Neue Westfälische - Paderborner Kreiszeitung
Und sie hatten doch noch Spaß
Man mag die von Peter Jackson restaurierte Kinodoku „Let It Be“heute lieber als 1970 – dass man den Film damals als deprimierend empfand, hat wohl einen anderen Grund
Hannover. Wenn man sie so im Studio sitzen sieht, ernsthaft oder blödelnd, in die Musik vertieft, die sie zu erschaffen im Begriff sind, die Zeilen späterer Pop- und Rockklassiker noch durch Nonsensgesang „dumm-di-dumm“ersetzend, wünscht man sich, es wäre wie in der Sci-fi-serie „For All Mankind“(seit 2019), wo John, Paul, George und Ringo wieder zusammenkamen, weiterhin als Beatles firmierten und die Populärmusik der Welt auch über die 60er-jahre hinaus anführten.
Der Film „Let It Be“(1969/70) von Michael Lindsay-hogg, der jetzt von dem
Team um den Regiekollegen Peter Jackson in kristallklarem Bild und Sound restauriert wurde, frisst sich jedenfalls im Nu in den menschlichen Nostalgienukleus.
Vorgeschaltet ist dem Film bei Disney+ ein Gespräch zwischen Hogg und Jackson („Der Herr der Ringe“), der das gesamte Material von Hoggs „Let It Be“2021 für seine dreiteilige Beatles-doku „Get Back“verwendet hatte, einem 470-minütigen Dreiteiler, der superb zum Ausdruck brachte, was Anfang 1969 in den Londoner Twickenham Studios geschah.
Es ist kein warmherziges Gespräch zwischen den Kollegen. Hoggs Augen scheinen zu fauchen und mit zitroniger
Stimme erzählt er vom geplanten Konzert der Beatles vor 2000 Leuten im römischen Sabratha-amphitheater in Libyen, aus dem dann – wegen George Harrisons kurzzeitigem Ausstieg aus der Band – „nur“das Rooftop-konzert auf dem Gebäude der Beatles-plattenfirma Apple wurde. Hogg weiß, so wirkt es, dass Jacksons Film der bessere ist, und das gefällt ihm nicht. Und auch Jackson scheint sich unwohl zu fühlen in der Rolle des Gönners, der das knapp 90-minütige Original jetzt bei Disney+ untergebracht hat. Er sieht aus wie jemand, der ein schlechtes Gewissen hat. Die Beatles empfanden Hoggs Doku selbst als kühl, und die Fans sahen „Let It
Be“1970 als traurigen Beweis für das Deprimiteinander ihrer Lieblingsband.
Dabei scheinen die Beatles doch Spaß gehabt zu haben. Wenn Paul und Ringo vierhändig Boogie-woogie am Klavier spielen und Paul in einem spontan erfundenen Text davon singt, gar nicht gewusst zu haben, dass „Rich“(Ringo heißt bürgerlich Richard Starkey) auch Piano kann. Oder wenn John mit Yoko zu Georges „I Me Mine“Walzer tanzt. Das Konzert auf dem Dach rockt dann richtig. Und unten auf der Londoner Savile Row stockt der Verkehr, alle schauen hoch, und ein piekfeiner älterer Bowler-hat-engländer erzählt ins Mikrofon der Filmemacher, dass die Beatles immer noch der State of the Art seien. Warum hatte man den Film nur so negativ gesehen?
Das lag wohl eher daran, dass man damals schon tieftraurig ins Kino ging. Denn einen Monat vor dem Filmstart hatte Paul tatsächlich das Ende der Band verkündet. Im Mai 1970, als „Let It Be“(Platte und Film) herauskamen, war der Kummer über den Popweltuntergang noch frisch.
Wer mal eine richtig kaputte Band erleben will, der schaue sich die Doku „Some Kind of Monster“(2004) über die Aufnahmen zum Metallica-album „St. Anger“(2003) an. Und die machen immer noch zusammen Musik.