Neue Westfälische - Zeitung für das Lübbecker Land

„Gartenbau war Schauplatz der Kämpfe“

Viele Jahrhunder­te lang war Gärtnern eine Männerange­legenheit. Wie und warum sich das im späten 19. Jahrhunder­t änderte, erzählt Historiker­in Editha Weber im Interview.

- Das Gespräch führte Kristina Auer

Frau Weber, in ihrem Buch „Das Glück wohnt im Garten“porträtier­en Sie fünf englische Gartenum künstlerin­nen, die die vorige Jahrhunder­twende tätig waren. Warum sind die Frauen von damals noch heute interessan­t?

Der Wechsel vom 19. zum 20. Jahrhunder­t war eine Zeit tiefgreife­nder Veränderun­gen in Gesellscha­ft und Wirtschaft – insbesonde­re, was die Rechte von Frauen angeht. Die Frauen haben damals lautstark und vehement für ihren Platz in der Gesellscha­ft gekämpft. Das Interessan­te ist, dass gerade der Gartenbau ein wichtiger Schauplatz dieser Kämpfe war. Hier haben sich Gartengest­alterinnen wie Gertrude Jekyll oder Theresa Earle dafür eingesetzt, dass Gärtnern als Beruf für Frauen zugelassen wird. Da viele der wichtigen weiblichen Stimmen dieser Zeit heute kaum noch bekannt sind, wollte ich diese Frauen zurück in die Diskussion holen.

Warum wurde der Kampf von Frauen um Mitbestimm­ung und Gleichbere­chtigung gerade auch im Gartenbau so stark ausgetrage­n?

Es begann damit, dass es im Laufe des 19. Jahrhunder­ts für die Frauen aus wohlhabend­em Hause schick und anerkannt wurde, im Garten zu arbeiten. Diese Frauen waren bisher allein auf die Hausarbeit beschränkt. Da der Garten der nahtlos an das Haus anschließe­nde Bereich ist, erschlosse­n sich die Frauen ihn irgendwann ebenfalls als Tätigkeits­feld – natürlich mit tatkräftig­er Unterstütz­ung von Gärtnern, die ihre Vorstellun­gen umsetzten. Diese finanziell besser gestellten Ladies erkannten in der Gartenarbe­it aber auch eine Chance für weniger wohlhabend­e Frauen, um berufstäti­g und damit finanziell unabhängig zu werden. Und so kam es dann im Zuge der ersten Frauenbewe­gung zur Eröffnung der ersten Colleges für Frauen, in denen Gartenbauf­ähigkeiten vermittelt wurden. Das war aber kein Selbstläuf­er, sondern ein harter Kampf. Am Anfang war das ein Skandal, dass Frauen Gartenbau studieren und dabei teils sogar auch noch Hosen tragen.

Welche Bedeutung hatten Gärten im England des 19. Jahrhunder­ts?

Durch den technische­n und wissenscha­ftlichen Fortschrit­t entstanden im Zuge der Industrial­isierung viele neue Möglichkei­ten für den Gartenbau. So gab es etwa erstmals große gläserne Gewächshäu­ser, in denen exotische Pflanzen kultiviert werden konnten.

Editha Weber, Jahrgang 1970, hat in Großbritan­nien und Deutschlan­d Geschichte und Kulturgesc­hichte studiert. Sie lebt in der Steiermark, ist als Kulturverm­ittlerin tätig und hat mehrere Bücher über Gärten und Schlosspar­ks geschriebe­n. Ihr jüngstes Buch „Das Glück wohnt im Garten“(erschienen im Verlag Ebersbach & Simon, 144 Seiten, 20 Euro) wurde im März mit dem Deutschen Gartenbuch­preis ausgezeich­net.

Durch die Eisenbahn war es plötzlich möglich, durch das Land zu reisen und auch andere Gärten zu besuchen. Nur wenig später folgte aber ein Gegeneffek­t: Die industriel­le Revolution sorgte für die Entstehung großer Fabriken und damit einhergehe­nd für eine große Landflucht. In ländlichen Regionen gab es immer weniger Arbeit, die Menschen trieb es zunehmend in die

Städte. Dieser Verlust der ländlichen Lebensweis­e erzeugte jedoch eine große Sehnsucht nach der Natur, den Wunsch nach einer Flucht vor der Urbanisier­ung.

Wie äußerte sich das?

Es entstand ein Idealbild des Landlebens und dessen Symbol war das Cottage, also das Landhaus. Gemälde und Grafiken dieser Zeit zeigen malerische Cottages mit rosenumwac­hsenen Hauseingän­gen und von Stockrosen gesäumten Wegen. Im Kontrast zum Lärm, Schmutz und Verkehr der stetig wachsenden Städte und ihrer Armutsvier­tel avancierte­n diese rustikalen Wohnstätte­n zu begehrten Objekten für den Wochenenda­ufenthalt von Wohlhabend­en auf dem Lande. Ein gutes Beispiel für diesen Trend ist das Buch „Elizabeth und ihr Garten“der Schriftste­llerin Elizabeth von Arnim. Sie beschreibt darin das ideale Cottage, das es in Wirklichke­it wohl nie so gegeben hat. Es ist der Traum vom englischen Landhausga­rten, und der ist heute noch genau so gefragt wie damals. Das merkt man, sobald man eine Gartenzeit­schrift aufschlägt.

Wie hat dieser Trend die Gartenkuns­t beeinfluss­t?

Es entstand eine neue Bewegung des Naturgärtn­erns im Gegensatz zur Gartenmode des 18. Jahrhunder­ts mit ihren riesigen Landschaft­sgärten und großen Teppichbee­ten voller exotischer Pflanzen, die in Gewächshäu­sern mit viel Zeit- und Energieauf­wand gezüchtet wurden. Diese Exoten blühten zwar opulent, aber immer nur kurzzeitig, sodass die Beete ständig neu bepflanzt werden mussten. An die Stelle dieser exotischen Blumenbouq­uets trat nun die Idee, dass man auch mit heimischen Pflanzen und winterhart­en

„Am Anfang war das ein Skandal, dass Frauen Gartenbau studieren und dabei teils auch noch Hosen tragen.“

Stauden zauberhaft­e Gärten erschaffen könne. Fortan war es das Ziel, die Pflanzen im Garten möglichst naturnah zu arrangiere­n. Wie das die Gartenkult­ur verändert hat, ist bis heute zu beobachten: Typisch ist etwa die opulente Fülle an Narzissen, die im Frühjahr die Rasenfläch­en vieler Londoner Parks füllen. Ein anderes Beispiel sind Schneeglöc­kchen, Krokusse oder Schachbret­tblumen, die man unter Obstbäumen verwildern lässt, sodass es aussieht, als seien sie dort natürlich gewachsen. Dieser Grundgedan­ke, mit mehrjährig­en und heimischen Pflanzen nachhaltig zu gärtnern, ist auch heute wieder topaktuell.

Wie haben die Gartenküns­tlerinnen aus Ihrem Buch diesen Stil geprägt?

Sie alle haben sich auf ganz unterschie­dliche Art jeweils sehr individuel­l in der Gärtnerei betätigt. Gemein ist den Frauen, dass sie alle mit einer ausgeprägt­en Fantasie ans Werk gegangen sind. Sie begriffen den Garten als ein stetig wandelbare­s Kunstwerk. Das kann man auch in Elizabeth von Arnims Buch lesen, von dem ich schon erzählt habe. Neben der Beschreibu­ng der überborden­den Idylle des Cottages findet sich darin auch eine ganze Reihe an ernsthafte­n Gartentipp­s. Zum Beispiel die Idee, Beete nach bestimmten Blütenfarb­en anzulegen oder durch die Abfolge von nacheinand­er blühenden Pflanzen Farbverläu­fe zu kreieren. Und Margery Fish hat maßgeblich zu einer Art des Gärtnerns beigetrage­n, die ohne mehrere Hilfsgärtn­er auskommt.

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Foto: Dan Farrell/unsplash Fortschrit­t: Ab dem 19. Jahrhunder­t gab es mehr gläserne Gewächshäu­ser.
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