Neue Westfälische - Paderborner Kreiszeitung

Staatsfein­de vor Gericht

In Frankfurt hat der Prozess gegen die Köpfe der Verschwöre­rgruppe um Heinrich Prinz Reuß begonnen – Bundesanwa­ltschaft wirft den Angeklagte­n vor, Mitglieder in einer terroristi­schen Vereinigun­g gewesen zu sein

- Thorsten Fuchs

Frankfurt. Kein Tweedsakko mehr, keine Cordhose. Nicht wie auf Fotos von seiner Festnahme, als ihn Spezialkrä­fte der Polizei im Dezember 2022 aus seiner Villa im Frankfurte­r Westend führen, in Handschell­en. Als Heinrich XIII. Prinz Reuß an diesem Vormittag den Saal des Oberlandes­gerichts Frankfurt am Main betritt, trägt er einen dunkelblau­en Pullover, darunter ein weißes Hemd, darüber blaues Sakko. Die grauen Haare kürzer, keine Welle mehr im Nacken, die Figur schmaler. Offen, neugierig blickt er in den Saal. Ein freundlich scheinende­r älterer Herr, der – so sieht es die Anklage – davon träumte, die Regierung zu stürzen, aus Deutschlan­d ein anderes Land zu machen – und sich selbst an die Spitze zu setzen.

Reuß, ehemaliger Immobilien­unternehme­r und Adelsspros­s, ist der Hauptangek­lagte in diesem Prozess um eine Verschwöru­ng gegen die Bundesrepu­blik. Mit ihm stehen hier in Frankfurt acht weitere Männer und Frauen vor Gericht, die Führungsri­ege der Bande, eine illustre bis skurrile Runde. Da ist zum Beispiel die frühere Afdbundest­agsabgeord­nete Birgit Malsack-winkemann, selbst ehemalige Richterin. Peter Wörner, ehemaliger Soldat des Kommandos Spezialkrä­fte, von aufrechter Statur, mit grauem Bart, im grünen Lodensakko. Maximilian Eder, früher Stabschef des KSK, jetzt eine schmale, ausgezehrt­e Gestalt mit schulterla­ngem grauen Haar, eine druidenhaf­te Erscheinun­g, die zuletzt in München vor Gericht stand, wegen Trunkenhei­t am Steuer. Oder Rüdiger von Pescatore, ehemaliger Bundeswehr­offizier, neben Reuß Rädelsführ­er.

Was die Gruppe eint, zu der mit Michael Fritsch aus Niedersach­sen auch ein ehemaliger Polizist gehört, sind „Reichsbürg­er“und Qanon-ideologie, also der Glaube an einen „deep state“, eine geheime „Allianz“ausvertret­ernderfrüh­erenalliie­rten, die die Geschicke in Deutschlan­d in Wahrheit bestimmten. Diese „geheimen Mächte“wiederum würden in unterirdis­chenverlie­senkinder quälen und aus deren Blut einen Verjüngung­strank brauen – auch das gehörte zum Glaubensin­ventar der Verschwöre­r. So abseitig das alles klingt und so wenig wohl die Demokratie in Deutschlan­d wirklich in Gefahr wahr, so ernst meinte es die Gruppe offenbar: Bei der Razzia Ende 2022 fanden die Ermittler auch Hunderte Waffen und große Mengen an Munition. Vor Gericht stehen sie nun unter anderem wegen der Bildung einer terroristi­schen Vereinigun­g und

der „Bildung eines hochverrät­erischen Unternehme­ns“.

Entspreche­nd groß ist der Aufwand, den die Justiz betreibt. Verhandelt wird in einer eigenserri­chtetenlei­chtbauhall­e in einem Industrieg­ebiet im

Stadtteil Sossenheim. Geladen sind mehr als 270 Zeugen, die Anklage umfasst mehr als 600 Seiten. Der Prozess ist bislang bis Januar kommenden Jahres terminiert, doch Beteiligte rechnen damit, dass sich die

Dauer letztlich eher in Jahren als in Monaten bemessen wird.

Der Auftakt in Frankfurt zeigt aber auch, vor welch großen Schwierigk­eiten die Justiz steht. Die insgesamt 26 Anwälte der Angeklagte­n stören sich

massiv an der Aufteilung auf drei Orte, eine ordentlich­e Verteidigu­ng sei so kaum möglich. Auch die Richter müssten eigentlich genau wissen, wer was wo exakt ausgesagt habe, argumentie­ren sie. Das „Grundprinz­ip

der stillen Post“, bei dem Angaben vielleicht ungenau protokolli­ert und dann weitergege­ben würden, gefährde das Verfahren. Tatsächlic­h ist es auch denkbar, dass Richter die Reuß-gruppe zum Beispiel in Stuttgart als terroristi­sche Vereinigun­g einstufen – und in Frankfurt nicht. Weil das Verfahren, der größte Verschwöru­ngsprozess der Bundesrepu­blik, zudem von „historisch­er Bedeutung“sei, dringen die Anwälte auch darauf, den Prozess aufzuzeich­nen.

Doch der Vorsitzend­e Richter Jürgen Bonk macht auch deutlich, dass er gewillt ist, Anwälten und Angeklagte­n auch Grenzen zu setzen. Anträge stellt er zurück, den auf Aufzeichnu­ng lehnt das Gericht ab. Es dauert dennoch bis zum Nachmittag, ehe Bundesanwa­lt Kai Lohse die Anklage verlesen kann. Darin geht es auch um die Listen von Amtsträger­n und Politikern, die die Angeklagte­n entmachten wollten. „Es war ihnen bewusst“, heißt es in der Anklage, „dass dies auch die Tötung von Menschen beinhaltet.“Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetz­t.

 ?? Foto: Boris Roessler/getty ?? Mutmaßlich­er Anführer einer terroristi­schen Vereinigun­g: Heinrich XIII. Prinz Reuß (Mitte) mit seinen Verteidige­rn.
Foto: Boris Roessler/getty Mutmaßlich­er Anführer einer terroristi­schen Vereinigun­g: Heinrich XIII. Prinz Reuß (Mitte) mit seinen Verteidige­rn.

Newspapers in German

Newspapers from Germany