Neue Westfälische - Tageblatt für Schloß Holte-Stukenbrock
Als Intensivschwester dem Tod ständig ganz nahe
Bianca Michler, Krankenschwester und vierfache Mutter, begleitet seit über 30 Jahren Menschen und ihre Angehörigen beim Sterben. Worauf es da ankommt – und was das für ihr eigenes Leben bedeutet.
Was Schreckliches passieren kann, hat Bianca Michler als Intensivkrankenschwester oft gesehen, trotzdem dürfen ihre vier Kinder Motorrad fahren. „Passieren kann immer was, und überall“, sagt die 53-Jährige. Seit über 30 Jahren ist sie dem Tod ganz nahe – zumindest beruflich. Fürs Palliativnetz begleitet sie Sterbende und ihre Familien. Dabei beschäftige man sich automatisch auch mit dem, was im eigenen Leben zählt.
Dazu gehöre, das zu tun, was einem am Herzen liegt – im Beruf und auch privat. „Ich habe gemerkt, ich kann das“, sagt die gelernte Krankenschwester mit vielerlei Zusatzqualifikationen über ihre Arbeit in der Klinik und in den Familien. Schon als 11-Jährige habe sie ihre Großeltern versorgt, „Oma und Opa geduscht und offene Beine verbunden“. Sie habe als Kind viel Zeit bei den beiden verbracht, da sei das für sie damals „irgendwie einfach normal“gewesen.
Am Ende besser gewappnet sein: Was kommt auf einen zu?
Siemachedasrichtiggut,habe der Hausarzt seinerzeit gelobt. Und er habe ihr gezeigt, wie man Spritzen gibt. Nach dem Abitur am Ehrenberggymnasium in Sennestadt wollte Michler eigentlich Medizin studieren. „Ich bekam einen Studienplatz im Osten, habe ihn aber abgesagt, weil das so weit weg war von Oma und Opa.“Also Pflege in Bielefeld, eine Ausbildung zur Krankenschwester im Franziskushospital. Noch in der Probezeit habe sie nach Feierabend ihre Oma in Gilead beim Sterben begleitet.
„Ich habe immer ihre Hand gehalten“, sagt Michler, die seit 1993 am Evangelischen Klinikum
Bethel (EVKB) arbeitet, heute in der Familialen Pflege. Was kann man tun, wenn sich die Atmung plötzlich verändert, der geliebte Mensch beängstigende Rasselgeräusche von sich gibt, sich beim Trinken nur noch verschluckt? Was kommt da jetzt auf einen zu? Das habe sie damals natürlich auch alles noch nicht gewusst. „Die Hilflosigkeit und Unsicherheit ist da bei vielen ganz groß“, sagt Michler.
Am Ende besser gewappnet zu sein, darum geht es in den „Letzte-hilfe-kursen“, die Michler seit fünf Jahren anbietet und die stets lange im Voraus ausgebucht seien. Der Bedarf sei groß. „Es ist eine emotionale Ausnahmesituation, mit der ganz viele überfordert sind“, sagt Michler. Wissen, was man machen kann, helfe da ganz viel. Mit den Kursen soll Angehörigen Mut gemacht werden, es sich zuzutrauen, seine Lieben am Ende zu begleiten – gut vorbereitet. Der Weg und das Ziel seien ganz klar und eine Einbahnstraße. „Das Wie aber bestimmen wir.“Der Sterbende geht, „aber die Angehörigen tragen das ein Leben lang mit sich herum“, sagt Michler.
Der liebe Gott habe sie vergessen, habe ihre über 100 Jahre alte Großtante oft zu ihr gesagt. Ob sie da nicht etwas tun könne, damit’s ein Ende nehme. Sie kenne sich da doch aus. „Aber das ist natürlich nicht unsere Aufgabe“, sagt Michler. Den Tod ständig vor Augen zu haben, wirke sich auch auf ihr Leben aus, sagt die vierfache Mutter. Statt sich aufzuregen über Fünfen und Sechsen, habe sie sich eher darüber gefreut, „dass meine Kinder so krawallig sein können“. Da gebe es in vielen Familien ganz andere Herausforderungen. „Es dauert lange, bis man mich wirklich verärgert“, ergänzt Michler. Aber wer sie menschlich enttäuscht – vor allem in Bezug auf Verlässlichkeit und Empathie – den könne sie auch streichen. „Was wirklich zählt, dafür nehme ich mir auch Zeit“, ergänzt sie. Zu sehen, was man Gutes hat und sich seine Lebensträume zu verwirklichen, vermittelt sie auch ihren Kindern. Statt Motorradverbot auszusprechen, kümmert sie sich um bestmögliche Schutzkleidung und finanziere gerne Herzensprojekte mit.
Mit ihrem Mann hat sie die Hawaii-inseln bereist. Erinnerungen an solche Zeiten seien unbezahlbar. „Ich hätte aber niemals all meine Ausbildungen und Beruflichkeiten verwirklichen können, wenn ich nicht meinen Mann an meiner Seite gehabt hätte“, ergänzt Michler, die auch Kurse im Umgang mit Demenz gibt und Familien zu Hause in Sachen Pflege berät. Mit welchen Herausforderungen pflegende Angehörige zu kämpfen haben, „vor allem mit dem ganzen Papierkram, wenn man die Leistungen der Pflegekasse nutzen möchte“, weiß sie aus eigener Erfahrung.
Ihre Mutter hat Pflegestufe vier, „alles, was ich mache, ist immer daran gekoppelt, ob Mama gut versorgt ist in meiner Abwesenheit“, ergänzt die Fachfrau.
„Es gibt immer Menschen, die dich lieb haben, es wird weitergehen“: Mit ihren Kindern haben sie und ihr Mann immer offen über das Thema Tod und Sterben gesprochen, im Testament festgehalten, wer im schlimmsten Fall als Ersatz da ist. In der Ruhe liegt die Kraft, unter Stress wird man nicht besser: Das gibt sie nicht nur pflegenden Angehörigen, sondern auch ihren Kindern mit auf den Weg. Und Menschen, die sich unsicher sind, was sie für trauernde Angehörige tun können? „Einen Brief schreiben, den man dann lesen kann, wenn man Raum und Zeit dafür hat“, sagt Bianca Michler. Und Hilfe anbieten.