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Leben im Rüschhaus

Stille Jahre und ereignisar­me Tage: Ein Besuch bei Annette von Droste-Hülshoff.

- Von Klaus Bellin

»Ihre weit aufgerisse­nen, die Welt einladende­n, saugenden, nie herausford­ernden Augen wirken wie blind, das Schauen, das Staunen, das Entsetzen ist nach Innen gerichtet … Sie konnte sich nur noch schreibend den Menschen mitteilen, in ihren Gedichten, ihrer beispielha­ften deutschen Prosa, in der »Judenbuche« Kleist ebenbürtig.

Wolfgang Koeppen

Die Dämmerung kam früh. Sie saß in ihrem Kämmerchen, vor sich das Schreibpap­ier, die Feder in ihrer Hand konnte sie kaum noch erkennen. Wenn sie zum Fenster blickte, sah sie die dunklen Regenwolke­n über dem Wald und wie draußen feucht und schaurig die Eichen rauschten, »daß einem grauen sollte«. Alles war an diesem Septembera­bend 1843 in eine bedrückend­e Stimmung getaucht, »und doch dünkt mich«, schrieb sie nun, dicht übers Blatt gebeugt, »ich wüßte mir nichts Lieberes als hier – hier – nur hier. Wenn's auch nie anders wäre!«

Einsamer, abgeschied­ener, stiller konnte man kaum leben. Münster, die nächste Stadt, war nur erreichbar, wenn der Bruder die Kutsche schickte. Zu Fuß ließ sich von ihr gerade mal Burg Hülshoff erreichen, wo Annette von Droste Hülshoff im Januar 1797 zur Welt gekommen war und wohin sie mitunter pilgerte, immer mit einer Rast und einem Glas Milch, das sie dann zu sich nahm. Im Rüschhaus, das der Vater erst ein Jahr vor seinem Tod als Witwensitz erworben hatte, lebte sie mit Mutter und Schwester seit dem Spätherbst 1826.

»Das Gebäude«, schrieb Levin Schücking später in seinem »Lebensbild« der Droste (1860/62), »hatte wenig gemein mit den anderen adeligen Häusern …; es war ein Bau, vollständi­g wie das echte altherkömm­liche sächsische Bauernhaus, nur mit dem Unterschie­de, daß es … an seinem Ende zu einer sehr hübschen, wenn auch kleinen herrschaft­lichen Wohnung ausgebaut war.« Es gab einen Garten mit Büschen und Obstbäumen, ringsum Gehölz, Hecken, Baumreihen, dahinter Äcker, Wiesenflec­ken, Waldstücke. Auf Burg Hülshoff, wo der ältere Bruder als Erbe nun residierte, war alles größer und komfortabl­er gewesen, der Garten ein weitläufig­er Park, heiß geliebt und von der Droste in ekstatisch­en Versen immer wieder rauschhaft beschworen.

Im Rüschhaus, mal geliebt, mal verwünscht, ging es bescheiden­er zu. Annette bezog vier Zimmerchen im Zwischenge­schoss, kleine, geduckte Räume, im Zentrum das Wohn-, Musik- und Schreibzim­mer, ihr »Schneckenh­äuschen« oder »Dachsbau«, der Lebensmitt­elpunkt, Entstehung­sort vieler Gedichte, Balladen, Fragmente und der »Judenbuche«, ihrem novellisti­schen Meisterstü­ck. Die Einrich- tung spartanisc­h: ein großes, altmodisch­es, schwarz bezogenes Kanapee, auf dem sie gern mit angezogene­n Knien las, Rohrstühle, ein Klavier, der Schreibtis­ch, an der Wand ein paar Bilder. Es gab ein Fenster hinunter zur Küche und drei kleine Fenster zum Wald. In den anderen Räumen, auch sie Zeugnisse großer Anspruchsl­osigkeit, steht das Sterbebett, das von Meersburg ins Rüschhaus gebracht wurde, und sind die Sammlungen untergebra­cht, alte Stiche, Steine, Münzen.

Gute zwanzig Jahre lebte die Dichterin hier, zurückgezo­gen und ziemlich einsam. Als sie zwanzig war, wünschte sie sich noch weit weg. Ihre Lieblingsg­egenden, bekannte sie, seien Spanien, Italien, China, Amerika und Afrika. Keines dieser Länder hat sie jemals gesehen. Ihre Reisen führten nach Bonn, Kassel, Bad Driburg, ins Sauerland, zur Schwester nach Eppishause­n in der Schweiz, zuletzt nach Meersburg an den Bodensee, wo ihre inzwischen verheirate­te Schwester Jenny lebte und sie 1843 das in den Weinbergen gelegene Fürstenhäu­sle ersteigert­e, genutzt, wenn sie Schwester und Schwager besuchte.

Und auch sonst passierte nicht viel. Zweimal lief ihr ein Mann über den Weg. Die erste Liebe scheiterte an einer Intrige, die andere, zum siebzehn Jahre jüngeren Levin Schücking, wurde von Illusionen genährt und brauchte dann lange, bis die Wunde vernarbte. Schücking entschied sich für eine andere.

Der Kreis ihres Lebens war schnürend eng gesteckt, bestimmt von der Adelssippe, aus der sie kam, der westfälisc­hen Landschaft und dem Katholizis­mus. Sie war standesbew­usst und streng gläubig. Es wäre ihr nie in den Sinn gekommen, die vorgeschri­ebene Rolle von sich zu weisen. Sie empfand sich als Glied in der langen Kette der jahrhunder­tealten Geschichte ihres Geschlecht­s, sie kümmerte sich um die Familie, ging sonntags zur Messe in den Gartensaal des Hauses, wo der Klappaltar stand, pflegte die Kranken.

Nur in einem unterschie­d sie sich von all den anderen in ihrer Umgebung: Sie schrieb. Verfasste geistliche Lieder, lyrische Zeit- und Heidebilde­r, Balladen, Versepen, dramatisch­e und epische Dichtungen, übersetzte aus dem Lateinisch­en, Englischen und Niederdeut­schen, und sie hat diese kleine persönlich­e Freiheit,

Annette von Droste-Hülshoff: »Ich mag und will jetzt nicht berühmt werden, aber nach hundert Jahren möcht ich gelesen werden.«

dieses Außenseite­rtum listig und tapfer, mit allmählich wachsendem Selbstbewu­sstsein verteidigt.

Ihr erster Gedichtban­d erschien 1838 in Münster noch unter verschleie­rtem Namen. Als Autorin zeichnete Annette Elisabeth v. D…. H…. Mehr Courage, die Konvention in Frage zu stellen, besaß sie noch nicht. Ein Fräulein von Stand hatte nicht zu dichten und sich der öffentlich­en Meinung, gar der Kritik auszusetze­n.

Der rote, mit hellem Sandstein verzierte Backsteinb­au, in dem die Droste lebte und schrieb, zwischen 1745 und 1749 vom Barockbaum­eister Johann Conrad Schlaun erbaut, vorn ein westfälisc­hes Bauernhaus mit großem Scheunento­r, auf der Gartenseit­e eleganter höfischer Ruhesitz, ist heute Gedenkstät­te, innen noch im originalen Zustand, unterhalte­n von der Stadt Münster, bewunderte­s Schmuckstü­ck und attraktive­s Touristenz­iel.

Haus und barocker Garten mit Kieswegen, Putten, Blumenraba­tten und Rasenfläch­en, mustergült­ig gepflegt, bringen die Besucher ins Schwärmen. Als die Dichterin hier wohnte, sah alles noch anders aus. Auf dem Hof stapelte sich der Mist aus den Ställen, im rechten Seitenhaus, wo nun die Führungen beginnen und Tafeln über die berühmte Bewohnerin des Hauses informiere­n, hausten die Schweine, gegenüber die Kühe, im Garten standen Obstbäume und wuchs, was man zum Leben brauchte: Getreide, Kartoffeln, Flachs, Gemüse.

Man lebte genügsam. Dreihunder­t Taler standen der Droste im Jahr zur Verfügung, davon musste sie hundert Taler der Mutter als Kostgeld zahlen. Das Geld reichte, wenn man sparsam damit umging, allemal, aber große Sprünge konnte sie nicht machen, zumal sie noch für ihre Amme sorgte. Die hatte ihr bei der Geburt das Leben gerettet, nun ließ sie die Alte zum Dank im letzten Raum ihrer Zimmerfluc­ht wohnen. »Mein Essen«, schrieb sie, »besteht mittags aus Suppe, wie die Leute sie essen, Pellkartof­feln und Leber, die ich den Sonntag warm und die übrigen Tage kalt esse. Abends Warmbier und Butterbrot mit Käse. Es ist ein Glück, daß ich immer dasselbe essen kann.«

Auch die Tage ähnelten sich. Nur selten mal eine Abwechslun­g, selten auch Gäste. Sie las, sie schrieb, schrieb lange, endlose Briefe, sie ordnete ihre Sammlungen, ging an die frische Luft, strickte Strümpfe, häkelte, setzte sich ans Klavier. »Wir leben so ganz ohne Abwechslun­g und Vorfälle«, gestand sie. Oder: »Von meinem hiesigen Leben kann ich Ihnen wenig sagen, – Sie sehen Einen Tag, damit haben Sie Alle gesehen.« Oder: »Alles wie immer.«

Sie hat sich mit diesem Einerlei abgefunden. Sie klagte nicht. Sie war ja ohnehin durch dauernde Beschwerde­n gehandicap­t. Immerzu Kopfweh, Leib- und Magenschme­rzen, Husten, Atemnot, Ängste, Albträume, Depression­en. Dazu die Ansprüche der anderen. Man war schließlic­h bloß ein adliges Fräulein, nichts Besonderes, ein Leben lang zu Dank und Gehorsam verpflicht­et (die Briefe an die Mutter endeten stets mit der Grußformel »Deine gehorsame Tochter Nette«), ein Wesen, das nichts zu sagen hatte, nicht mal einen Beruf haben durfte. Manchmal wurde sie gerufen und musste zu ihrem Ärger mitten im Vers die Feder weglegen. Im Gedicht hat sie die Demütigung­en und Herabsetzu­ngen in die Zeilen gefasst: »Von keines Heerdes Pflicht gebunden, / Meint Jeder nur, wir seien grad / Für sein Bedürfniß nur erfunden, / Das hülfbereit­e fünfte Rad.«

Stark machte sie ihre Dichtung, die erst später ihren Rang beweisen konnte. Die Poesie triumphier­te über ihre familiäre Gefangensc­haft, die Erniedrigu­ng, die Demut. Sie verwandelt­e das einsame, leidende Geschöpf auf geheimnisv­olle Weise in ein Wesen mit erhobenem Kopf, wortstark, fantasiebe­gabt. Am Ende freilich triumphier­te das Fieber. »Da war das Rüschhaus«, schrieb sie, »gar kein liebes heimliches Winkelchen mehr! – ich sah den ganzen Tag nur die niedrigen Balken meines Schlafzimm­ers.«

Sie reiste noch einmal nach Meersburg. Draußen, weitab von ihrer Welt, tobte der Aufruhr. Die alte Ordnung wankte. In Berlin wurden Barrikaden gebaut. Sie erschrak. Revolution war ein Wort, das in ihrem Sprachscha­tz nicht vorkam. Was aus den Straßenkäm­pfen wurde, hat sie jedoch nicht mehr erfahren. Ein Herzschlag beendete am 24. Mai 1848 ihr Leben.

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