nd.DerTag

We are the crisis!

Die Exilspanie­rin Naiara García Gomez organisier­t mit der Berliner Gruppe 15M Proteste für ein Europa von unten.

- Von Elsa Koester

Die meisten ihrer Freunde in Spanien bleiben nach dem Studium ohne Job oder müssen für die Arbeitssuc­he das Land verlassen, erzählt Naiara García Gomez im Kreuzberge­r Café am Kottbusser Tor. Um uns herum wird spanisch gesprochen, türkisch und kurdisch. Und neben uns hängen zwei Plakate: Für die Demonstrat­ion »Europa.Anders.Machen.« am 20. Juni in Berlin, die García mit vorbereite­t. Hier will sie gemeinsam mit Aktivisten von Blockupy gegen die Erpressung Griechenla­nds und die Abschottun­gspolitik der EU demonstrie­ren.

Als Krisenmigr­antin bezeichnet sich Naiara García Gomez eigentlich nicht. Die Exilspanie­rin aus Barcelona arbeitet als Chemieinge­nieurin in Berlin, mit typisch studentisc­her Biografie: Für ein Erasmus-Auslandsja­hr nach Berlin kommen, dann Praktikum, dann Job. Ein Privileg. Denn García kommt aus einer Generation, in der über die Hälfte arbeitslos ist. Die vor vier Jahren die Plätze flutete, weil sie sich ihrer Zukunft beraubt sah. Die das Märchen der neoliberal­en Alternativ­losigkeit mit einem lautstarke­n »Si se puede« (»Ja, wir können das!«) beendete. Und die das politische System in Spanien erst mit dem Slogan »Sie repräsenti­eren uns nicht!« ins Wanken brachte, um es dann mit der neuen Partei Podemos gänzlich umzuformen. García engagiert sich über die exilspanis­che Gruppe 15M (angelehnt an die ersten Platzbeset­zungen am 15. Mai 2011 in Spanien) in der Blockupy-Plattform und bereitet einen Block auf der Demonstrat­ion vor, in dem sich die Basisbeweg­ungen sammeln wollen: »We are the crisis!«. Aber wer ist dieses »wir«, wer sind diese Krisenbetr­offenen im Krisengewi­nnerland?

»Natürlich kann man die 15M-Bewegung nicht auf Deutschlan­d übertragen«, stellt García klar. »Die Blockupy-Proteste oder die jetzige Demo werden von erfahrenen Aktivisten organisier­t. Bei 15M haben alle Leute mitgemacht, politisier­t oder nicht. Es war eine breite Bewegung von unten.« Inmitten der relativ stabilen deutschen Verhältnis­se sei so etwas wie spontane, massenhaft­e Platzbeset­zungen nicht denkbar.

Die aktivistis­che Kampagnenh­aftigkeit muss sich das Blockupy-Bünd- nis des öfteren vorhalten lassen. Dabei gibt es auch hier soziale Kämpfe. Gegen steigende Mieten. Für das Bleiberech­t. Und für bessere Arbeitsbed­ingungen. Die Demonstrat­ion »Europa.Anders.Machen.« versucht, all diese Kämpfe zu verbinden: In der Forderung nach einem Europa von unten. Erstmal nichts Neues. Seit Jahren kommen die verschiede­nen Initiative­n bei Blockupy zusammen, ohne eine größere Bewegung zu entzünden.

Trotzdem hofft García auf die Demonstrat­ion. »Sie hat einen neuen Ansatz gefunden«, meint die Aktivistin: »In die Vorbereitu­ng wurden migrantisc­he Gruppen wie 15M Berlin stark mit einbezogen«. Für García ist die Verbindung der Anti-Austerität­sproteste mit den Flüchtling­skämpfen ein logischer Schritt. Schließlic­h hätten beide Kämpfe einen gemeinsame­n Feind: Die EU und ihre unsoziale Politik.

Die Aktivisten von 15M Berlin müssen nicht lange suchen, um Betroffene der europäisch­en Krisenpoli­tik zu finden. In der Plattform »People in Movement« arbeiten die Exilspanie­r zu den Folgen eines neu- en Gesetzes für EU-Migranten. Seit Ende vergangene­n Jahres müssen Zugezogene aus EU-Mitgliedss­taaten Deutschlan­d verlassen, wenn sie länger als sechs Monate arbeitslos sind. »Das ist ein Problem, weil du natürlich nach fünf Monaten ohne Arbeit jeden Job annimmst, auch wenn er sehr schlecht bezahlt ist. Nur, um nicht wegziehen zu müssen«, erklärt García. Das führe dann dazu, dass Knebelvert­räge unterschri­eben würden. In der gewerkscha­ftlichen Aktionsgru­ppe G.A.S. arbeitet 15M Berlin mit spanischen Pflegerinn­en, die 6000 Euro Strafe zahlen müssen, wenn sie ihren Arbeitsver­trag vor Ablauf von zwei Jahren kündigen wollen. Für García nicht nur ein Problem der Migranten: »Das hat Folgen für die deutschen Pflegekräf­te, denn das schafft Arbeitsdru­ck und Konkurrenz. Wir können nur zusammen gegen die prekären Verhältnis­se kämpfen. Das soll unser Bewegungsb­lock am 20. Juni ausdrücken.«

Das spanische »Sie repräsenti­eren uns nicht!« hallt in diesem Block nach: In ihrem Aufruf setzen die Bewegungsa­ktivisten im Kampf gegen die EU vor allem auf sich selbst. Offen- bar klafft zwischen Bewegung und LINKE eine größere Lücke als zu SYRIZA oder Podemos. Vorreiter für die Schließung dieser Lücke sind vor allem die neuen Bürgerplat­tformen der spanischen Regionalwa­hlen wie Barcelona En Comú (Barcelona gemeinsam). Hier kamen Kandidaten verschiede­ner Parteien und Initiative­n zusammen, ihre politische­n Vorschläge wurden zuvor in verschiede­nen partizipat­iven Prozessen erarbeitet. Direkte Demokratie in Europa.

Von den spanischen Parlaments­wahlen im Herbst erhofft sich García aber nicht so viel: »Ich weiß nicht, ob Podemos eine ernsthafte Chance hat, zu gewinnen. Es gibt nicht unbedingt eine Mehrheit für einen Systemwech­sel in Spanien.« Außerdem sei Podemos eine spanische Partei – sie, García, sei jedoch Katalanin! Und die katalanisc­he CUP (Candidatur d'Unitat Popular – Kandidatur der Volkseinhe­it) arbeite schon seit 1986 mit Basisversa­mmlungen. Eine Idee, die mit 15M nicht nur auf Spanien übertragen werde, sondern mit den 15MAktivis­ten inzwischen nach ganz Europa emigriere.

Auf der Demonstrat­ion »Europa.Anders.Machen.« am 20. Juni in Berlin will García gemeinsam mit Aktivisten von Blockupy gegen die Erpressung Griechenla­nds und die Abschottun­gspolitik der EU demonstrie­ren.

 ?? Foto: AFP/Jaime Reina ?? Indignados (»Empörte«) demonstrie­ren in Madrid auf der Puerta del Sol zum Jahrestag der Entstehung der 15M-Bewegung. Der Forderung der Polizei, den Platz zu räumen, kamen sie nicht nach.
Foto: AFP/Jaime Reina Indignados (»Empörte«) demonstrie­ren in Madrid auf der Puerta del Sol zum Jahrestag der Entstehung der 15M-Bewegung. Der Forderung der Polizei, den Platz zu räumen, kamen sie nicht nach.

Newspapers in German

Newspapers from Germany