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Made in Europe: Schmelztie­gel der Steinzeitk­ulturen

Genetische­r Vergleich bestätigt drei frühe Einwanderu­ngswellen.

- Von Andreas Knudsen

Große Sportereig­nisse und der Eurovision Song Contest sind sicher die besten Gelegenhei­ten für die Europäer, ihre Ähnlichkei­ten und Unterschie­de zu studieren. Dabei wird man leicht konstatier­en, dass wir uns einerseits sehr ähnlich sind, aber charakteri­stische Züge sich relativ einfach geografisc­h gruppieren lassen. Bleibt die Frage, warum das so ist. Diese hat die Genetiker seit dem Durchbruch der DNA-Technologi­e beschäftig­t und die Entdeckung­en der letzten Jahre beginnen ein deutliches Bild zu zeichnen, woher die heutigen Europäer kamen. Kürzlich veröffentl­ichte ein internatio­nales Wissenscha­ftlerteam im Fachjourna­l »Nature« (Bd. 513, S. 409) Untersuchu­ngsergebni­sse, die das Bild von der Entstehung der modernen Europäer verändern dürften.

Vor rund 8000 Jahren – in der mittleren Steinzeit – besiedelte­n nicht nur viele Pflanzen und Tiere das von den zurückweic­henden Eiszeitgle­tschern geräumte Gebiet, auch die ersten Gruppen des Homo sapiens begannen hier zu jagen und Wildfrücht­e zu sammeln. Das relativ warme Klima sicherte ihnen gute Lebensbedi­ngungen und eigentlich gab es keinen Grund für große Änderungen. Diese kamen hingegen von außen, als sich aus dem südwestlic­hen Asien, genauer gesagt dem Gebiet der heutigen Türkei, größere Menschengr­uppen auf den Weg nach Nordwesten machten. Über die Balkanhalb­insel drangen sie langsam, aber stetig vor. Sie folgten oftmals den Flussläufe­n, an deren Ufern die neuen Siedler günstige Bedingunge­n für ihr Leben vorfanden. Denn im Gegensatz zu den Jägern der ersten Besiedlung­swelle folgten sie nicht dem Wild, sondern waren auf der Suche nach neuem Ackerland, das in ihrer bisherigen Heimat knapp geworden war. Das mag in einer Zeit, wo Ackerbauer­n der Inbegriff der Sesshaftig­keit sind und ein Bauer viele Menschen ernährt, paradox klingen. Doch die recht junge Landwirtsc­haft produziert­e sich ihre erste Krise selbst. Das Nahrungsan­gebot wurde zwar einförmige­r als das der schweifend­en Jäger und Sammler, aber dafür stabiler und größer. Die Folge: eine wachsende Bevölkerun­g, die mit den vorhandene­n Methoden nicht mehr genug Land zur Bearbeitun­g vorfand.

Der Bosporus war in jener Zeit kein Hindernis, denn damals bestand zwischen Schwarzem Meer und Ägäis noch eine durchgehen­de Landbrücke. Im Laufe der Generation­en vermischte­n sich die Neuankömml­inge mit der angestammt­en Bevölkerun­g. Was diese von den Fremden hielten, die sich im Schweiß ihres Angesichts mühten, die Erde umzuwühlen, um dann darauf zu warten, dass unbekannte­s Gras darauf wächst, wissen wir nicht. Wenn man eine Analogie zu modernen Zeiten zieht, wird es vermutlich eine Mischung von Erstaunen und Belächeln gewesen sein – bis neues, wohlschmec­kendes Essen, höherer Komfort der fest siedelnden Bevölkerun­g und die Luxuswaren, die sie produziert­en, zur Nachahmung anspornten.

Die Forschergr­uppe untersucht­e das DNA-Material von neun Individuen, um dem europäisch­en Mix auf die Spur zu kommen. Sie wählten dazu das 8000 Jahre alte Skelett eines Jägers, das in einer Höhle in Luxemburg gefunden wurde, das 7000 Jahre alte Skelett einer Frau aus der Nähe von Stuttgart, die zur agrarische­n Linearband­kultur gehörte, und sieben Skelette von Jägern, die vor 8000 Jahren in der Gegend des schwedisch­en Molata lebten. Aus den Genen des Luxemburge­rs konnten die For- scher herauslese­n, dass dessen Vorfahren aus einer relativ kleinen Gruppe kamen, was auf einen evolutionä­ren »Flaschenha­ls« in dieser Entwicklun­gslinie hindeutet. Aus den Genen der Stuttgarte­rin konnte hingegen abgelesen werden, dass sich schon Generation­en vor ihr Menschen der ursprüngli­chen Jägerbevöl­kerung und solche mit Wurzeln im Nahen Osten vermischte­n. Der Luxemburge­r hatte wahrschein­lich blaue oder zumindest helle Augen, während die Stuttgarte­rin braune hatte. Während der Luxemburge­r noch eine ziemlich dunkle Hautfarbe hatte, wiesen die Individuen aus Molata und Stuttgart bereits die für heutige Europäer charakteri­stische helle Hautfarbe auf.

Doch während die Einwanderu­ng von Jägern und später Bauern nach Europa in zwei Wellen schon lange bekannt ist, enthüllen die Skelette von Molata ein weiteres Geheimnis. Ihre Gene verweisen auf eine dritte Einwanderu­ngswelle aus dem nordöstlic­hen Sibirien. Diese war bisher nicht bekannt. Die Analyse des Skeletts eines Jungen, der vor 24 000 Jahren unweit des Baikalsees beim sibirische­n Ort Malta beigesetzt worden war, hatte gezeigt, dass Europäer und Indianer einen Teil ihres Genmateria­ls teilen. Die Gene der Molata-Skelette füllen nun einen Teil der Lücke zwischen den modernen Europäern und ihren fernen sibirische­n Verwandten. Diese Gruppe spaltete sich in den folgenden Jahrtausen­den mehrfach auf. Eine von ihnen ließ sich nach dem Ende der Eiszeit im heutigen Skandinavi­en nieder.

Die Verwandtsc­haftsverhä­ltnisse der heute lebenden Europäer mit ihren Steinzeit-Ahnen wurden mit Hilfe des Erbmateria­ls von 2400 Individuen, die heute über den ganzen Kontinent verstreut leben, geklärt. Angesichts der Mobilität, die damalige Europäer auszeichne­te, ist es keine Überraschu­ng, dass sämtliche untersucht­en Europäer von heute genetische Merkmale aller drei Gruppen von Steinzeit-Neusiedler­n in sich tragen. Lediglich der prozentual­e Anteil ist unterschie­dlich und liegt zwischen 20 und 80 Prozent der einen oder anderen Gruppe und erklärt, warum ein Schwede sich äußerlich so stark von einem Griechen unterschei­det.

Die Gentechnol­ogie liefert allerdings auch Hinweise auf eine weitere, spätere Gruppe von Einwandere­rn. Finnen, Samen und Mordwinen stammen vermutlich von Menschen ab, deren Wurzeln im sibirische­n Osten zu suchen sind. Malta und Sizilien passt ebenfalls nicht ins Bild der beständige­n Vermischun­g, denn die Gene der meisten Inselbewoh­ner deuten auf eine spätere Besiedlung direkt aus dem Nahen Osten hin. Moderne Europäer sind sie gleichwohl und der nächste Eurovision­sjahrgang wird nicht nur einen neuen Mix Popmusik vorstellen, sondern wie gewohnt auch die Palette der europäisch­en Bevölkerun­g präsentier­en.

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Bild: Fredrik Hallgren Rund 8000 Jahre alter Schädel eines Jägers und Sammlers aus Schweden

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