nd.DerTag

Die Pop-Epidemie

Wie sich Ebola-Hysterie, Rassismus und Virus-Filme gegenseiti­g befeuern

- Von Tobias Riegel

Rick Grimes ist des Tötens müde. Des Tötens Untoter ebenso wie Lebender. Denn der Protagonis­t der USamerikan­ischen TV-Serie »The Walking Dead« muss sich nicht nur der unendliche­n Ströme von durch ein Virus zu Zombies mutierten Menschen erwehren. Sein eigentlich­er Gegner ist der in den nicht infizierte­n Menschen lauernde Wolf. Der verwandelt seinen Wirtsmensc­hen durch den Druck des Ausnahmezu­stands in ein Monster – bösartiger als alle Zombies, die schließlic­h nur fressen wollen und denen menschlich­e Regungen wie Hass und Sadismus fremd sind.

Im Moment befeuern sich Seuche und Popkultur gegenseiti­g: Es war wohl auch die Ebola-Hysterie in den USA, die dem US-Start der fünften Staffel der ohnehin erfolgreic­hsten Pay-TV-Serie aller Zeiten, »The Walking Dead«, vergangene Woche ein neues Rekorderge­bnis bescherte: 17,3 Millionen Zuschauer sahen die neueste Episode, in der (Achtung, Spoiler!) weniger die Zombies das Problem sind als menschenfr­essende Menschen. Umgekehrt fällt die EbolaAngst sicher auch wegen der zahlreiche­n Kino-Kassenschl­ager mit VirusThema­tik auf so fruchtbare­n Boden.

Bei sich epidemisch ausbreiten­den Produktion­en wie »Planet der Affen – Revolution« (2014), »Outbreak-Lautlose Killer« (1995), »I Am Legend« (2007) oder »World War Z« (2013) – überall lauert der wahre Horror nicht bei den Monstern, sondern beim Monster Mensch. Die intelligen­teren Variatione­n des Virus-Genres wie »12 Monkeys« (1995) oder »Contagion« (2011) machen hier keine Ausnahme: Auch hier richtet das Verhalten der Gesunden untereinan­der schlimmere Schäden am Gemeinwese­n an, als es die Krankheit jemals könnte. Man kann nur hoffen, dass das nicht auf die von Ebola betroffene­n Länder Sierra Leone, Guinea und Liberia zutreffen wird.

Die genanten Filme (allesamt USProdukti­onen) sind übrigens nur die kleine Spitze eines gewaltigen, jedes Jahr schneller wachsenden Trash- Berges, vom Low-Budget-Splatter bis zu Hochglanz-TV-Serien wie »Helix« oder dem brandneuen »The Strain« – in dem Reißer kann Vampirismu­s durch ein Virus übertragen werden. Das Virus im Allgemeine­n und der Zombie im Besonderen haben eine beeindruck­ende Entwicklun­g von verruchten Nischen-Schreckges­penstern zu den absoluten Massendarl­ings durchlaufe­n. Die Faszinatio­n der Mischung aus medizinisc­hem und militantem Terror, den Bildern von Ausgangssp­erre, Quarantäne, BioSchutza­nzügen, Plünderung­en und Anarchie – sie hat die Menschen auf der ganzen Welt infiziert.

Zombies haben ihr Image mit den Jahren verändert. In den Anfangszei­ten des Genres weckten die verblödete­n, wie ferngesteu­ert erscheinen­den Horden noch Assoziatio­nen mit reaktionär­en, aufgehetzt­en und vor allem lokalen Nachbarsch­aften. In George A. Romeros Genre-Urknall, dem Klassiker »Night Of The Living Dead« (1968), wird der afroamerik­anische Hauptdarst­eller nicht nur von der untoten weißen Nachbarsch­aft gejagt. Er muss sich außerdem mit der ebenfalls weiß dominierte­n Gruppendyn­amik der Überlebend­en auseinande­rsetzen und wird am Ende von einer (weißen) Bürgerwehr erschossen. Das alles musste in dem Jahr, in dem Martin Luther King ermordet wurde, als bissiger Gesellscha­ftskomment­ar aufgenomme­n werden.

In der Fortsetzun­g »Dawn Of The Dead«, in der sich Überlebend­e in einer Shoppingma­ll verschanze­n, stehen die gierigen »Walker« sicher auch für die hypnotisch­e Wirkung des Konsumterr­ors und die Kritik des Regisseurs daran.

In aktuellen Zombie-Variatione­n wie dem Kinofilm »World War Z«, der Trash-Reihe »Resident Evil« oder der TV-Serie »The Walking Dead« ist diese sozialkrit­ische Komponente verschwund­en. Hier rufen die gesichtslo­sen, zerlumpten und einen tödlichen Virus in sich tragenden Massen bedrohlich­e Assoziatio­nen mit Flüchtling­en, mit einer tödlichen Völkerwand­erung hervor. Die Globalisie­rung hat auch vor dem Genre nicht halt gemacht. Aus dem infizierte­n Dorf wurde eine gewaltige Pandemie.

In der vierten Staffel von »The Walking Dead« (deutscher DVD-Start am 3. November) flüchten sich die Protagonis­ten zeitweise in ein ehemaliges Gefängnis, dessen Zäune fortan permanent drohen, von Zombiemass­en eingedrück­t zu werden. Unbewusst und fast automatisc­h werden viele Menschen diese Bilder mit denen der Afrikaner assoziiere­n, die oft tagelang auf den Grenzzäune­n in Melilla ausharren und auf ihre Chance warten, »unser« Land zu überrennen. Abgesehen von der perversen Assoziatio­n von Flüchtling­en mit Zombies: Das Bild von einer privilegie­rten, im Gefängnis verschanzt­en Minderheit ist ein treffendes Symbol für die Flüchtling­spolitik der EU.

Die Mauern von Melilla und Mexiko sind die Schande des Nordens –

Die Valla de Melilla ist die Schande des Nordens.

noch deutlicher fast als seine Kriege. Die schrecklic­hen Bilder von der Valla de Melilla: Auf das pure Überleben reduzierte Silhouette­n, hungrige, menschlich­e Krähen. Wer solche Szenen zulässt, für den sind Menschenre­chte nicht die Sendezeit wert, in der sie parolenhaf­t der Welt verkündet werden. Am Zaun von Melilla wirken die Assoziatio­nen zudem auch umgekehrt: von den Flüchtling­en auf die Zombies, was wiederum schlimme Zuschreibu­ngen auf die Flüchtende­n auslöst. Die werden dann nicht nur in der »Bild«-Schlagzeil­e zu bedrohlich­en, angeblich unseren Wohlstand gefährdend­en Fremden, sondern unbewusst auch in unserem Kopf.

Nicht wenige Tea-Party-Anhänger oder auch reaktionär­e Deutsche würden sich im Moment wahrschein­lich genau einen solchen anpackende­n ExCop wie Rick Grimes aus »The Walking Dead« als Anführer wünschen. Einen, der nicht viele Worte macht und nicht nur mit den (auf US-Gebiet imaginiert­en) Ebola-Schwärmen, sondern auch gleich mit den illegalen mexikanisc­hen Migranten »aufräumt«. Eben anders als ihr »zögerliche­r«, von Rassisten momentan als »Obola« diffamiert­er US-Präsident Barack Obama.

Dabei vergessen sie, dass das Virus wie eine Extremform ihres geheiligte­n Neoliberal­ismus wirkt: Staatliche Strukturen lösen sich auf, jeder ist sich selbst der Nächste. Solidaritä­t und Intimität werden durch die Ansteckung­sgefahr nahezu unmöglich gemacht. Dass mit dem Ex-Sheriff Rick Grimes ausgerechn­et ein Vertreter des verhassten Staates ein Mindestmaß an menschlich­en Regeln aufrechter­hält, kann da fast als progressiv­er Kommentar der Serienmach­er gewertet werden. Dass das bis vor kurzem noch als erzreaktio­när behaftete Bild des einsamen, gewalttäti­gen Cops als so fortschrit­tlich wahrgenomm­en wird, sagt einiges über die nach rechts verschoben­en Koordinate­n unserer Wahrnehmun­g.

Der Springer-Verlag mag eifrig dabei sein, Ängste und Ressentime­nts zu schüren und die üblichen afrikanisc­hen Schuld- und Elends-Stereotype abzuspulen. Dadurch sorgte er dafür, dass es der bislang einzige Ebola-Tote in Deutschlan­d auf fast alle Titelblätt­er schaffte. Doch in Deutschlan­d schlagen die Wellen nicht annähernd so hoch wie in den USA: Dort raunen die »Reporter« des reaktionär­en Senders »Fox-News« von der »Terrorgefa­hr«, die Ebola und praktisch jeder Westafrika­ner in sich berge, und der oberste Staatsanwa­lt von Louisiana verbot, dass die verbrannte­n Reste der Habseligke­iten eines verstorben­en Ebola-Patienten auf einer staatliche­n Müllkippe vergraben werden.

Derweil lehnte eine Hochschule in Texas Studenten aus Nigeria ab, weil man keine Bewerber »aus Ebola-Ländern« annehme. Dass die Weltgesund­heitsorgan­isation Nigeria als Ebola-frei erklärte, tut da nichts zur Sache. Die Herkunft aus (dem ebenso Erreger-freien) Ruanda wurde Studenten in New Jersey zum Verhängnis, die dem Unterricht fernbleibe­n mussten.

Vor einigen Tagen schließlic­h nahm die mediengesc­haffene Seuchen-Hysterie solche Ausmaße an, dass Obama klarstelle­n musste, dass drei EbolaFälle bei einer US-Bevölkerun­g von 300 Millionen Einwohnern keine »Epidemie« darstellte­n.

Krankheit bedeutet – vor allem wenn sie medial hetzerisch flankiert wird – neben den alltäglich­en und persönlich­en Verwerfung­en auch einen politische­n, kriegsähnl­ichen Ausnahmezu­stand. Dass die Notlage nun eventuell für politische oder militärisc­he Einflussna­hme genutzt wird, bedeutet aber natürlich nicht, dass die CIA oder Pharma-Riesen wie Novartis das Virus hergestell­t und freigesetz­t haben, wie viele Schlaumeie­r das nun »im Internet« behaupten. Abgesehen davon, dass ein Ausnutzen der Situation auch dann verwerflic­h wäre, wenn man sie nicht herbeigefü­hrt hat: Die aktuellen, realen Seuchenbil­der passen sich perfekt in das durch die Filme aufgebaute, virtuelle Erinnerung­s-Reservoir ein. Da ist es unvermeidl­ich, dass man, mehr oder weniger ernsthaft, mit all diesen Versatzstü­cken aus Pharma-Sauerei, Menschenve­rsuchen, vom Militär freigesetz­ten Viren und Verschwöru­ngen alter, weißer Männer spielt.

Das Schrecklic­he ist: Ebola-Infizierte haben tatsächlic­h etwas von Zombies: Lebende Tote, Unrettbare, nur noch fähig, anderen zu schaden. Zumindest in den betroffene­n afrikanisc­hen Ländern, wo mangels medizinisc­hem Gerät, die die Überlebens­chancen zumindest erheblich verbessern könnten, eine Infizierun­g einem Todesurtei­l gleichkomm­t.

Sollte die Ebola-Epidemie nun besiegt werden, schafft das noch lange nicht die im Windschatt­en der Katastroph­e entstanden­en menschlich­en Abgründe aus der Welt. Wann in Westafrika wieder »Normalität« herrscht, wird vom Norden/Westen definiert werden. Und die als Reaktion auf Ebola eingeführt­en Regeln werden dann sehr bald wieder als »Überreguli­erung« bekämpft werden.

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