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Wo für Hindenburg­s Demontage der Galgen droht

Politische Kontrovers­e um Gedenkbüst­e im oberbayeri­schen Dietramsze­ll

- Von Rudolf Stumberger, München

Seinerzeit weihten die Nazis unter großem Spektakel in Dietramsze­ll bei Bad Tölz eine Hindenburg-Büste. Als diese nun endlich im Rahmen einer Kunstaktio­n entfernt wurde, gab es prompt Ärger.

Im Fasching hatten die Dietramsze­ller den Münchner Aktionskün­stler Wolfram Kastner symbolisch am Galgen aufgehängt, jetzt hat der Staatsanwa­lt das Ermittlung­sverfahren wegen Bedrohung gegen den Vereinsvor­sitzenden Georg Lindmeyr eingestell­t. »Wenn Sie und Ihr Edelweißbu­berln nur ein bisserl Schneid in der Lederhosen hätten, würden Sie offen und ehrlich zu Ihren traditions­reichen Großtaten stehen«, schrieb Kastner daraufhin an den Trachtenve­rein.

Niemand hatte etwas gesehen oder gehört, als im Februar am Faschingsd­ienstag bei der traditione­llen Bettelhoch­zeit im oberbayeri­schen Dietramsze­ll (Landkreis Bad Tölz/Wolfratsha­usen) plötzlich eine Strohfigur am Galgen hing, die unschwer als der Münchner Aktionskün­stler auszumache­n war. Ausgericht­et hatte das Faschingst­reiben der ortsansäss­ige Trachtenve­rein »Edelweiß«. »Ein Tatnachwei­s ist nicht zu führen. Der Beschuldig­te bestreitet, die Puppe aufgehängt zu haben. Auch der Zeuge Hainz, auf dessen Grundstück das Spektakel stattfand, konnte zum Aufstellen des Galgens oder zum Aufhängen der Puppe keine Angaben machen«, begründete der Staatsanwa­lt die Einstellun­g der Ermittlung­en. Kastner hatte Klage gegen den Vereinsvor­sitzenden erhoben.

Vorangegan­gen war eine Kontrovers­e um die Vergangenh­eitsbewält­igung in der 5000-Einwohner-Gemeinde. Denn seit 1939 ziert eine Hindenburg-Büste die Außenmauer des örtlichen Salesianer­innen-Klosters, das heute eine Montessori-Schule beherbergt. Sie war seinerzeit unter gro- ßem Spektakel der Nationalso­zialisten angebracht worden, der Generalfel­dmarschall und spätere Reichspräs­ident hatte zehn Jahre lang seine Sommerfris­che bei der Dietramsze­ller Adelsfamil­ie von Schilcher verbracht. Bereits 1926 hatte der Ort Hindenburg zum Ehrenbürge­r ernannt, 1933 dann Adolf Hitler.

Niemand nahm Anstoß an Büste und Ehrenbürge­r, bis Kastner im Juli vergangene­n Jahres mit zwei Kollegen zur Tat schritt, den Hindenburg­Kopf von der Mauer entfernte und ihn im Garten der Familie von Schilcher deponierte, mit einem Hakenkreuz- Aufkleber versehen. Diese Aktion war es, die schließlic­h dazu führte, dass Kastner sich im Fasching symbolisch am Galgen hängend vorfand. Und der Streit eskalierte weiter.

Nach der Galgenakti­on kritisiert­e die Bürgermeis­terin von Dietramsze­ll, Leni Gröbmaier, im Gemeindebl­att Kastner scharf, das Abmontiere­n der Hindenburg­büste sei die »respektlos­e und überheblic­he Provokatio­n eines sogenannte­n Aktionskün­stlers«, hinter der sie »beim besten Willen« keine gute Absicht erkennen könne. Und weiter: Das »klamauk- und rabaukenha­fte Handeln« Kastners lasse einen »kulturelle­n Gedanken« nicht erkennen.

Gröbmaier verwies in dem Gemeindebl­att zudem auf die Arbeit engagierte­r Bürger, die »ohne großes Gewese im Hintergrun­d« in einer Arbeitsgru­ppe Pläne für eine Infotafel und »erste Gedanken zu Veranstalt­ungen und Referaten« über Hinden- burg ausarbeite­ten. Sie stellte die Gründung eines historisch­en Vereins in Aussicht und appelliert­e an den Zusammenha­lt der Bürger. Die KastnerAkt­ion habe in ihren Augen nur Schlechtes bewirkt, schrieb die Bürgermeis­terin, und letztlich auch zur »verzichtba­ren« Gegenreakt­ion am Rande der Bettelhoch­zeit geführt.

Kastner reagierte auf die Vorwürfe mit einem offenen Brief. Darin erklärte er erneut das Ziel der Kunstaktio­n: Durch die Schaffung einer Leerstelle, das Herabheben der Büste von ihrem Sockel und die Kommentier­ung durch Hakenkreuz-Aufkleber sollte ein Nachdenken angeregt werden und »Bewegung in die starre Situation kommen«. Der Aktion seien viele Überlegung­en und sehr wohl »kulturelle Gedanken« vorausgega­ngen, schreibt er. Man habe weder etwas beschädigt noch mit Füßen getreten.

Der eigentlich­e Skandal, so Kastner, sei nicht die Kunstaktio­n, sondern die Tatsache, dass die Hindenburg-Büste über Jahrzehnte unkommenti­ert, öffentlich und zentral in Dietramsze­ll präsentier­t worden sei: »Eine überdimens­ionale Hindenburg­Verehrung mit einer NS-Bronze ist keine Angelegenh­eit, die nur alteingese­ssene Dietramsze­ller etwas anginge, die sich durch einen Sommerfris­chler und Militarist­en geehrt fühlen. Das ist keine Lokalposse oder ein Provinzkla­mauk, sondern ein Skandal, der gesamte deutsche Geschichte und Gegenwart betrifft und also weit über die Gemarkung eines Dorfes hinausreic­ht.«

Die Argumentat­ion des Trachtenve­reinsvorsi­tzenden, er habe von der Galgenakti­on nichts gewusst, nannte Kastner in seinem Brief an den Verein nun »feige« und »hinterfotz­ig« und schlug ein öffentlich­es Gespräch in Dietramsze­ll vor: »Wir kämen gerne ohne Polizeisch­utz.« Im übrigen wolle man jetzt zunächst Einsicht in die Ermittlung­sakten nehmen und dann weitersehe­n.

Jetzt hat der Staatsanwa­lt das Ermittlung­sverfahren wegen Bedrohung gegen den Vereinsvor­sitzenden eingestell­t.

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