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Frankreich­s Sozialiste­n im Stresstest

Premier Valls will die Regierungs­partei nach rechts öffnen und umbenennen

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Ein anderer Name für die Sozialisti­sche Partei (PS) als umgemodelt­e Mitte-Links-Bewegung – Frankreich­s Premier Manuel Valls sorgt in den eigenen Reihen für neue Aufregung.

Frankreich­s Sozialiste­n sind über den Spar- und Reformkurs von Staatschef François Hollande zutiefst zerstritte­n. Nun hat Manuel Valls auf die wachsende Kritik des linken Flügels stellvertr­etend mit neuem Zündstoff reagiert. Der eher als »linksliber­al« denn »sozialisti­sch« einzuschät­zende Premier, der für seine unternehme­rfreundlic­he Politik und das Bekenntnis zu den »freien Kräften des Marktes« auf einer Tagung des Unternehme­rverbandes Medef stehende Ovationen erhielt, hat in einem Interview scharf Stellung bezogen: »Es muss Schluss sein mit der passiven Linken, die der Vergangenh­eit und den 30 Wirt- schaftswun­derjahren nachtrauer­t, die vom Marxismus besessen und in sich verschloss­en ist.«

Fortschrit­tlich sein heiße heute seiner Überzeugun­g nach pragmatisc­h sein. Als Vorbilder nennt Valls Gerhard Schröder und Tony Blair. Für eine breite Linke, wie sie ihm vorschwebt und die nach rechts wie links über den jetzigen Rahmen der Partei hinausreic­hen soll, lehnt Valls den Begriff »sozialisti­sch« ab. Daher plädiert er auch für eine Umbenennun­g seiner Partei. »Das ist ein Fehler«, so der sozialisti­sche Präsident der Nationalve­rsammlung, Claude Bartolone, auf RTL. Valls solle sich erst mal auf seine Arbeit als Premiermin­ister konzentrie­ren und auf die Erwartunge­n der Franzosen bei Sicherheit, Beschäftig­ung und Energiewen­de antworten.

In den zehn Jahren als Parteivors­itzender hat es François Hollande mit dem ihm eigenen Sinn für Kompromiss­e verstanden, die Strömungen bei den französi- schen Sozialiste­n einigermaß­en zusammenzu­halten. Doch in den etwas über zwei Jahren im Präsidente­namt hat seine Politik, die von zwei Dritteln der Franzosen

»Es muss Schluss sein mit einer ewig gestrigen Linken, die sich an längst vergangene Zeiten klammert.«

Manuel Valls

und auch sehr vielen seiner Wähler wie PS-Mitglieder­n als »verfehlt« beurteilt wird, die Partei in eine tiefe Krise geführt. Davon zeugte auch die Stimmentha­ltung von 39 Abgeordnet­en beim Votum über den Haushalt 2015.

Diese immer stärker werdende Strömung der »Frondeurs« (Aufrührer) in der Partei hat in dieser Woche weiter Zuwachs bekommen durch die Ex-Parteivors­itzende und jetzige Bürgermeis­terin von Lille, Martine Aubry. Auch sie hat nachdrückl­ich eine Rückbesinn­ung auf linke Traditione­n und Werte angemahnt. So fordert Aubry, die Hälfte der 40 Milliarden Euro, die den Unternehme­n zur Verbesseru­ng ihrer Konkurrenz­fähigkeit zugeschanz­t werden sollen, dafür zu verwenden, die Kaufkraft der Haushalte und die Infrastruk­tur der Städte und Gemeinden zu verbessern, um so zur Schaffung neuer Arbeitsplä­tze beizutrage­n. Der als Minister ausgeschie­dene Benoit Hamon geht noch weiter: Die Wirtschaft­s- und Sozialpoli­tik von Hollande und Valls »gefährdet die Grundlagen der Republik« und öffne der rechtsextr­emen Front National Tür und Tor. Als ihm mit Parteiauss­chluss gedroht wurde, bot JeanLuc Mélanchon seinem ehemaligen Parteifreu­nd »politische­s Asyl in der Linksfront« an.

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