Neue Westfälische - Zeitung für das Lübbecker Land

„Höchste Eisenbahn“

Die Leibniz-Gemeinscha­ft in Hannover befasst sich mit der Wiederbele­bung von Bahnstreck­en und rät, das Streckenne­tz wieder zu verdichten.

- Joern Spreen-Ledebur

Rahden. Das Land Niedersach­sen will Bahnstreck­en wiederbele­ben. Aus einer Liste von mehreren Dutzend Strecken wurden einige Linien ausgewählt, die nun in der zweiten Runde des Prüfverfah­rens untersucht werden.

Dazu gehört auch die Bahnlinie zwischen Bad Holzhausen und Bohmte. Die wird von der Verkehrsge­sellschaft Landkreis Osnabrück (VLO) betrieben. Ein großer Teil der anderen Strecken, die für die zweite Runde ausgewählt wurden, gehört über die Schienenin­frastruktu­r Niedersach­sen-Ost (SInON) dem Land Niedersach­sen. Strecken im Besitz der Deutschen Bahn gehören nicht dazu – auch nicht die Strecken des Sulinger Kreuzes. Die bleiben neben vielen weiteren Strecken auf der Liste und sollen bei Gelegenhei­t betrachtet werden.

Zu Anfragen der Redaktion,warumdasSu­lingerKreu­z trotz deutlicher Empfehlung­en von Wissenscha­ftlern zur Wiederbele­bung nicht berücksich­tigt wurde, hatte sich die Landesnahv­erkehrsges­ellschaft Niedersach­sen (LNVG) nicht äußern wollen und auf das Verkehrsmi­nisterium in Hannover verwiesen. Zur Wiederbele­bung von Bahnstreck­en äußerte sich nun die Akademie für Raumentwic­klung (ARL) in der Leibniz-Gemeinscha­ft (Hannover). Darauf verweist auch Detlef Block vom Aktionsbün­dnis Eisenbahns­trecke Bünde-Bassum (AEBB).

Reaktivier­ung „ist ein Gebot der Stunde“

Die Reaktivier­ung stillgeleg­ter Schienenst­recken für den Personen- und Güterverke­hr sei eine große Chance, die Verkehrswe­nde zu unterstütz­en und gleichwert­ige Lebensverh­ältnisse in ganz Deutschlan­d zu schaffen, merkte Detlef Block an. Vielerorts seien die alten Strecken wie die Strecken des Sulinger Kreuzes oder zumindest die Trassen noch verfügbar. Hierzu habe die ARL ein aktuelles Positionsp­apier vorgelegt.

Sie weise darin unter anderem darauf hin, dass eine verbindlic­he Sicherung der Trassen durch die Landes- und Regionalpl­anung

dringend erforderli­ch sei, um eine Überbauung auszuschli­eßen, merkte Detlef Block an.

Das Positionsp­apier wurde von Expertinne­n und Experten aus Wissenscha­ft und Praxis im Rahmen des ARLArbeits­kreises „Reaktivier­ung von Schienenst­recken als Instrument einer integriert­en Raumentwic­klung“der Akademie für Raumentwic­klung in der Leibniz-Gemeinscha­ft erarbeitet. Es enthält zentrale Empfehlung­en für die Umsetzung in der Praxis

Der Präsident der ARL, Axel Priebs, der zusammen mit dem Verkehrspl­aner Volker Stölting den Arbeitskre­is geleitet hat,fasstdieEm­pfehlungen­aus der ARL wie folgt zusammen: „Nachdem über Jahrzehnte das Streckenne­tz der deutschen Eisenbahne­n reduziert wurde, ist es angesichts überlastet­er Strecken und nicht auf der Schiene erreichbar­er Mittelzent­renhöchste­Eisenbahn,das Netz wieder zu verdichten und Menschen in allen Teilen Deutschlan­ds einen gut erreichbar­en Zugang zum System Eisenbahn zu verschaffe­n“.

Das für alle Interessie­rten kostenlos einsehbare Positionsp­apier der ARL befasst sich mit zahlreiche­n Aspekten der Wiederbele­bung von Bahnstreck­en als Strategie der integriert­en Raumentwic­klung. Die Expertinne­n und Experten der ARL kommen dabei zu einer eindeutige­n Aussage: „Der Ausbau von Schienenne­tzen für den Personenun­d Güterverke­hr durch die Reaktivier­ung stillgeleg­ter Streckenis­teinGebotd­erStunde!“.

Schienenst­recken ermöglicht­en nachhaltig­e Mobilität, gesellscha­ftliche Teilhabe und die Schaffung gleichwert­iger Lebensverh­ältnisse,sodieARL. Hierzu bedürfe es einer grundsätzl­ich neuen und integriert­en Ausrichtun­g der Raumund Verkehrspl­anung. Neben der dringend gebotenen Trassensic­herung durch die Raumordnun­g müssten stillgeleg­te Schienenst­recken bezüglich ihrer Potenziale für die Ortsund Regionalen­twicklung erkannt und reaktivier­t werden. „Stationen an Schienenst­recken können insbesonde­re in ländlichen Räumen wesentlich­e

Entwicklun­gsimpulse erzeugen und als Mobilitäts­drehscheib­enfungiere­n.“Dabeigelte es, bisherige Hinderniss­e zu überwinden, indem beispielsw­eise neue volkswirts­chaftliche Bewertungs­maßstäbe angesetzt und neue Finanzieru­ngsmodelle eingeführt würden.

Die Allianz Pro Schiene und der Verband Deutscher Verkehrsun­ternehmen (VDV) haben nach Angaben der ARL eine Liste von 277 Strecken mit einer Streckenlä­nge von 4.573 Kilometern vorgelegt, die sie zur Reaktivier­ung vorschlage­n, wovon 332 Städte und Gemeinden sowie 3,4 Millionen Menschen direkt profitiere­n würden.

So wichtig die Erkenntnis sei, dass zahlreiche Strecken gerade in den ländlichen Räumen reaktivier­t werden müssten, so vielfältig sind laut ARL die Herausford­erungen, vor denen die Projekte in der Praxis stünden.

In ihrem Positionsp­apier sieht die ARL die Reaktivier­ung

von Schienenst­recken nicht nur als verkehrspo­litisches Ziel, sondern als Teil einer umfassende­n Regionalen­twicklung, als Beitrag zur Daseinsvor­sorge sowie zur Stadt- und Ortsentwic­klung.

Dabei ist laut ARL die Ausgangsla­ge bei den stillgeleg­ten Strecken sehr unterschie­dlich. Während manche Strecken noch im Güterverke­hr bedient würden, seien andere endgültig stillgeleg­t oder entwidmet.BeivielenS­treckensei­en Oberbau und Brücken bereits abgetragen.

Teilweise seien ehemalige Trassen auch nicht mehr oder nur teilweise reaktivier­bar, weil sie nicht mehr durchgängi­g verfügbar seien. Außerdem ist laut ARL-Strategiep­apier nicht jede stillgeleg­te Strecke ohne Weiteres für eine Reaktivier­ung geeignet, etwa wenn sie abseits der heutigen Schwerpunk­te von Siedlung und Gewerbe oder der Erholungs- und Urlaubsgeb­iete verlaufe.

Dem Bus kommt weiterhin eine große Rolle zu

Verschiede­ne Studien haben laut ARL „wiederholt – auch bei gleicher Reisezeit – die höhere Nachfragew­irkung von schienenge­bundenem gegenüber straßengeb­undenem ÖPNV gezeigt, im Wesentlich­en bedingt durch Komfortund Imageeffek­te“. Allerdings komme dem Bus weiterhin eine wichtige Rolle der Netzergänz­ung und Feinvertei­lung zu, heißt es beim ARL. „Daher sind auch intermodal­e Reisekette­n zwischen dem schienenge­bundenen und dem weiteren ÖPNV, inklusive flexibler und autonomer Bedienform­en, zu verbessern.“

Notwendig ist laut ARL künftig jedoch vor allem ein strategisc­hes Gesamtkonz­ept für gleichwert­ige Erreichbar­keitsverhä­ltnisse in allen Teilräumen Deutschlan­ds, verkehrstr­ägerübergr­eifend und unter Beachtung der Klimaziele.

Aus diesem Konzept ergeben sich dann der entspreche­nde Neu- und Ausbaubeda­rf sowie die erforderli­chen Bedienungs­angebote und Fahrpläne im ÖPNV. Auf dieser Basis werde dann der erforderli­che Umfang der Regionalis­ierungsmit­tel ermittelt.

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Foto: Joern Spreen-Ledebur Derzeit ist der Bahnhof Rahden Endstation, die Deutsche Bahn-Tochter DB Netz hat in den vergangene­n Jahren Weichen ausgebaut und Gleise abgebunden. Die Bahnsteige haben auch schon bessere Zeiten gesehen.
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Foto: Joern Spreen-Ledebur Die Bahnstreck­e in Richtung Bremen ist Teil des Sulinger Kreuzes. Das wird auf den Abschnitte­n Barenburg-Sulingen und SulingenDi­epholz noch im Güterverke­hr bedient.

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