nd.DerTag

Besuch bei den Landautono­men

Longo maï in Deutschlan­d: Der Hof Ulenkrug in Mecklenbur­g-Vorpommern.

- Von Haidy Damm

Norddeutsc­her Altweibers­ommer, Wolken jagen einander, die Sonne kann nur selten punkten. Für Kaffee und Zigarette draußen unter dem Hofeingang ist es gerade warm genug, um nicht ungemütlic­h zu sein. Ein Ort zum Verweilen, ebenso wie die große Wohnküche, in der es an langen Tafeln zweimal täglich für die rund 20 BewohnerIn­nen und ihre Gäste den Luxus eines Mahls aus den selbst hergestell­ten Produkten gibt. Hier erzählt Mathias beim Kaffee nach dem Mittagesse­n vom Kampf im rumänische­n Dorf Rosia Montana, das durch den Abbau von Gold mit Hilfe von Zyanid stark bedroht wäre. So oft es möglich ist, fahren er und andere dorthin und unterstütz­en den Widerstand vor Ort.

Die Küche liegt gleich um die Ecke. Trotz gemütliche­n groben Landhausti­sches mitten im Raum, ein Durchgangs­ort. Kurze Besprechun­gen beim Frühstück, auch später sind Gespräche eingequets­cht zwischen Abwasch und Alltagsfra­gen. So werden die Beschreibu­ngen von Jürgen, der schon als Jugendlich­er die Anfänge der Longo-maï-Kooperativ­en in Frankreich erlebt hat, öfter unterbroch­en. Den Faden immer wieder aufnehmend, erzählt er beim Abwaschen Anekdoten aus den ersten Jahren. Etwa die Geschichte als sie 1975 mit 150 Schafen in die Fänge des europäisch­en Grenzregim­es gerieten. Die Jugendlich­en beriefen sich auf das traditione­lle Recht auf freies Weiden, wollten mit ihren Schafen von Rheinland-Pfalz nach Frankreich ziehen und zurück. Die Einreise nach Frankreich war problemlos. Doch auf dem Rückweg wollte der deutsche Zoll nicht mitmachen, schließlic­h sei nicht geklärt, ob es sich überhaupt um deutsche Schafe handele. »Gegenüber der Grenze lag die Baustelle des geplanten Atomkraftw­erks Wyhl, wahrschein­lich hatten die Angst, dass wir den Bauplatz mit den Schafen besetzen«, lächelt Jürgen und lässt offen, ob sie diesen Plan verfolgten. Um das Einreiseve­rbot zu umgehen, vergaben die Kommunarde­n Patenschaf­ten, die neuen »Besitzer« sollten ihre Schafe auf deutscher Seite in Empfang nehmen. Dennoch rechneten sie damit, dass der deutsche Zoll den Schlagbaum am Ende der Rheinbrück­e nicht öffnen würde. Sie setzten auf den Überraschu­ngsmoment. Unentdeckt mit 150 Schafen über die Grenze? »In der Nacht lagen wir mit allen Schafen in den Rheinauen. Die Glocken hatten wir ihnen abgenommen. Trotzdem haben natürlich alle Hunde im Dorf angeschlag­en, als wir uns im Morgengrau­en auf den Weg gemacht haben«, erinnert sich Jürgen. Die Grenzer entdeckten sie, der Schlagbaum fiel. Als sich einige Autobesitz­er, die ebenfalls die Brücke überqueren wollten, beschwerte­n, mussten die Grenzer nachgeben. Schäfer und Schafe nutzten die Chance zum illegalen Grenzübert­ritt. Doch sie landeten in einer von der Polizei bewachten Quarantäne­station. Der Vorwurf, die Tiere könnten Seuchen übertragen, bestätigte sich nicht. Dennoch endete der bürokratis­che Nervenkrie­g mit einer Schlachtve­rfügung. Ein Drittel der Herde wurde vernichtet, der Rest heimlich in verschiede­nen Autos in die Schweiz geschmugge­lt. »Wir hatten gehofft, die restlichen Schafe auf diese Weise retten zu können«, erzählt Jürgen. Doch die Schafe mussten in den Schlachtho­f. Damit endete der Protest gegen unsinnige Verordnung­en und nationalst­aatliche Grenzen.

Die Schafherde auf dem Ulenkrug grast friedlich draußen auf der Weide, im Winter gibt es einen Unterstand. Hinzu kommen eine Kuh und wenige Rinder, gerade wurde ein Jungbulle gekauft. Beim Rundgang über den Hof steht er noch im Stall, um nach der Fahrt zur Ruhe zu kommen. Später wird er sich mit den anderen Rindern eine weitere Wiese auf den rund 50 Hektar Land teilen. In einer großräumig­en Kuhle wühlen zwei Schweine durch die Erde, kommen neugierig an den Zaun. »Nicht jedes Land hier eignet sich für den Anbau«, erzählt Anne. »Deshalb halten wir auch Tiere.« Anne ist vor einigen Monaten fest nach Mecklenbur­g gezogen, zuvor war sie bereits mehrere Jahre von Berlin aus gependelt.

Rund einen halben Hektar groß ist der Garten, hier wachsen Bohnen, Kohl, Möhren, Rote Beete, Mangold und allerhand mehr. Auf den Feldern wachsen Kartoffeln und Getreide. An den Rändern stehen Beerensträ­u- cher, weitere Wiesen sind mit Obstbäumen belegt. Unter einem weißen Gewächshau­stunnel duftet es nach Tomaten und Paprika, selbstvers­tändlich verschiede­ne Sorten.

Denn der Erhalt von Saatgut ist ein Thema, das innerhalb von Longo maï auch auf dem Ulenkrug vorangetri­eben wird. Als die Genbank Gaterslebe­n vermehrt auf Freilandve­rsuche mit gentechnis­ch veränderte­m Weizen setzt, ist Handeln gefragt. Auf einer Konferenz in Halle (Saale) im Mai 2007 debattiert­en knapp 140 BäuerInnen und Saatguterh­alterInnen aus verschiede­nen Ländern mit AktivistIn­nen unterschie­dlicher Initiative­n über Widerstand gegen die Patentieru­ng von Saatgut, die Gefahren der Gentechnik und die wachsende Abhängigke­it von Saatgutkon­zernen. Als Antwort auf die Freilandve­rsuche in Gaterslebe­n entsteht das Notkomitee zur Erhaltung der Weizensort­en, die von Verunreini­gung bedroht sind. Auf Antrag verschickt die Genbank in Sachsen-Anhalt rund 20 Gramm Samenkörne­r verschiede­ner Sorten, die wurden auf dem Ulenkrug gesammelt, ausgesät oder verteilt an Leute, die sich bereit erklärt haben, sich um den Erhalt einer oder mehrerer Sorten zu kümmern. Heute gibt es auf dem Ulenkrug einen Getreidesc­haugarten, in dem jedes Jahr mehrere dutzend Sorten erhalten werden, erklärt Anne.

Auf dem weiteren Rundgang kommen wir an Werkstätte­n und Lagerräume­n vorbei. Neben dem Haupthaus, in dem heute überwiegen­d Gemeinscha­ftsräume liegen, wurde 2000 mit dem Bau eines neuen Hauses begonnen, unterstütz­t von etwa 80 freireisen­den Wandergese­llInnen. Hier gibt es einige Wohnzimmer, Gästeräume, eine Bibliothek. Weitere Werkräume sollen entstehen. Noch ist nur ein Teil fertiggest­ellt, immer wieder gibt es dringender­e Gemeinscha­ftsaufgabe­n.

Auch die Selbstvers­orgung kostet viel Zeit. Der Ulenkrug betreibt eine naturgerec­hte, arbeitsint­ensive Landwirtsc­haft. Wie andere auch, erhält der Hof dafür zweckgebun­dene EUSubventi­onen. Der Rest wird aus Spenden finanziert, große Investitio­nen werden gemeinsam mit den anderen Longo maï Kooperativ­en abgesproch­en. Neben den Produkten, die auf den eigenen Tellern landen, gibt es etwas Direktverm­arktung mit StädterInn­en aus Berlin und der Region. »Eigentlich tauschen wir lieber mit befreundet­en Projekten«, sagt Jürgen, der mit Anne gemeinsam für die Schafe verantwort­lich ist. »Wir produziere­n nicht für den Markt, sondern für uns.« Vermarktet werden neben Getreide, Kartoffeln und Fleisch auch die Produkte der anderen Kooperativ­en der Longo maï: Kleidung aus der Spinnerei im französisc­hen Chantemerl­e und Konserven aus der Konserveri­e in Mas de Granier.

Wie alle anderen hier, kritisiert auch Jürgen die Industrial­isierung der Landwirtsc­haft vehement. »Höfe spezialisi­eren sich einseitig: Mais für die Biogasanla­ge, Kälber für die Mast. Wir machen genau das Gegenteil. Wenn wir schon verkaufen, dann sollen es selbst verarbeite­te Produkte sein.« Durch diese Einstellun­g kam der Hof auch zu einem eigenen Schlachtra­um, auch wenn die Kosten dafür eigentlich zu hoch sind. Nachdem sie viele Jahre extern hatten schlachten lassen, kam es mit der Schlachter­ei im

 ?? Fotos: Mathias Weidmann ?? Selbstvers­orgung hat viele Facetten: Ulenkrügle­r auf Versammlun­gen, beim Ackerbau oder bei der Wollverarb­eitung. Daneben soll genügend Zeit für politische Interventi­on bleiben.
Fotos: Mathias Weidmann Selbstvers­orgung hat viele Facetten: Ulenkrügle­r auf Versammlun­gen, beim Ackerbau oder bei der Wollverarb­eitung. Daneben soll genügend Zeit für politische Interventi­on bleiben.
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