dekonstruktion, des Zeichenhaften, des „Anything goes“und des Mischen von Codes hat hier seine reinste Ausdrucksform gefunden. „Hip-hop didn’t invent anything. Hip-hop reinvented everything“– das Zitat von Grandmaster Caz passt noch immer. Hip-hop hat nichts erfunden, aber alles neu erfunden.
Herausragt ein Video von
Kahlil Joseph, der in seiner Arbeit „m.a.a.d.“(2014) auf zwei Riesenleinwänden ein filmisches Porträt von Compton, der kalifornischen Heimatstadt des ersten mit dem Pulitzer-preis ausgezeichneten Hip-hop-künstlers Kendrick Lamar präsentiert. Zu sehen sind zudem zwei Werke von Jean-michel Basquiat, jenem Künstler, der wie sonst nur Keith Haring die Kultur der Straße mit der Kultur des Museums vereinte. Damit steht er letztlich genau für das gelungene Ziel dieser Ausstellung.
Die Ausstellung „The Culture“ist noch bis zum 26. Mai in der Frankfurter Schirn zu sehen. Der englischsprachige Katalog „The Culture. Hip Hop and Contemporary Art in the 21st Century“umfasst 308 Seiten und kostet 45 Euro.
„Hip-hop didn’t invent anything. Hip-hop reinvented everything.“Grandmaster Caz, Rapper, DJ, MC