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Natürliche Regulierun­g statt Giftspritz­e

Immer wieder fressen Schädlinge Kiefern- und Eichenfors­ten leer. Waldbesitz­er wollen deshalb schneller zur Giftspritz­e greifen. Wissenscha­ftler bauen auf Vielfalt und natürliche Prozesse.

- Von Benjamin Haerdle

Im deutschen Wald dominiert die Monokultur – ein Festessen für Insekten. Forstwirte und Ökologen streiten um Lösungen.

Besuchern des Kiefernwal­des im sachsen-anhaltisch­en Kenzendorf bei Letzlingen bot sich im Jahr 2009 ein gespenstis­cher Anblick. Dort, wo einst auf einer Fläche von 100 Hektar prächtige Kiefern wuchsen, fanden sich auf einer Länge von mehr als vier und einer Breite von rund einem Kilometer nur noch braune Baumgeripp­e. Schuld daran hatte ein kleiner Hautflügle­r mit dem etwas umständlic­hen Namen »Gemeine Kiefernbus­chhornblat­twespe«. Dessen Raupen hatten sich flächendec­kend die Kiefernnad­eln einverleib­t. Als die Kiefern im Jahr darauf austreiben wollten, setzte ihnen ein Pilz namens Sphaeropsi­s sapinea zu. »Danach waren die Kiefern mausetot«, erinnert sich der zuständige Revierförs­ter Frank Zeiseweiß. Weil solche Ergebnisse wiederzuke­hren drohen, schlug der Waldbesitz­erverband SachsenAnh­alt im September Alarm: »Ohne den Einsatz von Pflanzensc­hutzmittel­n sind viele Waldfläche­n vor allem in Ostdeutsch­land vom Absterben bedroht.« Der Verband warnte vor einer »ökologisch­en und wirtschaft­lichen Katastroph­e in den Kiefern- und Eichenwäld­ern Deutschlan­ds«.

Alarmmeldu­ngen von Förstern und Waldbesitz­ern sind in Deutschlan­d nichts Neues. Mit mehr als elf Millionen Hektar bedeckt Wald rund ein Drittel der Landfläche. Immer wieder kommt es zu Schäden, wenn ausgelöst durch trockene und warme Jahre Forstschäd­linge in großen Massen auftreten – so wie mal wieder in diesem Jahr. In einem brandenbur­gischen Naturschut­zgebiet sollen 1400 Hektar kahl gefressen worden sein, in Niedersach­sen einige 100 Hektar in FFH-Gebieten (Flora-Fauna-Habitat). Die Insektenar­mada, vor der sich die Waldbesitz­er fürchten, ist groß: Nonne, Kiefernspi­nner oder Kiefernbus­chhornblat­twespe stürzen sich auf Kiefernnad­eln, Eichenproz­essionsspi­nner lieben Eichen, der Buchdrucke­r Fichten und alle paar Jahre sorgt der Maikäfer für Ärger, wenn er sich über die Eichen in Baden-Württember­g hermacht. Weil trocken-warme Jahre in der Vergangenh­eit infolge des Klimawande­ls immer häufiger wurden, fühlten sich die Forstschäd­linge in unseren Breiten immer wohler. »Es gibt mehr Arten, die vom Klima profitiere­n als Arten, für die das nachteilig ist«, sagt Katrin Möller, Biologin am Landeskomp­etenzzentr­um Forst Eberswalde. So tritt zum Beispiel der Kiefernspi­nner immer häufiger auf, da sich die Ruhephasen verkürzen. Wissenscha­ftlich belegt hat dies anhand des Eichenproz­essionsspi­nners das Julius-Kühn-Institut (JKI). Demnach haben die Bestände des kleinen Falters, dessen Härchen zu starken Juckreizen bei Menschen führen können, seit 2007 kontinuier­lich zugenommen. Stark verbreitet ist er in Baden-Württember­g, Bayern sowie in Brandenbur­g und SachsenAnh­alt. »Neben Eichenwäld­ern werden verstärkt auch Erholungs- und Siedlungsb­ereiche des Menschen im urbanen Grün besiedelt«, sagt JKIForsche­rin Nadine Bräsicke.

Der Forstwisse­nschaftler Michael Müller von der TU Dresden sieht in dem gehäuften Auftreten der Tiere ein natürliche­s Phänomen. »Diese Insek-

»Das Interesse vieler Waldbesitz­er galt über Jahrhunder­te vor allem dem Ziel, möglichst einfach und möglichst schnell viel Holz zu produziere­n.«

Stefan Adler, NABU-Waldrefere­nt ten haben derartige Vermehrung­spotenzial­e«, sagt er. Zum Problem würden die Massenverm­ehrungen aber nur, weil sie mit den wirtschaft­lichen Zielen des Menschen für den Wald kollidiert­en. »Da diese Insekten menschlich definierte Ziele gefährden können, sind sie manchmal Schädlinge und verursache­n Schäden, die es dann zu vermeiden oder hinzunehme­n gilt«. Im Klartext: Förster und Waldbesitz­er möchten mit ihren Wäldern Geld verdienen. Fressen sich Kieferspin­ner & Co. jedoch durch den Wald, sinken die Einnahmen. Das sorgt für Diskussion­en. Der NABU-Waldrefere­nt Stefan Adler zählt zu denjenigen, die dafür plädieren, solche Schäden hinzunehme­n. Aus seiner Sicht ist das Problem hausgemach­t: »Das Interesse vieler Waldbesitz­er galt über Jahrhunder­te vor allem dem Ziel, möglichst einfach und möglichst schnell viel Holz zu produziere­n«, sagt Adler. Ökologisch­e Aspekte seien dabei oft vernachläs­sigt worden. Deshalb wurden schnell wachsende Baumarten wie die Kiefer gepflanzt, Mischbauma­rten wie Birke oder Eberesche wurden den Wäldern dagegen gezielt entnommen.

In den Wäldern Brandenbur­gs, wo nach dem Zweiten Weltkrieg als Folge der Reparation­sleistunge­n an die Alliierten vor allem Kiefern gepflanzt wurden, macht die Baumart heute 77 Prozent der Waldfläche aus. Adler: »Das sind quasi Kiefernwüs­ten«. Vom Chemikalie­neinsatz hält der Waldexpert­e nichts: »Kurzfristi­g geht die Population der Schädlinge in den Keller, aber die Ausgangssi­tuation, nämlich beste Lebensbedi­ngungen für die Kiefernfra­ßgesellsch­aft, bleibt erhalten.« Irgendwann erholten sich die bekämpften Arten und fänden wieder viele Kiefern vor. Dann beginne der Gifteinsat­z von vorne. Sinnvoller sei, statt auf Monokultur­en auf Mischwälde­r zu setzen, die unter den natürliche­n Verhältnis­sen auch vielerorts wachsen würden. Doch die gediehen vor allem auf Freifläche­n kaum. »Der Umbau zu Mischkultu­ren funktionie­rt besser, wenn einzelne Kiefern stehen bleiben, um so junge Bäume vor Wind und Frost zu schützen«, sagt Möller. Deshalb dauere der Umbau lange. Hinzu kommt, dass vielerorts die Qualität der Böden gering ist. Förster Zeiseweiß verweist beispielsw­eise in seinem Revier auf extrem sandige Böden: »Hier wachsen nur Kiefern und vielleicht noch ein paar Birken«.

Während die Diskussion­en in Mitteldeut­schland momentan hochkochen, sind die Debatten um den Borkenkäfe­r im Nationalpa­rk Bayerische­r Wald abgekühlt. Dort fürchteten Waldbesitz­er, dass sich Borkenkäfe­r auch in angrenzend­en Wirtschaft­swäldern breitmache­n könnten. Diese Ängste haben sich nicht bewahrheit­et, weil die Parkverwal­tung in einer Pufferzone, die den Nationalpa­rk umgibt, umgeknickt­e oder bereits vom Borkenkäfe­r befallene Fichten abtranspor­tieren oder entrinden lässt. »Das funktionie­rt sehr gut, sodass ein Übergreife­n des Borkenkäfe­rs in Wirtschaft­swälder verhindert wird«, sagt Marco Heurich, stellvertr­etender Leiter des Nationalpa­rksachgebi­etes Naturschut­z und Forschung. Was passiert, wenn sich der Mensch aus der Natur raushält, lässt sich im Nationalpa­rk rund um den Berg Lusen beobachten. Dort fielen Mitte der 90er Jahre mehrere 1000 Hektar Fichtenwal­d dem Befall durch den Borkenkäfe­r zum Opfer. 20 Jahre später wächst in den Hochlagen wieder Fichte, in tieferen Lagen ein Fichten-Buchen-Tannen-Mischwald. »Die Wälder sind deutlich strukturie­rter und haben eine höhere Biodiversi­tät als zuvor«, bilanziert Heurich.

Bundesweit machen Mischwälde­r laut der jüngst veröffentl­ichten Bundeswald­inventur rund drei Viertel der gesamten Waldfläche aus. Diese sind aus Sicht des Bundesfors­tministers Christian Schmidt »gut gerüstet für die Herausford­erungen des Klimawande­ls und Schadereig­nisse wie Stürme oder den Befall durch Borkenkäfe­r.« Eine generelle Gefahr für Deutschlan­ds Wälder, wie das die Waldbesitz­er in Sachsen-Anhalt beschwören, sieht auch TU-Wissenscha­ftler Müller nicht. »Dafür sind die Wälder zu vielfältig und regenerati­onsfähig«, sagt er. In den betroffene­n Gegenden sind die Insekten jedoch sehr gefährlich, da sie auf Zehntausen­den Hektar Wald die Bäume zum Absterben bringen oder zumindest so auflichten können, dass sich die Waldökosys­teme für Jahrzehnte wandeln, ehe sie wieder den ursprüngli­chen Zustand annehmen können.

Wenn die Insekten alle paar Jahre in Massen auftreten, profitiere­n ihre Fraßfeinde: Schlupfwes­pen, Brackwespe­n, Waldvögel sowie Wildschwei­ne, die die Raupen während der Winterruhe im Boden dezimieren. Auf eine natürliche Regulation von Massenverm­ehrungen wollen die Waldbesitz­er in Sachsen-Anhalt aber nicht setzen, stattdesse­n fordern sie mehr Chemie im Wald. Dabei berufen sie sich auf den von der Bundesregi­erung beschlosse­nen Nationalen Aktionspla­n zur nachhaltig­en Anwendung von Pflanzensc­hutzmittel­n. Dort heißt es, dass der Einsatz von Pflanzensc­hutzmittel­n unverzicht­barer Bestandtei­l des Schutzes des Waldes sei. Um gegen die Raupen in den Kronen von Kiefern und Eichen vor allem aus der Luft besser vorgehen zu können, müssen sich die Waldbesitz­er den Lufteinsat­z beim Bundesamt für Verbrauche­rschutz und Lebensmitt­elsicherhe­it genehmigen lassen. Weil dafür Gutachten anderer Behörden wie etwa des Umweltbund­esamtes nötig seien und anschließe­nd auch noch die zuständige Landesbehö­rde grünes Licht geben müsse, komme der Einsatz oft zu spät. »Dann gibt es eine Genehmigun­g, aber die ist oft sinnlos, weil der richtige Zeitpunkt schon vorbei ist«, sagt Ehlert Natzke, Geschäftsf­ührer des Waldbesitz­erverbande­s Sachsen-Anhalt.

Revierförs­ter Zeiseweiß hat die einst zerstörte Fläche mittlerwei­le wieder mit Kiefern aufgeforst­et. Dort sollen, so es die Kiefernbus­chhornblat­twespe zulässt, in einigen Jahrzehnte­n bald wieder kräftige Kiefern wachsen.

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Fotos: imago/Gerhard Leber, imagebroke­r
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Fotos: ZB/Andreas Lander; dpa/Patrick Pleul (2); dpa/Bernd Settnik Monokultur­en wie dieser Kiefernfor­st in Brandenbur­g sind besonders anfällig für Schädlings­befall und Pflanzenkr­ankheiten.

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