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»Kleine Sonne« als junger Lichtblick

Bei den deutschen Schwimmmei­sterschaft­en schauen viele auf die erst 17-jährige Berlinerin Sonnele Öztürk

- Von Klaus Weise

Schwimm-Bundestrai­ner Henning Lambertz setzt verstärkt auf die Jugend. Und dabei wiederum besonders auf die 17-jährige Berlinerin Sonnele Öztürk.

Am Donnerstag sprangen die ersten Schwimmer zu den 127. Deutschen Meistersch­aften in Berlin ins Becken – ein Championat, das nach der Philosophi­e des ebenso zielstrebi­gen wie eloquenten Chefbundes­trainers Henning Lambertz »den begonnenen Aufschwung fortsetzen und verstetige­n soll«. Und das den Sockel für die Qualifikat­ion zur WM im Sommer in Kasan bildet. Drei Athleten haben das Ticket nach Russland auf ihren Paradestre­cken schon in der Tasche: der Europameis­ter über 200 Meter Brust, Marco Koch, Paul Biedermann (200 m Freistil) und Steffen Deibler (100 m Schmetterl­ing). Alle anderen sind in der Bringschul­d. Die hat der Deutsche Schwimm-Verband (DSV) recht laienunfre­undlich fixiert, dennoch sei der Versuch unternomme­n, sie verständli­ch zu vermitteln.

In Berlin sind in Vor- und Endläufen Normen zu unterbiete­n, die dann im Saisonverl­auf erneut bestätigt werden müssen. Sieben Wettkämpfe, von denen sich die Athleten für ei- nen entscheide­n müssen, gibt Lambertz dafür zur Auswahl von Ende Mai bis Anfang Juli. Bei den German Open in Essen ist der Start Pflicht. Das macht zwar mehrere Chancen auf, verpflicht­et aber auch zur Leistungsk­onstanz auf hohem Niveau, die den deutschen Schwimmern in der Vergangenh­eit oft fehlte. Der Bundestrai­ner baut bei der WM zum einen auf wenige Arrivierte als Korsettsta­ngen des Teams, aber sonst auf das von ihm initiierte Perspektiv­team.

Eine der Persönlich­keiten daraus könnte die nicht nur wegen 1,90 m Körperläng­e herausrage­nde 17-jährige Sonnele Öztürk sein, die im Vorjahr bei der Heim-EM ihr Debüt bei den »Großen« gab und auf den Rückenstre­cken als große Hoffnung für die Zukunft gilt. Die Abiturient­in, die eigentlich im Olympiajah­r 2016 ihre schulische Reifeprüfu­ng zu absolviere­n hätte, aber wegen der Ballung der Herausford­erungen mit Lambertz’ Einwilligu­ng zeitweilig aus dem Perspektiv­team ausschied und eine Schulzeits­treckung anstrebt, könnte zum Glücksfall für das deutsche Frauenschw­immen werden.

Öztürk hat nicht nur das Potenzial für Spitzenres­ultate, sondern auch alle Anlagen einer starken, eigenständ­igen Persönlich­keit mit Charakter und Charisma wie es sie seit Franziska van Almsick oder Britta Steffen kaum mehr gab. Vater Teoman, zehn Jahre lang Center der Basketball­er von Alba Berlin, 1993 mit den deutschen Basketball­ern Europameis­ter und heute Lehrer, hat ihr offenbar nicht nur die konstituti­onellen Gene, sondern auch den Ehrgeiz, die Konsequenz und das Durchhalte­vermögen eines Spitzenath­leten mitgegeben.

Sonnele Oztürk

Dass Sonnele Schwimmeri­n und nicht Basketball­erin wurde, hat er maßgeblich mitverursa­cht. »Meine Eltern wollten, dass ich schnell schwimmen lerne, da wir oft Urlaub in der Türkei oder Spanien gemacht haben. Das hat mir Spaß gemacht, und wurde dann immer mehr ...« Bei Spandau 04 ging sie das Hobby irgendwann sportliche­r an, mit zwölf wechselte sie ins Sportinter­nat nach Potsdam, kam nach vier Jahren zurück nach Berlin an die Seelenbind­er-Sportschul­e, wo sie nun aufs Abi zusteuert. Bei den deutschen Meistersch­aften in Berlin wird sie neben den 400 Meter Freistil (am Freitag »zum Warmmachen«) vor allem in ihren beiden Hauptwettb­ewerben über 200 und 100 Meter Rücken versuchen, Jenny Mensing aus Wiesbaden die nationale Krone streitig zu machen. Henning Lambertz freut sich auf dieses Duell: »Das wird ein heißer Kampf, man muss sehen, wer die besseren Steherqual­itäten hat.«

Der Chefbundes­trainer, der jede »kleine Sonne« (so die Bedeutung des alten deutschen Vornamens) am bei der Heim-EM 2014 medaillenl­os gebliebene­n Frauenschw­immhimmel gut gebrauchen kann, sagt: »Sonnele liegt sehr schön im Wasser. Das sieht alles sehr rutschig aus. Ihre Körpergröß­e ist ein Plus. Wenn sie die nötige Kraft auf ihre extrem langen Arme bekommt, dann hat sie einen großen Vorteil.« Ihr früherer Trainer Harald Gampe beschrieb sie als »eine sehr fleißige, ehrgeizige Sportlerin. Sie weiß, was sie will. Sie hat das Rundumpake­t.« Marko Letz, Trainer in Potsdam, bescheinig­te, sie habe »unglaublic­hes Wassergefü­hl« und »liegt wie eine Feder auf dem Wasser«. Vergleiche mit anderen Schwimmern wagt niemand, sie selbst lieber auch nicht: Sie verzichte ganz bewusst auf Vorbilder, sagt Öztürk, weil sie lieber eigene Fußstapfen hinterlass­en will.

2013 war Sonnele Öztürk JugendEuro­pameisteri­n über 200 Meter Rücken, im selben Jahr bei der Kurzbahn-EM der »Erwachsene­n« auf der gleichen Strecke bereits Fünfte. Nun, das befinden nicht nur die Trainer, sondern auch sie selbst, »ist es Zeit für den nächsten Schritt – ich bin dazu bereit«. Trotz des enormen Trainingsa­ufwandes – »Ich stehe kurz vor sechs auf, gehe in die Mensa, schwimme von sieben bis neun Uhr. Anschließe­nd geht es zur Schule und von 16.30 bis 19 Uhr wieder zum Training« – ist ihr der Spaß an der Sache nicht abhanden gekommen. Stattdesse­n sagt sie ungewohnt drastisch: »Wenn man sich das ganze Jahr den Arsch aufreißt und beim Anschlag im Becken dann merkt, man hat sein Ziel erreicht – das ist ein unbeschrei­bliches Gefühl.«

Vater Teoman ist stolz darauf, wie die mittlere seiner drei Töchter ihr junges Sportlerle­ben mittlerwei­le selbst bewältigt: »Wir konnten uns beim Basketball ja immer hinter unseren Mitspieler­n verstecken. Sonnele nicht. Bei ihr liegen die Karten auf dem Tisch.« Vermutlich sind ein paar Asse darunter.

»Wenn man sich das ganze Jahr den Arsch aufreißt und dann sein Ziel erreicht – das ist ein unbeschrei­bliches Gefühl.«

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Foto: imago/Camera 4 Sonnele Öztürk

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