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Schleusen mit Altersschw­äche

120 Jahre Nord-Ostsee-Kanal: Modernisie­rung wird zur Mammutaufg­abe

- Von Wolfgang Schmidt, Kiel dpa/nd

Extrem wichtig und doch vernachläs­sigt: Mit seinen uralten Schleusen wurde der Nord-Ostsee-Kanal zum Symbol für verrottete Infrastruk­tur in Deutschlan­d.

In acht Jahren Bauzeit wurde der Nordsee-Ostsee-Kanal erstellt, die Sanierung der weltweit meistbefah­renen künstliche­n Wasserstra­ße wird weitaus länger dauern. Wilhelm II. eröffnete am 21. Juni 1895 den 98,637 Kilometer langen Wasserweg von Kiel nach Brunsbütte­l, der den Schiffen große Umwege erspart. Zum 120. Geburtstag des Kanals ist die Kaiserzeit noch gewärtig – mit oft aus Altersschw­äche ausfallend­en Schleusen und einem Streckenpr­ofil im Ostteil von 1914. Die Gesamtmode­rnisierung hat endlich begonnen, wird aber viel später fertig und deutlich teurer als zunächst vorgesehen. Nach aktuellem Stand werden Kosten in Höhe von 1,5 Milliarden Euro veranschla­gt.

Jahrzehnte­lang behandelte der Bund die bedeutsams­te Wasserstra­ße Deutschlan­ds so stiefmütte­rlich, dass die maritime Branche wegen des desaströse­n Zustands der Schleusen vor einem Infarkt warnte. Die beiden »neuen« Schleusen in Brunsbütte­l sind Baujahr 1914, die kleinen »alten« wurden bis 1897 fertig. 2013 war der Infarkt da. Wegen defekter Schleusen konnten acht Tage lang keine großen Schiffe passieren. Da es auch mit Streiks und Stürmen noch mehr Einschränk­ungen gab, sanken die Einnahmen aus dem Kanalbetri­eb um mehr als ein Zehntel.

Kanzlerin Angela Merkel bekannte sich kurz darauf in Kiel zum Ausbau. Ein Durchbruch gut ein Jahr später, am 11. April 2014: Der Bundestags­Haushaltsa­usschuss bewilligt 485 Millionen Euro für eine neue Schleuse in Brunsbütte­l. Die Arbeiten laufen. 2020 werde das erste Schiff die 360 Meter lange Schleuse passieren, sagte Bundesmini­ster Alexander Dobrindt (CSU) zu. Schon Anfang 2007 hatte der Bund den Bau beschlosse­n, der 2014/15 fertig sein sollte.

»Der Kanal ist seit drei Jahren in besonders schwierige­m Zustand«, sagt der Vorsitzend­e der Initiative Kiel Canal – so heißt die Wasserstra­ße internatio­nal –, Jens Knudsen. Auf geplante Reparature­n können Reeder sich einstellen, auf kurzfristi­ge Ausfälle nicht. »Das große Problem ist die Unplanbark­eit«, sagt Knudsen, der den Schiffsdie­nstleister Sartori & Berger vertritt. Drohen mehrstündi­ge Wartezeite­n am Kanal, wird es teuer – wegen des langen Umwegs über Skagen oder Zusatzkost­en in den Zielhäfen infolge Verspätung­en.

Nach den Erwartunge­n von 2007 sollten 2014 auch die Begradigun­g und Verbreiter­ung der 20 Kilometer langen Oststrecke bei Kiel abgeschlos­sen sein. Enge Kurven und die schmale Fahrspur erschweren die Passage. Nach dem Ausbau dürfen 280-Meter-Schiffe auf den Kanal, bisher ist bei 235 Metern Schluss. Der Ausbau schien zugunsten der Brunsbütte­ler Schleuse ins Hintertref­fen zu geraten, doch dann auch hier ein Durchbruch: Am 6. Juni 2014 bewilligte der Haushaltsa­usschuss 265 Millionen Euro für die Oststrecke. Anfang 2015 begannen erste Bauarbeite­n, die ein Jahrzehnt dauern sollen.

»Im Vergleich zur Lage vor fünf Jahren haben wir einen Riesenspru­ng gemacht«, sagt Knudsen – und mahnt an, auch die ebenfalls maroden Schleusen in Kiel-Holtenau zu modernisie­ren. »Der Nord-OstseeKana­l spielt internatio­nal eine bedeutende Rolle, nach 120 Jahren

Am Kanal hängen tausende Jobs, nicht nur in Schleswig-Holstein, auch in Hamburg oder in den exportstar­ken Ländern Baden-Württember­g und Bayern.

mehr denn je«, sagt der Präsident der Generaldir­ektion Wasserstra­ßen und Schifffahr­t, Hans-Henrich Witte. »Er ist für den Wirtschaft­sstandort Deutschlan­d nicht mehr wegzudenke­n.« Jeder dritte Container, den der Hamburger Hafen umschlägt, passiere den Kanal.

Am Kanal hängen tausende Jobs, nicht nur in Schleswig-Holstein, auch in Hamburg oder in den exportstar­ken Ländern Baden-Württember­g und Bayern. »Für Hamburg ist es absolut lebensnotw­endig, dass der Kanal funktionie­rt«, sagt Knudsen. Sonst verliere der Hafen seinen Wegevortei­l Richtung Ostsee gegenüber Rotterdam. In Hamburg verteilen Reedereien die Ladung großer Containerf­rachter auf kleine Feederschi­ffe, die sie dann via Kanal nach Osten bringen. 700 Laster würden benötigt, um ein Feederschi­ff zu ersetzen.

2014 hatten 32 600 Schiffe auf dem Kanal eine Gesamtladu­ng von 99,1 Millionen Tonnen befördert – trotz aller Probleme nach 2008 (105 Millionen) und 2012 (104 Millionen) das drittbeste Ergebnis der Geschichte. »Endlich gibt es einen klaren Fahrplan für den Ausbau des Kanals«, sagt Schifffahr­texperte Jürgen Rohweder. »Zwar ist bedauerlic­h, dass erst 2028 alles fertig sein soll, aber die Zeichen sind gesetzt.« Um den Kanal dauerhaft zukunftsfä­hig zu machen, müsse er aber auch vertieft werden, weil die Feederschi­ffe immer größer werden. »Sonst wandern die Verkehre doch noch in Richtung Skagen ab«, so der Vorsitzend­e des Nautischen Vereins Kiel.

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Foto: dpa/Christian Charisius

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