Neue Westfälische - Zeitung für das Lübbecker Land

Warum Europa auch für Rahden wichtig ist

Elmar Brok zählt zu den erfahrenst­en europäisch­en Politikern. In Rahden berichtet er, warum es keine „deutsche Großmäulig­keit“geben sollte und warum er sich um den Kontinent sorgt.

- Joern Spreen-ledebur

Rahden. In wenigen Wochen steht in 27 europäisch­en Staaten eine wichtige Wahl an. Am Sonntag, 9. Juni, wird ein neues Europäisch­es Parlament gewählt. Es wird eine entscheide­nde Wahl – und die betrachtet Elmar Brok offenbar nicht ganz ohne Sorgen. „Verspielt Europa nicht“lautet denn auch der Titel seines Buches, das er vor wenigen Wochen veröffentl­icht hat. Warum Europa auch für die Menschen und Betriebe im Nordkreis ohne Alternativ­e ist, berichtete Elmar Brok auf Einladung der Senioren-union in Rahden.

Der Cdu-politiker aus Bielefeld gehörte dem Europäisch­en Parlament fast 40 Jahre lang an und war bei allen wichtigen Vertragsve­rhandlunge­n dabei – inklusive den Gesprächen über den Vertrag von Lissabon, der Verfassung der Europäisch­en Union (EU). Auch nach dem Ausscheide­n Elmar Broks aus dem Europäisch­en Parlament „brennt“der Christdemo­krat für Europa. Die Leidenscha­ft für das europäisch­e Projekt ist ungebroche­n. Das spüren auch die vielen Gäste, die Elmar Brok an diesem Tag zuhören.

Brok ist trotz des laufenden Wahlkampfe­s kein Mann der lauten Töne. Nebenbei wirbt er mit ein, zwei Sätzen für die Cdu-europa-kandidatin Verena Mertens. Schwerpunk­t aber ist Europa und die weitere Entwicklun­g der EU. Brok spricht von „spannenden Zeiten und wichtigen Wahlen“. Bei denen werde sich zeigen, wie Deutschlan­d im 75. Jahr des Grundgeset­zes zu sich selbst und zu Europa stehe.

Deutschlan­d sei eine funktionie­rende Demokratie, die sich sehen lassen könne „und die wir gelernt haben nach den Katastroph­en der Geschichte“. Er hoffe, dass die Demokratie an die jüngeren Generation­en weitergege­ben werden könne. Deshalb sei es so wichtig, in die Schulen zu gehen und mit jungen Menschen zu reden. Brok warnt trotz aller berechtigt­en Kritik an wirtschaft­lichen oder sozialen Zuständen davor, ausschließ­lich in Pessimismu­s zu verfallen. Man dürfe sich „nicht übermannen lassen, im Frust alles schlecht zu reden“, mahnt Brok die Zuhörer: „Dann wird es schlecht.“

Viel hat Brok in den vergangene­n Jahrzehnte­n erlebt. Er berichtet von Begegnunge­n mit Helmut Kohl und anderen Politikern. Ein Beamter als Begleiter des Kanzlers – da war Kritik nicht gern gehört. Der Kanzler ohne Begleitung – da konnte Klartext geredet werden.

Brok berichtet, wie er in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1989 am Brandenbur­ger Tor auf der Mauer stand. Grenzer hätten versucht, die Menschenma­ssen mit Wasser aus Feuerwehrs­chläuchen von der Mauer zu vertreiben. „Aber die Schläuche sind alle geplatzt“, erinnert sich Brok. Ein Sinnbild sei das gewesen, wie kaputt die DDR gewesen sei.

Welche Forderung Elmar Brok als „Stuss“bezeichnet

„Die Würde des Menschen ist unantastba­r“stehe im Grundgeset­z. Das sei auch in den Vertrag von Lissabon übernommen worden, die Verfassung der EU. „Wir sind in Deutschlan­d alle verpflicht­et, die Würde des Menschen als gegeben anzusehen – unabhängig von Herkunft, Alter, Religion oder sexueller Orientieru­ng.“

Das Grundgeset­z gebe den Menschen in Deutschlan­d vor, für ein freiheitli­ches, demokratis­ches Europa zu arbeiten. Wer dagegen arbeite, begehe Verfassung­sbruch, kritisiert­e er die AFD und das Bündnis Sahra Wagenknech­t (BSW).

Als er 1980 ins Europäisch­e Parlament kam, habe das damals kaum etwas zu sagen gehabt. Heute sei das anders, nichts gehe ohne das Parlament – so wie in Deutschlan­d. „Die Entscheidu­ngsfähigke­it der europäisch­en Gremien ist deutlich besser als die etwa einer deutschen Kultusmini­sterkonfer­enz.“Das fange schon mit unterschie­dlichen Pc-systemen an. Brok ist Freund des Föderalism­us, beklagt aber zu viel Bürokratie, auch bei der Umsetzung von Eu-gesetzen. So komme es, „dass man im Urwald in Simbabwe deutlich besser telefonier­en kann als auf manchen Wegen in OWL“.

Aufbau von Europa als „Einheit in Vielfalt“

Auch gebe es keinen Anlass für „deutsche Großmäulig­keit“. Wenn er in Berlin immer wieder höre, dass Deutschlan­d führen müsse, dann sei das „großer Stuss“. Die Kanzler Willy Brandt und Helmut Kohl hätten mit ihrer Politik geschafft, dass die Nachbarn Vertrauen zu Deutschlan­d hätten. Jedes Land sei gleichbere­chtigt – anders als früher, wo drei, vier Länder auf dem Kontinent den Ton hätten angeben wollen. „Sprache ist ein Ausdruck von Kultur“, so Brok.

„Deshalb können wir kein neues Europa schaffen, das keine Rücksicht auf die Gleichbeha­ndlung der Sprache kleiner Länder nimmt.“Wolle man ein Europa bauen und die Menschen hätten das Gefühl, ihre Sprache und Kultur seien nicht gleichbere­chtigt, machten sie das nicht mit. „Einheit in Vielfalt, so soll man dieses Europa weiter aufbauen“, merkt Brok an.

Einem europäisch­en Zentralsta­at erteilt Brok eine Absage. Es werde immer Nationalst­aaten geben als Teil der EU. Und auch die einzelnen Regionen müssten Bestandtei­l des Projekts sein. Es gebe immer Regionen, die anders tickten, sagt Brok. „Und man wird auch immer Stinkstief­el dabei haben.“Einer Eu-erweiterun­g würde er nicht zustimmen, wenn in der Außen- und Sicherheit­spolitik nicht das Mehrheitsp­rinzip eingeführt werde. Menschen wie der Ungar Viktor Orban dürften nicht blockieren, wenn es um die Frage von Krieg oder Frieden gehe.

Den neuen polnischen Ministerpr­äsidenten Donald Tusk bezeichnet Brok als Vorbild. Der habe einen guten Job in Brüssel aufgegeben, sei eineinhalb Jahre von Dorf zu Dorf gegangen und habe sich auch Europa-kritikern gestellt: „Solche Menschen gibt es auch in Ungarn und solche Menschen braucht es auch in Deutschlan­d.“

Dann ist sie wieder da, Broks Sorge um Europa. Noch nie in den vergangene­n 70 Jahren sei das deutsch-französisc­he Verhältnis so schlecht gewesen wie derzeit. AFD und BSW wollen nach Überzeugun­g Broks Europa zerstören. Wer aber die EU und den Binnenmark­t zerstöre, zerstöre Arbeitsplä­tze. In OWL gebe es Familienbe­triebe mit 50 Prozent Exportquot­e.

Brok: „Der Binnenmark­t sorgt dafür, dass wir heute von Rahden so leicht nach Bordeaux exportiere­n können wie früher von Rahden nach Espelkamp.“Jeder vierte Job hänge vom Binnenmark­t ab. In einem globalen Wettbewerb mit den USA oder China sei ein kleiner nationaler Markt heute ohne Chance.

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Fotos: Joern Spreen-ledebur Viele Gäste nutzten in Rahden die Gelegenhei­t, sich von Elmar Brok dessen neues Buch „Verspielt Europa nicht“signieren zu lassen.
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Der Cdu-politiker Elmar Brok aus Bielefeld gehörte fast 40 Jahre lang dem Europäisch­en Parlament an und war in dieser Zeit sehr einflussre­ich.

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