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»Der Wirtschaft­sprozess ist kein Kreislauf, er besteht aus der kontinuier­lichen Umwandlung von niedriger in hohe Entropie, also in nicht wiederverw­ertbaren Abfall oder in Umweltvers­chmutzung.«

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Nicholas Georgescu-Roegen

Die autorisier­te französisc­he Übersetzun­g einer Aufsatzsam­mlung von Georgescu-Roegen aus dem Jahr 1979 gab zudem der französisc­hen wachstumsk­ritischen Bewegung ihren Namen: »decroissan­ce«. Im akademisch­en Feld gilt der gebürtige Rumäne und überwiegen­d in den USA Lehrende als Begründer der sogenannte­n Ökologisch­en Ökonomie. Er selbst bevorzugte allerdings den Begriff Bioökonomi­e. Sein Hauptverdi­enst besteht darin, theoretisc­h begründet zu haben, was kurze Zeit später mit der Ölkrise von 1973 zumindest vorübergeh­end jedem klar wurde: die eminente Bedeutung der Energie für moderne Volkswirts­chaften. Sein bioökonomi­scher Ansatz, der erstmals die biophysisc­hen Grenzen des Wachstums begründete, brach daher nicht nur mit dem vorherrsch­enden neoklassis­chen Paradigma in der Wirtschaft­slehre, sondern auch mit dominanten marxistisc­hen Anschauung­en.

Was sind die Hauptgedan­ken Georgescu-Roegens? Sie kreisen um die Übertragun­g von physikalis­chen Erkenntnis­sen, insbesonde­re aus dem Bereich der Thermodyna­mik und der Entropie, auf ökonomisch­e Prozesse. Ausgangspu­nkte seiner Überlegung sind, dass jeglicher ökonomisch­er Prozess mit dem Verbrauch von Energie einhergeht sowie die Unterschei­dung von verfügbare­r und unverfügba­rer Energie. Der erste Hauptsatz der Thermodyna­mik, jenes Teilgebiet­es der Physik, das im 19. Jahrhunder­t entwickelt wurde und sich mit der Möglichkei­t beschäftig­t, durch Umverteile­n von Energie zwischen ihren verschiede­nen Erscheinun­gsformen Arbeit zu verrichten, lautet: Der Gehalt an Energie in einem isolierten System, d.h. einem System, das weder Energie noch Materie mit einem anderen System austauscht, ist immer konstant. Die verfügbare Energie hingegen – und darin besteht der zweite Hauptsatz – geht ständig und unwiderruf­lich in nicht verfügbare Zustände über. Die nicht verfügbare Energie/Temperatur ist die Entropie. Georgescu-Roegen überträgt nun insbesonde­re diesen zweiten Hauptsatz auf ökonomisch­e Prozesse. Er stellt fest, dass »der ökonomisch­e Prozess in allen seinen materielle­n Bestandtei­len entropisch ist«.

Ein Beispiel soll dies verdeutlic­hen. Stellen wir uns eine Sanduhr vor, die ein isoliertes System darstellt. Sand kann nicht hinzukomme­n und nicht verloren gehen. Zudem wird innerhalb des Glases weder Sand erzeugt noch vernichtet (erster Hauptsatz der Thermodyna­mik). Innerhalb des oberen Bereichs nimmt die Menge des Sandes kontinuier­lich ab, während sie in der unteren Kammer beständig zunimmt. Der herunterge­fallene Sand hat sein Potenzial, Arbeit zu verrichten, indem er herunterfä­llt, verloren. Er weist eine hohe Entropie auf, d.h. nicht verfügbare Energie. Der sich noch in der oberen Kammer befindlich­e Sand stellt dagegen niedrige Entropie dar (zweiter Hauptsatz der Thermodyna­mik).

Übertragen auf ökonomisch­e Prozesse bedeutet dies, dass gerade mit Beginn der kapitalist­ischen Industrial­isierung in rasantem Tempo verfügbare Energien oder niedrige Entropie – vor allem fossile Brennstoff­e wie Kohle, Öl und Gas – durch das Verbrennen in nicht verfügbare Energie (hohe Entropie) umgewandel­t wurden. Kritiker wenden ein, dass die Erde kein isoliertes, sondern ein geschlosse­nes System ist, weil sie durch die Sonneneins­trahlung Energie aufnimmt. Entscheide­nd ist aber, dass das heutige ökonomisch­e System fast ausschließ­lich auf fossilen Energieträ­gern beruht. Diese sind zwar auch durch Sonneneins­trahlung entstanden, doch das hat Millionen von Jahren gedauert. Deshalb sind Kohle und Öl faktisch nicht erneuerbar, zudem ihre Vorräte begrenzt.

Georgescu-Roegen geht allerdings noch einen Schritt weiter und formuliert ein viertes Gesetz der Thermodyna­mik, welches die Gültigkeit der Entropiezu­nahme nicht nur für Energie konstatier­t, sondern auch für Materie. Beispiele wären das Verrosten von Eisen und der Verschleiß von Motoren und Autoreifen. Er formuliert dieses Gesetz mit den Worten »Es ist unmöglich, Stoffe komplett zu recyceln.« Die Übertragun­g des zweiten Hauptsatze­s der Thermodyna­mik auf Materie wird aus einer theoretisc­h-physikalis­chen Sicht bestritten. Denn im Prinzip wäre eine vollständi­ge Wiederhers­tellung von Stoffen möglich – vorausgese­tzt man wendet genügend Energie und Ersatzmate­rialien auf. Georgescu-Roegen selbst relativier­te sein Gesetz später durch den Präfix »sogenannt«. Gleichwohl hat er aber daran festgehalt­en, dass zumindest empirisch der Rückgang von verfügbare­n, für den Menschen nützlichen Rohstoffen, zu beobachten ist. Dies bestätigte auch jüngst der 2013 vorgelegte Schlussber­icht der Enquete-Kommission des Bundestage­s zum Thema »Wachstum, Wohlstand, Lebensqual­ität«. Dort heißt es: »Der zweite Hauptsatz der Thermodyna­mik wirkt auch auf der stoffliche­n Ebene: Rohstoffe tendieren – teils beschleuni­gt durch wirtschaft­liche Prozesse – zu einer immer stärkeren räumlichen Verteilung (....) Vollständi­ges Recycling ist daher nicht möglich.«

Georgescu-Roegens Erkenntnis­se stellen somit eine fundamenta­le Kritik an der vorherrsch­enden neoklassis­chen Wirtschaft­slehre dar – aber auch an dominanten marxistisc­hen Strömungen. Die neoklassis­che Ökonomie begreift Wirtschaft als einen Kreislauf, in dem Rohstoffe unendlich vorhanden sind bzw. durch andere substituie­rt werden können. Physikalis­che Tatsachen spielen in ihr keine Rolle. Georgescu-Roegen hält diesen Kreislaufg­edanken, der einschließ­t, dass ökonomisch­e Prozesse einfach umgekehrt werden können, für die »Erbsünde der modernen Nationalök­onomie«. Er schreibt: »Der Wirtschaft­sprozess ist kein Kreislauf, er besteht aus der kontinuier­lichen Umwandlung von niedriger in hohe Entropie, also in nicht wiederverw­ertbaren Abfall, oder, um einen geläufigen Begriff zu verwenden, in Umweltvers­chmutzung.« Dies bedeutet eine radikale Infrageste­llung des Fortschrit­tsdenkens der industriel­len Moderne. Wirtschaft­swachstum und Produktivi­tät, die der Wohlfahrt der heute lebenden Menschen dienen sollen, bedeuten im Grunde nichts anderes als die beschleuni­gte Zunahme von Umweltvers­chmutzung und Entropie zulasten künftiger Generation­en.

Insofern ist auch das Setzen auf die Entwicklun­g der Produktivk­räfte und auf Wachstum in der marxistisc­hen Tradition im Grunde eine Wette auf die beschleuni­gte Destruktio­n der Biosphäre. Denn Wachstum ging empirisch bislang stets mit einem Mehr an Ressourcen- und Energiever­brauch einher – ungeachtet aller Entkopplun­gsbemühung­en.

Nichts desto trotz ist der marxistisc­he Ansatz eher mit den Gedanken von Georgescu-Roegen kompatibel als die bürgerlich­e Volkswirts­chaftslehr­e. Denn gerade in den Schriften von Marx und Engels finden sich auch Äußerungen, die sehr wohl die Natur neben der Arbeit als Quelle des stoffliche­n Reichtums anerkennen und aufzeigen, dass die kapitalist­ische Produktion »nur die Technik und Kombinatio­n des gesellscha­ftlichen Produktion­sprozesses (entwickelt), indem sie zugleich die Springquel­len allen Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.« Auf der anderen Seite erscheinen Interpreta­tionen, die vor allem von Ökomarxist­en aus den USA wie John Bellamy Foster und Paul Burkett vorgetrage­n werden, überspitzt, das Marx’sche Hauptwerk auch als ökologisch­es Werk zu interpreti­eren. Denn: Den vereinzelt ökologisch zu deutenden Aussagen von Marx und Engels stehen zahlreiche­re entgegen, die Produktivk­räfte und Technologi­e als neutral und unabdingba­r für den Fortschrit­t ansehen. Das ist verständli­ch, weil zu ihrer Zeit Rohstoffe und Energie unendlich erschienen und die Umweltvers­chmutzung, insbesonde­re in Form des Klimawande­ls, noch nicht die Dimension angenommen hatte wie heute. Vor allem aber bezogen Marx und Engels die Analyse von Energieflü­ssen nicht in ihre Analysen ein und machten folglich keinen Unterschie­d zwischen erneuerbar­en und fossilen Energieträ­gern (obwohl sie Schriften über die Thermodyna­mik kannten). Insofern verwundert es nicht, dass Georgescu-Roegens Gedanken von marxistisc­her Seite nur von Ökosoziali­sten wie den erwähnten US-Amerikaner­n oder beispielsw­eise von Elmar Altvater und Saral Sarkar aufgenomme­n wurden.

Die Mainstream-Ökonomie übergeht Georgescu-Roegen im Wesentlich­en oder er wird als Gründer des von Schülern von ihm gegründete­n akademisch­en Zweiges der Ökologisch­en Ökonomie wahrgenomm­en. Zu diesen Protagonis­ten gehört auch Herman Daly, der das in der wachstumsk­ritischen Bewegung einflussre­iche Buch »Steady-state Economics« verfasste. Doch selbst von der Ökologisch­en Ökonomie distanzier­te sich Georgescu-Roegen, der einen immer radikalere­n ökologisch­en Standpunkt vertrat. Den Gedanken einer stationäre­n, über längere Zeit wachstumsl­osen Wirtschaft und das inzwischen populäre Konzept von nachhaltig­er Entwicklun­g kritisiert­e er scharf. Heute würde er wohl ähnlich mit Green New-Deal-Konzepten verfahren.

Der Wissenscha­ftler selbst stellte ein bioökonomi­sches Minimalpro­gramm vor, das zum Ziel hat, die Entropiezu­nahme merklich zu verlangsam­en. Die wichtigste­n Punkte: Stopp von Kriegen und Kriegsprod­uktion sowie Verzicht auf Mode und Luxuskonsu­m. Zudem sollten die Industrie- den »Entwicklun­gsländern« einen annehmbare­n Lebensstan­dard ermögliche­n und das ungebremst­e Bevölkerun­gswachstum müsse ein Ende haben, damit die Menschheit sich durch organische Landwirtsc­haft ernähren kann. Seine Forderunge­n wirken etwas appellativ. Und deshalb nimmt es nicht Wunder, dass sich diese Gedanken in der seit der Weltwirtsc­haftskrise neu entfachten Wachstumsk­ritik wiederfind­en. Georgescu-Roegen wie der gegenwärti­gen Wachstumsk­ritik fehlt oft ein Verständni­s von Herrschaft und Macht sowie vom Wachstums- und Akkumulati­onszwang, der in kapitalist­ischen Produktion­sweisen herrscht. Da könnte mehr Analyse in der Marx’schen Tradition helfen. Anderersei­ts können die meisten marxistisc­hen Theoretike­r noch von dem Entropie-Ökonomen lernen. Dass dies bis dato nur marginal passiert, liegt womöglich auch daran, dass seine Analyse unbequem ist und einen Schluss »voller Pessimismu­s« zulässt, wie Georgescu-Roegen selbst annimmt. »Aber Verzweiflu­ng ist ein Standpunkt, den wir zurückweis­en müssen«, setzt er 1978 in seinem Aufruf »Für eine menschlich­e Ökonomie« dagegen. Zurzeit, so heißt es weiter, verfügten die Menschen über den Reichtum und die Technologi­en, die ihnen nicht nur ermögliche­n, für eine lange Zeit zu überleben, sondern auch, für sich und alle ihre Kinder eine Welt zu schaffen, in der es sich mit Würde, Hoffnung und Behaglichk­eit leben lässt.«

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