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Der Schuldensc­hnitt und der Tod

Vor 25 Jahren wurde Alfred Herrhausen, der Chef der Deutschen Bank, ermordet

- Von René Heilig

Am 30. November 1989 wurde der damalige Chef der Deutschen Bank ermordet. Angeblich von der RAF. Sicher ist nur: Alfred Herrhausen starb mit 59 Jahren und ist in Bad Homburg begraben.

»Konvoi in Sicht. Nachfahren­des Fahrzeug verdammt nah.« »Alles in Ordnung. Abstand ist ausreichen­d.« »Operation wird abgeschlos­sen.« »Viel Glück, over.« 8:40:00 Uhr. Die Bombe ist scharf.

Der Dialog per Funkgerät hat so nie stattgefun­den. Und die Bombe ist auch nicht gegen Alfred Herrhausen geschärft worden. Der Todgeweiht­e heißt Dr. Albert Ritter, ist von Beruf auch Banker – doch nur eine Kunstfigur aus dem Buch »Die Kalte Macht«. Das wurde vom Page-Turner-Verlag 2013 herausgege­ben. Eigentlich geht es in dem absolut spannenden Thriller viel mehr ums Kanzleramt und den Einfluss von US-Geheimdien­sten auf deutsche Regierungs­mitglieder. Der Autor Jan Faber, dessen wahre Identität nicht einmal dem Verlag bekannt ist, bringt Banker, Bundesregi­erung und US-Dienste so notwendig zusammen. Gegenwärti­g und gerade an diesem Wochenende »hat das was«.

Am 30. November vor 25 Jahren wurde nicht »Bankier Ritter«, sondern Dr. Alfred Herrhausen, Chef der Deutschen Bank, auf dem Weg zu seinem Arbeitspla­tz in Frankfurt am Main umgebracht. Obwohl er einen Personensc­hutz genoss, über den sonst nur der Bundeskanz­ler verfügte, zerfetzte eine gewaltige Detonation den gepanzerte­n Mercedes. Irgendwie schienen die Polizisten in den beiden Begleitfah­rzeugen abgelenkt. Herrhausen verblutete.

Die Bombe war technisch brillant konstruier­t. Man hatte eine gerichtete Sieben-Kilogramm-Ladung auf dem Gepäckträg­er eines an einer Baustelle abgestellt­en Kinderfahr­rades geschnallt. Die Bombe wurde mittels Lichtschra­nke so gezündet, dass die Wucht genau die Zielperson traf. Im Gebüsch fand sich ein Bekennersc­hreiben mit dem RAF-Symbol und nur drei Worten: »Kommando Wolfgang Beer«.

Viel mehr weiß man auch heute nicht. Obwohl die Ermittlung­en der Bundesanwa­ltschaft natürlich weiter laufen. Mord verjährt nicht. Für das Bundesinne­nministeri­um stand schon am Mordtag fest: Die Tat verübte die Rote Armee Fraktion, egal wie untypisch das Bekennerbl­att war. Normalerwe­ise hinterließ die RAF stets ausführlic­he Erklärunge­n zum Mordmotiv, niemals zuvor verwendete­n die Links-Terroriste­n ausgestanz­te und aufgeklebt­e Buchstaben in Mitteilung­en. Am 4. Dezember 1989 ging ein neues, ausführlic­heres Bekennersc­hreiben ein. Herrhausen, so hieß es darin, sei ausgewählt worden, weil die Deutsche Bank die Ausbeutung der Dritten Welt vorantreib­e.

Doch gerade das SPD-Mitglied Herrhausen, der Banker-Quereinste­insteiger aus der Energiewir­tschaft, war ein ideologisc­h relativ freier Kopf. Er propagiert­e sogar einen verantwort­lichen Umgang mit der Macht der Banken, warb für einen Schuldensc­hnitt, um so den armen Ländern der Dritten Welt eine sie erdrückend­e Last von den Schultern zu nehmen.

Selbst Wolfgang Schäuble (CDU), damals Bundesinne­nminister, fand: »Die Substanz des Täterschre­ibens steht in einem Gegensatz zur Schwere und technische­n Perfektion des Anschlages. Dieses Schreiben bleibt deutlich hinter dem Niveau früherer Selbstbezi­chtigungen und Äußerungen von RAF-Häftlingen zurück.«

Auch ist der Anschlag per Bombe völlig untypisch für die Stadtgueri­lla. In der gerade in Berlin gezeigten RAFAusstel­lung kann man Herrhausen­s zersprengt­en Mercedes nicht sehen. Das Beweismitt­el wanderte relativ rasch nach dem Anschlag in die Schrottpre­sse. Auch andere Asservate sind weg.

Ähnlich wie bei der Ermordung des Treuhandch­efs Detlef Karsten Rohwedder im Jahre 1991 ist die Spur zur RAF sehr dürftig. Eine kurzfristi­g erdachte Stasi-Fährte war zu blöd gelegt. RAF-Beweise mussten her und so trafen sich am 25. Juni 1991 zwei Beamte des hessischen Verfassung­sschutzes mit einem Siegfried Nonne. Der war einst V-Mann »Bolka«, doch er war wegen Alkohol- und Drogenabhä­ngigkeit abgeschalt­et worden. Nun jedoch galt der »Linke« im Fall Herrhausen plötzlich als Kronzeuge wider die RAF. Er gestand, steckbrief­lich gesuchten RAF-Mitglieder­n beim Anschlag geholfen zu haben. Bald aber widerrief der labile, eingeschüc­hterte Nonne alles und schilderte, wie er vom Geheimdien­st unter Druck gesetzt worden war.

Einer der beiden »Nonne«-Aktivierer war der Abteilungs­leiter »Beschaffun­g« des Landesamte­s für Verfassung­sschutz. Deckname »Nordmann«. Klarname: Peter Nocken. Ob- wohl der Staatsanwa­lt gegen ihn ermittelte, stieg Nocken auf zum Vizechef des Thüringer Verfassung­sschutzes. Wider das Votum des damaligen Chefs. Von 1993 bis 2001 kümmerte Nocken sich unter anderem um die Anwerbung von Informante­n. Seine nachgewies­ene Rolle im NSU-Ermittlung­s-»Debakel« ist trotz mehrfacher Vorladung vor den Thüringer NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss noch immer im Nebel.

Im Mai 2010 wurde der damalige Deutsche-Bank-Banker Josef Ackermann in einem ZDF-Gespräch gefragt, ob er denn nicht auch schon mal an einen Schuldener­lass für die Dritte Welt gedacht habe. Ackermann antwortete: »Ich glaube, es wäre mir genauso gegangen wie Herrn Herrhausen ...« Was immer Ackermann damit andeuten wollte, jeder ungeklärte Mordfall in solch staatstrag­enden Bereichen ruft unweigerli­ch auch scheinbar absurde Überlegung­en hervor.

Dem eingangs erwähnten Thriller ist ein Zitat des einstigen US-Präsidente­n Abraham Lincoln vorangeset­zt: »Man kann ein ganzes Volk eine Zeit lang belügen, Teile des Volkes dauernd betrügen, aber nicht das ganze Volk dauernd belügen und betrügen.«

 ?? Foto: dpa/Kai-Uwe Wärner ?? Das Wrack der Herrhausen-Limousine am 30. 11. 1989 in Bad Homburg (Hessen)
Foto: dpa/Kai-Uwe Wärner Das Wrack der Herrhausen-Limousine am 30. 11. 1989 in Bad Homburg (Hessen)

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