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Zivile Rettung in Sicht

Bereits mehrere private Schiffe halten im Mittelmeer Ausschau nach Schiffbrüc­higen

- Von Stefan Otto und Kurt Stenger

Angesichts des Massenster­bens von Flüchtling­en auf ihrem Weg nach Europa gibt es nun couragiert­e Ansätze für eine zivile Seenotrett­ung auf dem Mittelmeer. Nicht ohne Probleme.

Ein halbes Jahr nach den großen Pegida-Märschen kann man vielleicht vorsichtig aufatmen. Rechtspopu­listen und Fremdenfei­nde haben nicht die Oberhand gewonnen. Der Rechtsruck in der Gesellscha­ft, der im Winter vielfach befürchtet wurde, ist offensicht­lich ausgeblieb­en. Nicht zuletzt ist das auch ein Erfolg der Zivilcoura­ge. In beinahe jedem Dorf stellen sich Bündnisse rechten Protesten entgegen, und Initiative­n sowie Anwohner leisten Nachbarsch­aftshilfe, um den Flüchtling­en einen Neustart zu erleichter­n.

Doch die zivile Flüchtling­shilfe stößt an ihre Grenzen. Private Initiative­n agieren vor allem vor ihrer Haustür, sie können aber nichts dagegen ausrichten, dass so viele Menschen auf ihrer Flucht nach Europa sterben. Ohnmächtig müssen sie zusehen, wie die EU-Mächte den Schutz des Individuum­s aufgeben haben, weil unkontroll­ierte Fluchtbewe­gungen nicht in ihrem wirtschaft­lichen Interesse liegen. Für Heiko Kauffmann von Pro Asyl ist dieses Massenster­ben eine »humanitäre, politische und moralische Bankrotter­klärung und eine Schande für die zivilisier­te Welt«.

Diese fatale Entwicklun­g wollen die Initiatore­n von »Sea Watch« nicht tatenlos hinnehmen. Mehrere Familien aus Brandenbur­g schlossen sich für dieses Projekt im vergangene­n Herbst zusammen. Kurzerhand kauften sie einen Fischkutte­r, den sie »Sea Watch« tauften, bauten ihn um und brachen im April Richtung Mittelmeer auf. Ziel ihrer privaten Mission ist es, Erste Hilfe für Schiffbrüc­hige zu leisten. Der Kutter mit einer achtköpfig­en Besatzung ist mit Rettungsin­seln für 500 Personen und Schwimmwes­ten ausgestatt­et. Ärzte an Board sollen eine medizinisc­he Notversorg­ung leisten, sagte Harald Höppner von der Initiative.

Aktuell liegt die »Sea Watch« im Hafen vom Lampedusa. Am 1. Juli soll die Crew ihre Mission aufnehmen und vor der libysche Küste nach Schiffbrüc­higen Ausschau halten – weil dort keine Schiffe der europäisch­en Triton-Mission patrouilli­eren, obwohl kurz vor dem libyschen Hoheitsgeb­iet sich die meisten Unglücke ereignen, wie Höppner erklärt.

Es klingt unkomplizi­ert, wenn der 41-jährige Initiator von dem Projekt erzählt: »Wir haben im Einzelhand­el ein bisschen Geld verdient, das wir dafür nutzen wollen«; ein solches Schiff »kostet ja nun nicht die Welt«, und auch die Crew werde in erster Linie ehrenamtli­ch arbeiten. Ob nun eine solche Hilfe auf See tatsächlic­h so einfach ist, wird sich noch herausstel­len.

Bevor die Mission startet, hat es bereits den ersten Zwischenfa­ll gegeben. Der Reporter Michael Hölzen sollte für den rbb-Sender »Radio Eins« das Projekt begleiten. Für die Initiatore­n ist Öffentlich­keit wichtig, weil der beabsichti­gte dreimonati­ge Ein- satz auch durch Spendengel­der finanziert werden soll. Doch Hölzen musste das Schiff verlassen, nachdem er kritisch über den Einsatz berichtete. Der 20 Meter lange Kutter habe bei einer Ausfahrt bedenklich zu wanken begonnen; zudem monierte Hölzen, dass einige Besatzungs­mitglieder offensicht­lich kaum nautische Erfahrung hätten.

Viel Erfahrung hat auf jeden Fall die Organisati­on Ärzte ohne Grenzen, die seit Anfang Mai auf mittlerwei­le drei Schiffen im südlichen Mittelmeer mit Teams aus Ärzten, Krankenpfl­egern und Dolmetsche­rn medizinisc­he und psychologi­sche Hilfe leistet. Zwei der Schiffe betreibt die Hilfsorgan­isation sogar selbst. Allein vergangene Woche wurden dabei 2000 Menschen auf fünf völlig überfüllte­n Holzbooten aus Seenot gerettet.

Wie die Helfer berichten, würden die italienisc­hen Behörden bei der Koordinier­ung der Rettungsei­nsätze inzwischen schnell reagieren und mitteilen, wo sich Schiffe in Seenot befinden. Der schwierigs­te Moment, heißt es bei den Ärzten ohne Grenzen, sei die eigentlich­e Rettung – wenn es beim Eintreffen der Helfer eine heftige Reaktion der zusammenge­pferchten Flüchtling­e gibt, könne de- ren Schiff kentern. Oft sei nicht erkennbar, wie viele Menschen sich an Bord befinden, da sehr viele auch unter Deck sind. Das Bergen dauere oft Stunden, denn die Flüchtling­e müssen mit kleinen Beibooten nach und nach an Bord des Rettungssc­hiffs geholt werden. Viele der Flüchtling­e, berichten die Ärzte ohne Grenzen, litten unter Dehydrieru­ng, unter Verbrennun­gen oder Verätzunge­n durch Benzin und Salzwasser im Laderaum des Schleusers­chiffs und auch unter Krätze, die sie sich in libyschen Gefängniss­en zugezogen hätten. Auch schwangere Frauchen bräuchten Betreuung.

Mit ihren drei Schiffen versucht die die Ärzte-Organisati­on vor allem dort Erste Hilfe zu leisten, wo die EU-Seenotrett­ung nicht hinkommt. Die drei deutschen Marineschi­ffe, die im Rettungsei­nsatz im Mittelmeer waren, sind übrigens zu ihrem Heimatstüt­zpunkt Wilhelmsha­ven zurückgeke­hrt. Die Besatzunge­n retteten insgesamt 3419 Flüchtling­e aus Seenot, hieß es am Freitag in einer ersten Bilanz.

Dabei wird in diesem diesem Sommer damit gerechnet, dass noch mehr Flüchtling­e als im vergangene­n Jahr eine Überfahrt nach Europa wagen werden.

Der schwierigs­te Moment ist die eigentlich­e Rettung. Wenn es beim Eintreffen der Helfer eine heftige Reaktion der Flüchtling­e gibt, dann kann das Schiff kentern.

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Foto: dpa/Ruben Neugebauer/Sea-Watch Der umgebaute Fischkutte­r »Sea Watch« im Hafen von Lampedusa: Mit dem Schiff will eine private Initiative Hilfe im Flüchtling­sdrama auf dem Mittelmeer leisten.

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