Neue Westfälische - Paderborner Kreiszeitung
Auswärtiges Amt kritisiert Antrag auf Haftbefehl gegen Netanjahu
Eine Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs für die Forderung des Chefanklägers wäre für die Bundesregierung ein Dilemma
Berlin. Eine Weile hatte das Auswärtige Amt gebraucht, um sich zu berappeln. Am Montagabend gegen halb neun verschickte das Ministerium dann ein Statement zur jüngsten Ankündigung des Chefanklägers des Internationalen Strafgerichtshofs (ISTGH), Karim Khan. Mehrere Stunden zuvor hatte Khan mitgeteilt, er habe Haftbefehle sowohl gegen mehrere Hamas-führer als auch gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und seinen Verteidigungsminister Joav Galant beantragt.
Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes betonte die Unterstützung der Bundesregierung für den Gerichtshof als „elementare Errungenschaft der Weltgemeinschaft“, bemängelte aber die Gleichzeitigkeit der Anträge. Dadurch sei der „unzutreffende Eindruck einer Gleichsetzung entstanden“. Dabei habe die Hamas am 7. Oktober 2023 ein Massaker begangen, halte weiterhin israelische Geiseln gefangen und missbrauche die eigene Bevölkerung als Schutzschilde. Israel dagegen übe sein Recht auf Selbstverteidigung und Schutz der eigenen Bevölkerung aus. Die deutliche Kritik der Bundesregierung am Vorgehen Israels in Gaza – am Ausmaß der Angriffe wie an der mangelnden humanitären Versorgung – wird durch den vorsichtigeren Satz abgedeckt, das humanitäre Völkerrecht gelte auch für Israel.
Das Gericht, das die Haftbefehlsanträge nun prüft, werde „eine Reihe schwieriger Fragen zu beantworten haben, einschließlich gerade auch der Frage seiner Zuständigkeit und der Komplementarität von Ermittlungen betroffener Rechtsstaaten“, heißt es in dem schriftlichen Statement.
Die „Komplementarität“ist in Artikel 17 des Römischen Statuts festgehalten, der Grundlage des ISTGH. Demnach sollte sich der Gerichtshof nur um Strafverfolgungen kümmern, die ein betroffener Staat nicht selbst durchführen kann oder will. Außenpolitiker in Berlin gehen davon aus, dass man israelischen Gerichten diese Bereitschaft und Fähigkeit nicht absprechen könne. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth (SPD), kritisiert vor allem die Gleichzeitigkeit der Anklagen: „Der Täter-opfer-umkehr wird damit weiter Vorschub geleistet“, sagte Roth dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Vizeunionsfraktionschef Johann Wadephul (CDU) kritisierte, durch die Gleichzeitigkeit gefährde der ISTGH seine Autorität.
Folgen die Richter des ISTGH dem Chefankläger, stünde die Bundesregierung vor einem Dilemma. Sie müsste den Anordnungen des Gerichtshofs folgen – Israels Regierungschef Netanjahu müsste auf Staatsbesuche in Deutschland, wie auch in anderen europäischen Staaten, verzichten, um nicht verhaftet zu werden.