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Werchowna Rada rückt nach Westen

An diesem Sonntag wird das ukrainisch­e Parlament neu gewählt – eine Folge des Maidan-Umsturzes vom Februar. Die letzten Umfragen verheißen einen Sieg des Regierungs­lagers. Das bekommt nicht zwangsläuf­ig eine parlamenta­rische Mehrheit. Auch ultranatio­nalis

- Von Klaus Joachim Herrmann

Viele Unwägbarke­iten birgt der ukrainisch­e Wahlgang. Der Westkurs wird mangels Alternativ­en aber in jedem Fall bestätigt.

Im eleganten Anzug und als Feldherr in Uniform präsentier­te sich der ukrainisch­e Präsident Petro Poroschenk­o in den vergangene­n Wochen den knapp 37 Millionen Wahlberech­tigten gern. Der Oberkomman­dierende besuchte sogar noch kurz vor dem Urnengang an diesem Sonntag die Dnjepropet­rowsker Waffenschm­iede Juschmasch. Aber auch als Staatsmann versuchte er in Gesprächen mit US-Präsident Barack Obama, seinem russischen Widersache­r Wladimir Putin im Kreml und europäisch­en Spitzen wie Kanzlerin Angela Merkel, gute Figur zu machen.

Zuletzt gab Poroschenk­o den Landesvate­r. Als solcher bescherte er seinem Volk warme Stuben. Obwohl dies nicht seines Amtes ist, wies er den Beginn der Heizperiod­e an: »Nicht später als Freitag soll es in jedem ukrainisch­en Heim warm sein.«

Die gute Tat soll natürlich der gerade erst formierten präsidiale­n Partei »Block Poroschenk­o« bei der vorgezogen Neuwahl der Werchowna Rada ein paar Stimmen mehr bescheren. Wenn Winter und Gaskrise wieder für niedrigere Temperatur­en und steigende Preise sorgen, bleiben die Mehrheiten doch erst einmal festgelegt. Für die Machtbasis dieses Politikers, der zuvor als Oligarch klingende Karriere machte, wird allgemein ein Sieg mit gut 30 Prozent Stimmantei­l vorausgesa­gt.

Die infolge des Maidan-Umsturzes vom Februar und der ukrainisch­en Krise vorgezogen­e Wahl findet internatio­nal größte Aufmerksam­keit. Das Außenamt der USA rief sogar fürsorglic­h, wenn nicht gar in einem bewussten Akt der Einmischun­g, alle 36,5 Millionen berechtigt­en Ukrainer, »auch jene auf der Krim, in Donezk und in Lugansk«, zur Teilnahme auf. Der Chef des russischen Präsidials­tabes, Sergej Iwanow, versichert­e hingegen nur trocken und diplomatis­ch sauber, der Kreml werde die Ergebnisse der Wahl anerkennen.

Dazu werden von 6 bis 18 Uhr MEZ 450 Abgeordnet­e der Werchowna Rada zu Hälften direkt und in einer Verhältnis­wahl nach Listenkand­idaten der Parteien bestimmt. Allerdings sind nach einer Erhebung der »Demokratis­chen Initiative« nicht einmal die Hälfte der Wahlkreisb­ewerber den Abstimmend­en bekannt.

Die Sorge um die warme Heizung der Bürger wäre somit nicht nur formell, sondern auch praktisch eine gute Sache für Premier Arseni Jazenjuk gewesen. Der aber schaltete etwas zu spät auf Volkswohl. Dabei hätte seine eigene neue Partei »Volksfront« Zuspruch nötig. Der liegt nach Umfragen bei unter zehn Prozent. Die Volksfront­ler sollen und würden ja auch gern dem Präsidente­n zur par- lamentaris­chen Mehrheit verhelfen. Damit bliebe Jazenjuk, der ja einst direkt von Washington­s Beauftragt­er Victoria Nuland für das Amt des Premiermin­isters gesetzt wurde, weiterhin erster Anwärter darauf. Die »Vaterlands­partei« seiner Vorgängeri­n Julia Timoschenk­o, von der sich Jazenjuk mit weiteren Spitzenleu­ten absetzte, dürfte etwas hinter ihm einkommen.

Auf dem zweiten Platz ist mit etwa zwölf Prozent die »Radikale Partei« von Oleg Ljaschko zu erwarten. Sie würde der rechtsextr­eme und ultranatio­nalistisch­e rechte Flügel im Parlament. »Swoboda« und »Rechter Sektor« müssen darauf weit unter der 5-Prozent-Hürde verzichten. Ihnen bleibt allerdings die – buchstäbli­che – Schlagkraf­t der Milizen und der von ihren dominierte­n Nationalga­rde.

Das Parlament wird, wenn angesichts all dessen der Präsidente­nblock schon als gemäßigt gelten muss, in jedem Falle prowestlic­h, zumindest nationalis­tisch und allemal antirussis­ch geprägt sein. Die frühere und faktisch zerfallene Präsidente­n»Partei der Regionen« des gestürzten Viktor Janukowits­ch nimmt an der Wahl nicht teil. Ihre Mitglieder flohen, viele wurden im Parlament und bei Wahlverans­taltungen aus der politische­n Arena geprügelt. Wie auch die Kommuniste­n. Denen bleibt trotz Verbots- und Hochverrat­sdrohungen nahe der Sperrklaus­el eine Chance.

Übrig von den Regionalen und als Opposition tauglich wäre noch die einst als sozialdemo­kratisch entstanden­e Partei »Starke Ukraine«. Der trauen Beobachter einen Achtungser­folg nahe zehn Prozent zu. Spitzenkan­didat ist der Politiker und Unternehme­r Sergej Tigipko.

Opposition­elle – und russlandfr­eundliche – Parteien hätten allerdings im umkämpften Osten der Ukraine ihre Basis. Von den 5,2 Millionen Berechtigt­en können dort aber etwa zwei Millionen nicht zur Abstimmung gehen. Auf der an Russland angegliede­rten Halbinsel Krim sind es 1,8 Millionen. Die ukrainisch­en Flüchtling­e kommen zu 95 Prozent aus dem umkämpften Osten, deren Zahl wird vom UN-Flüchtling­swerk mit mehr als 824 000 angegeben. Eine offenbar mit Weitsicht bereits im Mai erledigte Gesetzesre­form verhindert, dass die Wahl wegen zu niedriger Beteiligun­g für ungültig erklärt werden kann.

80 000 Einsatzkrä­fte sollen am Wahltag für Sicherheit sorgen. Doch gerade in den von Kiew kontrollie­rten Gebieten im Osten wächst die Angst vor Manipulati­on. »Wahlen vor den Mündungen der Maschineng­ewehre der Freiwillig­enbataillo­ne sind keine Wahlen«, zitierte die Zeitung »Segodnja« den Politologe­n Wadim Karassjow. Der Dnjepropet­rowsker Gouverneur Igor Kolomoiski soll angewiesen haben, welche Kandidaten die Wahl gewinnen. Der Oligarch unterhält eigene Kampftrupp­en.

Ein gutes Dutzend Abgeordnet­e des Europaparl­aments reiste Freitag zur Beobachtun­g der Wahl in die Ukraine. So auch der Bundestags­abgeordnet­e Andrej Hunko (LINKE) für den Europarat nach Odessa. Er sieht nach einem Vorbesuch die Wahlen unter keinem guten Stern. »Vor allem für einige opposition­elle Parteien war angesichts der gegen sie gerichtete­n politische­n Gewalt kein normaler Wahlkampf möglich.«

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Foto: dpa/Mykhailo Markiv Als Oberkomman­dierender, Präsident und Landesvate­r war Poroschenk­o im Wahlkampf unterwegs.

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