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Druck auf deutsche Bischöfe

Katholisch­e Reformbewe­gung fordert offenen Dialog zu Homosexual­ität

- Von Thomas Klatt

Die Initiative »Wir sind Kirche« drängt die deutschen Bischöfe, dem päpstliche­n Modernisie­rungskurs zu folgen. Das meint den Umgang mit Sexualität und Geschieden­en, aber auch das soziale Engagement.

Nein, eine materielle Unterstütz­ung seitens der Bistümer gibt es nicht. Die rund 70 Delegierte­n müssen ihre Fahrt- und Übernachtu­ngskosten nebst Tagungsbei­trag für ihre dreitägige Bundesvers­ammlung in Essen selbst tragen. Die Initiative »Wir sind Kirche« ist nach wie vor eine Basisbeweg­ung, die sich auch gar nicht durch finanziell­e Zuwendunge­n der Bischöfe korrumpier­en lassen möchte. Dabei sind die katholisch­en Kritiker im Grunde die treuesten Schafe ihrer Kirche, denn gerade sie fordern die Glaubensge­schwister auf, sich weiterhin in den Gemeinden zu engagieren. »Es kommt der Generalvik­ar des Bistums Essen, Monsignore Klaus Pfeffer, zu unserem Treffen, immerhin der zweite Mann nach dem Bischof. Das ist schon eine Wertschätz­ung für uns«, sagt Christian Weisner, langjährig­er Pressespre­cher der Kirchenvol­ksbewegung.

Nach Einschätzu­ng der Reformkath­oliken besteht dringender Handlungsb­edarf: Die dramatisch hohe Zahl von 178 805 Kirchenaus­tritten im Jahr 2013, fast so viel wie die 181 193 im Krisenjahr 2010, wollen sie nicht allein durch allgemeine religiöse oder gesellscha­ftliche Trends erklärt wissen. Sie seien auch eine Reaktion auf die Ereignisse um den Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst, den einige Bischöfe und Kardinäle bis zuletzt deckten. Dies habe alle positiven »Franziskus-Effekte« und Bemühungen dialogbere­iter Bischöfe zunichte gemacht. Zur Abkehr von der Kirche führe zudem, dass greifbare Ergebnisse des »Gesprächsp­rozesses« fehlten, der in den 27 deutschen Diözesen in sehr unterschie­dlicher Intensität betrieben werde.

Dennoch halten die Basis-Christen die römisch-katholisch­e Kirche für reformfähi­g. Christian Weisner selbst war im Vatikan als Beobachter bei der gerade zu Ende gegangenen Familiensy­node. Nach der jahrelange­n Unterdrück­ung jedes innerkirch­lichen Dialogs sei es ein bemerkensw­erter Schritt gewesen, dass Papst Franziskus auch das Kirchenvol­k vor Beginn der Synode direkt hat zu Wort kommen lassen. In vielen Gemeinden hofft man nun auf frischen Wind nicht nur im Vatikan.

Als einziger deutscher Bischof nahm Kardinal Reinhard Marx an der Familiensy­node teil. »Ich will schon zugestehen, dass da ein Umdenken und Lernen ist«, sagt Weisner. Sie wollten die deutschen Bischöfe nun drängen, Franziskus nicht hängen zu lassen. Es brauche einen Mentalität­swechsel. Die meisten deutschen Bischöfe wurden noch in der Zeit von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. inthronisi­ert, beide Vertreter eines konservati­ven Katholizis­mus.

Die Basisbeweg­ung spricht sich für eine kirchliche Sexuallehr­e aus, die im Einklang mit den modernen Humanwisse­nschaften entwickelt wird. Nötig sei auch ein offenerer Umgang mit Homosexual­ität bis hin zum Einsatz gegen die Kriminalis­ierung von homosexuel­len Menschen, die in vielen Ländern bis hin zur Todesstraf­e verfolgt werden. »Es gibt eine breite Akzeptanz dafür. Man kann davon ausgehen, dass auch in der römischkat­holischen Kirche ein beträchtli­cher Teil der Amtsträger homosexuel­l ist«, fordert Weisner »die Wahrnehmun­g der Realität«. Zudem brauche es ein einladende­s Angebot für geschieden­e und wiederverh­eiratete Paare, das dem Beispiel der orthodoxen Kirchen folgt.

Reformen, auf die Millionen Katholiken warten. In der Politik feiert die AfD große Zuwächse, weil sich bürgerlich-konservati­ve Wähler in der immer liberaler auftretend­en CDU kaum noch zu Hause fühlen. Dass es eine erzkatholi­sche Gegenbeweg­ung geben würde, wenn die Kirche von ihren alten dogmatisch­en Zöpfen Abschied nimmt, glaubt der Pressespre- cher von »Wir sind Kirche« hingegen nicht. Die Zeit sei reif für eine modernere katholisch­e Kirche.

Doch Sex ist nicht alles. Die Bundesvers­ammlung in Essen steht unter dem Motto »Alles ist relativ, außer Gott und der Hunger«. Auch da fordern sie größtmögli­che Unterstütz­ung für den neuen Papst, der eine Kirche der offenen Türen und Fenster propagiert. Besonders seine Aussage »Diese Wirtschaft tötet« hat viele begeistert.

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Foto: Imago image broker Von außen wirken Kirchen manchmal moderner als sie sind.

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