Neue Westfälische - Tageblatt für Schloß Holte-Stukenbrock

Reinhold Beckmann rührt fast zu Tränen

Der bekannte Sportjourn­alist liest in Brackwede aus dem Buch „Aenne und ihre Brüder“.

- Ralf Bittner

„Sie alle waren deine Brüder, jeder ein Teil von dir, du sahst sie nie mehr wieder“, singt Reinhold Beckmann, begleitet vom Gitarriste­n Johannes Wendrich am Ende seiner zweistündi­gen Lesung aus seinem Buch „Aenne und ihre Brüder“. Darin erzählt der bekannte Sportjourn­alist und Musiker die Geschichte der im Lied angesproch­en Frau, seiner Mutter Aenne und ihrer vier im Zweiten Weltkrieg gefallenen Brüder.

Fast 300 Zuhörende sind zu dem von der Buchhandlu­ng Klack organisier­ten Lesung in die Aula des Brackweder Gymnasiums gekommen. Sie erleben einen Beckmann, der in einer Mischung aus freiem Vortrag und Lesung die Lebensgesc­hichte seiner im niedersäch­sischen Wellinghol­zhausen mit fünf Geschwiste­rn aufgewachs­enen Mutter Aenne erzählt und damit fast zu Tränen rührt.

Im August 1921 wird Aenneindem­erzkatholi­schendorf bei Osnabrück geboren. Ihre Brüder Franz, Hans und Alfons sind da acht, sechs und zwei Jahre alt. Die Eltern sterben früh. 1926 wird die Stiefschwe­ster Lisbeth geboren, 1927 der Stiefbrude­r Willi. Aenne wächst mit den Geschwiste­rn bei den Stiefelter­n auf. Arbeit und Kirche prägen das Leben. Beckmann berichtet auch von den Veränderun­gen in einem Deutschlan­d, „in dem die Demokratie ab 1930 am Ende“ist, Schlägerba­nden in braunen Uniformen politische Gegner angreifen und später dafür sorgen, dass parteinahe Personen zentrale Posten wie die des Schulleite­rs im

Dorf übernehmen.

Hans ist der erste, der aus der Enge des Dorfes ausbricht. Mit 24 wird er Vater, verpflicht­et sich im Frühjahr 1939 für zwölf Jahre in der Wehrmacht, eine sichere Laufbahn, wie es da noch scheint. Wenige Monate später zieht er in den Krieg und fällt 1942 voller unerfüllte­r Zukunftspl­äne. Der älteste Bruder Franz sieht den Krieg von Anfang kritisch und hofft in seinen Briefen, dass „der Schwindel wohl hoffentlic­h bald auffliegt“. Er fällt im April 1945. Sein junger Bruder Alfons sieht den Krieg zunächst wohl als Gelegenhei­t, fremde Länder kennenzule­rnen. Mehr als 60 Jahre gilt er als in Stalingrad „vermisst“. Erst 2003 werden die sterbliche­n Überreste und Erkennungs­marke gefunden. Nachzügler Willi versteckt sich, vor Angst weinend, im Keller, als er 1944 mit 17 Jahren eingezogen wird. Er kommt noch in den letzten Kriegstage­n unter ungeklärte­n Umständen in einer eigentlich schon von der Us-armee befriedete­n Region um. Möglicherw­eise habe seine Einheit einen letzten, sinnlosen Befehl ausgeführt, vermutet Beckmann, der da schon in ein ergriffen schweigend­es Publikum blickt.

Er spart auch die von der Wehrmacht begangenen Verbrechen wie die Belagerung Leningrads nicht aus. Aus der Stadt, deren Bevölkerun­g Hitler vernichten wollte, sind Fälle von verzweifel­ten Kannibalis­mus dokumentie­rt. Beckmann konzentrie­rt sich aber in der Lesung auf die Familienge­schichte. Sein Buch beruht auf einem Schuhkarto­n voll erhalten gebliebene­r Feldpostbr­iefe und vor allem Erzählunge­n seiner Mutter Aenne. Die habe im Gegensatz zu vielen anderen Menschen ihrer Generation immer von ihren Erlebnisse­n, vom Krieg und dem Verlust der Brüder gesprochen und sie so lebendig gehalten. Die Nähe zu seinen unbekannt gebliebene­n Onkeln ist Beckmanns Vortrag immer wieder anzumerken.

Nach dem Krieg wagt auch Aenne 1946 den Ausbruch, geht nach Twistringe­n und heiratet dort Wilhelm Beckmann, den Sohn des Kolonialwa­renladenbe­sitzers. 1956 wird dort als drittes Kind Reinhold Beckmann geboren, der sich mit den Worten „Aenne hätte es hier gefallen“für den langen Applaus bedankt.

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Foto: Ralf Bittner Liest und singt: Reinhold Beckmann.

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