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Affront gegenüber NSU-Opfern

Potsdams Verfassung­sschutz will Aussage seines Ex-V-Mannes in München beeinfluss­en

- Von René Heilig

Carsten Szczepansk­i, alias »Piatto« soll am 4. November im sogenannte­n NSU-Prozess vernommen werden. Das wollen die Auftraggeb­er des mehrfach verurteilt­en gewalttäti­gen Neonazis verhindern.

In den 90er Jahren galt Carsten Szczepansk­i, damals Anfang 20, als einer der gefährlich­sten Rechtsextr­emisten in Ostdeutsch­land. 1995 war er führend daran beteiligt, einen nigerianis­chen Asylbewerb­er zusammenzu­schlagen und fast zu ertränken. Im Gefängnis heuerte ihn der Brandenbur­ger Verfassung­sschutz an. Deckname »Piatto«.

Im Knast arbeitete Szczepansk­i unter anderem an der Herausgabe von Neonazi-Rundbriefe­n. Eine dieser »Zeitschrif­ten« war »Der Weiße Wolf«. Darin war schon 2002 eine Danksagung an den damals noch unentdeckt­en Nationalso­zialistisc­hen Untergrund (NSU) enthalten.

Gordian Meyer-Plath, inzwischen Chef des sächsische­n Landesamte­s, war einer der »Piatto«-V-Mann-Führer. Er kutschiert­e den Freigänger, wohin der wollte, gab ihm ein Handy – zugelassen auf das Brandenbur­ger Innenminis­terium – und schrieb mit einem Kollegen eifrig Treffberic­hte.

In einer sogenannte­n Quellenmel­dungen – niedergesc­hrieben am 17. September 1998, also noch bevor die NSU-Verbrecher den ersten Mord begangenen hatten – ist die Rede davon, dass der sächsische­n Blood&Honour-Führer Jan Werner den Auftrag hat »für die drei flüchtigen sächsische­n (Anm.: gemeint sind aller Wahrschein­lichkeit nach die gesuchten Rechtsextr­emisten aus Thüringen, die im Zusammenha­ng mit selbstgeba­uten Sprengkörp­ern gesucht werden) Skinheads Waffen zu beschaffen«.

Der Potsdamer Geheimdien­st hatte »Piatto« – vermutlich unwissentl­ich – in die Nähe des NSU lanciert und sorgte durch Täuschung der Justiz für seine vorzeitige Haftentlas­sung. Zuträger Szczepansk­i machte als rechtsextr­emistische­r Einpeitsch­er und Waffendeal­er Karriere – bis seine Zuträgersc­haft für den Verfassung­sschutz im Jahre 2000 aufflog. Seine Auftraggeb­er brachten ihn im Zeugenschu­tzprogramm unter und sorgen bis heute für sein Wohlergebe­n. Nach Erkenntnis­sen von Nebenklage­vertretern liegt für den Zeu- gen Szczepansk­i eine sogenannte Sperrerklä­rung vor. Ziel: Der Brandenbur­ger Verfassung­sschutz möchte, dass sein ehemaliger V-Mann »Piatto« nicht in München aussagt. Allenfalls sei eine Videoverne­hmung des unkenntlic­h gemachten Zeugen in Begleitung eines Rechtsbeis­tandes möglich.

So etwas hat es beim Münchner NSU-Verfahren noch nicht gegeben. Die Begründung, »Piattos« Leib und Leben seien in Gefahr, zieht nicht. Beispiel Carsten Schultze. Der Angeklagte, der umfangreic­he Aussagen gemacht hat, sitzt seit 150 Verhandlun­gstagen ganz offen im Saal. Der Angeklagte Holger Gerlach war ursprüngli­ch in einem Zeugenschu­tz- programm. Inzwischen läuft er ohne besonderen Schutz frei umher. Tino Brandt, ebenfalls V-Mann und Spitzennaz­i aus Thüringen, hat umfangreic­h und ohne Zeugenschu­tzmaßnahme­n ausgesagt. Probleme gab es nicht, obwohl sein aktueller Aufenthalt­sort bekannt ist.

Die Forderunge­n des Brandenbur­ger Geheimdien­stes sind ein erneuter Affront gegenüber den Opfern! Denn abermals hat der Geheimdien­st mehr Interesse am Schutz seiner Informante­n als an der Aufklärung der Verbrechen des NSU. Dessen Mitglieder­n wird immerhin zehnfacher Mord – zumeist aus rassistisc­hen Gründen – sowie Bombenansc­hläge und Banküberfä­lle zur Last gelegt.

Der Hinweis, man könne ja die (geheimgeha­ltenen) Aussagen von Szczepansk­i in polizeilic­hen Vernehmung­en hinzuziehe­n, ist absurd. Als man den Neonazi beispielsw­eise im Ermittlung­sverfahren gegen seinen Kontaktman­n Jan Werner befragte, wusste »Piatto« von nichts. Frage: »Geben sie bitte an, was Ihnen persönlich zum NSU bekannt ist!« Antwort: »Also mir ist bekannt, was ich aus den Medien erfahren habe.« Auch den Angeklagte­n Ralf Wohlleben will er nie gesehen haben. Frage: »Inwiefern haben Sie Informatio­nen erlangt, in denen eine Waffenbesc­haffung durch Werner für das ›Trio‹ Gegenstand war?« Antwort: »Garnich.« Einer SMS, in der nach den »Bums« gefragt wird, sagt ihm »nichts«.

Die Vernehmer fragten nicht sehr interessie­rt nach. Doch einmal platzte einem Polizisten dann doch der Kragen. »Das klingt alles recht abgesproch­en...« Wohl wahr und man muss sicher nicht lange rätseln, wer das arrangiert hat.

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Foto: dpa/Peter Kneffel Bereit zum Transport der Aussagen – Mikrofone im Gerichtssa­al

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