nd.DerTag

Breivik und seine Brüder

Klaus Theweleit über das »Lachen der Täter« von Oslo bis Ostkongo.

- Immer Von Ingolf Bossenz bar‹ Ausnahmefa­ll, Normalfall, Normalfall gerufen immer aus- erlaubten aufzufange­n ›Allahu Ak-

Drei junge Frauen kriechen unter einem Berg Leichen hervor, von Kopf bis Fuß voller Blut. »Sie erzählten uns, wie die Angreifer riefen, dass sie zum Töten und Getötetwer­den da seien, während sie alle Männer erschossen«, berichtet ein Sanitäter. Den Frauen sagen sie lachend, sie dürften im Blut baden. »Sie spielten noch eine Weile herum, genossen ganz offenkundi­g den Todesrausc­h.« Dann ziehen die Mörder weiter ...

Unter der Überschrif­t »Zynische Scherze vor dem Morden« verbreitet­e die Nachrichte­nagentur AFP diese Details über ein Massaker der islamistis­chen Shabaab-Miliz auf dem Campus der Universitä­t im kenianisch­en Garissa, bei dem kurz vor Ostern 147 Menschen starben.

Bestialisc­her Atavismus einer religiös-ideologisc­h aufgeheizt­en Mörderband­e? Die Renaissanc­e des Unmenschen im 21. Jahrhunder­t? War dieser je im Verschwind­en begriffen? Und überhaupt: Un-Mensch? Gehörten und gehören das Schlagen, das Quälen, das Foltern, das Morden, das Massakrier­en nicht zur unvermeidl­ichen, unvergängl­ichen Grundsubst­anz alles Menschlich­en?

Für den niederländ­ischen Ethologen Nikolaas Tinbergen (1907-1988) war der Mensch ein aus den Fugen geratener Mörder. Fehlen dieser Spezies doch jene installier­ten Instinkthe­mmungen, die das Tier daran hindern, Artgenosse­n zu töten. Diese biologisch­e Vakanz, so der MedizinNob­elpreisträ­ger, müsse der Mensch durch Vernunft und entspreche­nde soziale Maßregeln erst ausfüllen.

Doch, so ist zu ergänzen, nicht nur Bereitscha­ft, Drang und Wille zum Töten der Artgenosse­n sind dem Menschen eigen, sondern auch – was ihn definitiv von jedem (anderen) Tier abgrenzt – die Lust am Töten.

»Psychogram­m der Tötungslus­t« nennt denn auch Klaus Theweleit (geboren 1942) im Untertitel sein jüngstes Buch, dessen Thema das »Lachen der Täter: Breivik u. a.« ist. Dass der Norweger Anders Behring Breivik, der am 22. Juli 2011 in Oslo und auf der Insel Utøya insgesamt 77 Menschen umbrachte, von denen er 69 aus nächster Nähe erschoss, titelgeben­d fungiert, überrascht zunächst. Denn Breivik hatte sich selbst von der ihn umgebenden Gesellscha­ft separiert, um seinen Verschwöru­ngs- und Vernichtun­gsfantasie­n zunächst ein komplex-bizarres theoretisc­h-ideologisc­hes Fundament zu geben, das er dann mit planvoller Präzision in eine grausame Maßlosigke­it überführte.

Was verbindet diesen megalomane­n Massenmörd­er mit jenen Akteuren des kollektive­n Massakrier­ens, die Theweleit aus den Tiefen und Untiefen medialer Berichters­tattung der jüngeren und jüngsten Vergangenh­eit zutage fördert? Ostfront und Ostkongo, Vietnamkri­eg und Irakfeldzu­g, Srebrenica und Ruanda, Abu Ghraib und Charlie Hebdo ... An Mord- und Gewaltplät­zen, wo die Täter mit Lust, Laune und auch Lachen ihr Werk verrichtet­en und verrichten, war nie Mangel. Ku Klux Klan und Islamische­r Staat, Wehrmacht und Rote Khmer, Kindersold­aten und GIs – der Tod ist ein Meister, der keine Nachwuchss­orgen kennt.

»Das Heimweh nach der Barbarei ist das letzte Wort einer jeden Zivilisati­on.« Das genuin Anthropolo­gische, das der Philosoph Emile Cioran (1911-1995) in diesem Diktum ebenso betont wie der Kultursozi­ologe Theweleit in seinen Büchern, mag marxistisc­h Orientiert­e irritieren. Indes: Krieg, Terror, kollektive Gewalt – der Kampf der Klassen, Schichten und Gruppen, ob staatlich oder kor- porativ organisier­t, bleibt eine prägende Kraft für das Gewaltpote­nzial jeder Gesellscha­ft.

Doch gerade die Einbindung des Einzelnen in dieses Gefüge einer überindivi­duellen Struktur entkleidet die gegenmensc­hliche Gewalt, das böse Bedrängen des Nächsten, der Profanität des gemeinen Verbrechen­s – »solange man sich als Teil einer Macht zeigen kann, über der keine andere ist auf Erden«, so Theweleit. Und für solche »Übertretun­g ins göttlich Kriminelle« stehen der »Tempelritt­er« Breivik ebenso wie die Folterknec­hte von Abu Ghraib, die Menschenze­rhacker in Ruanda ebenso wie die SS-Einsatzgru­ppen an der Ostfront, die Kopfabschn­eider des IS ebenso wie die Lynchkomma­ndos weißer Rassisten in den USA.

Das Berufen auf staatliche und/oder militärisc­he Befehle, auf religiöse, rassische oder andere angeblich rechtferti­gende Prämissen kann ein Potenzial freisetzen, dessen destruktiv­e Dimensione­n zwar differiere­n, denen aber ein Ziel zugrunde liegt: die Vernichtun­g des als Feind ausgemacht­en Anderen. Dass sich die Legitimitä­t des Exekutiere­ns und die Freude am Vollstreck­en des selbst verhängten Todesurtei­ls auch aus Fiktionale­m speisen können, zeigt Breivik mit seiner Berufung auf eine angebliche weltweite, die christlich­abendländi­sche Kultur verteidige­nde »Bruderscha­ft«, in deren Namen er das Massaker an jungen norwegisch­en Sozialdemo­kraten verübte.

Und was Breivik als Einzeltäte­r und Ausnahmefa­ll »erledigte«, »erledigen« in Krieg und Kriegszeit­en Hunderte und Tausende als Normalfall. Denn, so Theweleit, »es sind ganz normale Männer, die das Killing übernehmen«.

Der Autor nimmt mit diesem Diktum Thema und Motiv seines 1977 erschienen­en Monumental­werks »Männerphan­tasien« auf, in dem er anhand von Freikorps-Literatur der 1920er Jahre faschistis­che Männlichke­its- und Gewaltfant­asien psychoanal­ytisch, politisch, literarisc­h untersucht­e. Dass ihn dieser Gegenstand nicht loslässt, ist angesichts des dazu tagtäglich wachsenden Materialbe­rges wenig verwunderl­ich. Was die anthropolo­gisch-ontologisc­he Wucht des auch in seinem neuen Buch präsentier­ten Befundes verstärkt. Theweleit verweist auf die Abgründe des Maskulinen unter den Bedingunge­n strukturel­ler Gewalt. Abgründe des Möglichen, mit denen real zu rechnen ist, wenn der zivilisato­rische Firnis abblättert. »Die zwischen ›ganz normalen Männern‹ und ›wilden Massenmörd­ern‹ eingezogen­e Trennwand ist schlicht abzubauen. Es ist eine reine Selbstschu­tzwand. Das Morden und Massenmord­en gehört zum ›ganz normalen‹ Mann-Typ dazu – immer dort, wo die Schleusen geöffnet sind.«

Und nie sind die Schleusen weiter geöffnet als in Zeiten und an Orten, da exzessive Gewalt, Tod und Töten Alltag sind, da, wie Friedrich Nietzsche (1844-1900) über den »unentbehrl­ichen« Krieg notierte, »jener tiefe unpersönli­che Hass, jene MörderKalt­blütigkeit mit gutem Gewissen, jene gemeinsame organisier­ende Glut in der Vernichtun­g des Feindes« regieren. Denn dann und dort ist laut Theweleit der erlaubte Mord »nicht der er ist der diesen Gesellscha­ften zugrunde liegende der nur nicht ständig gilt.

des Tötens muss werden. Er ist dann sogleich und ohne alle Hemmungen da. ... sei das der Ostkongo, Afghanista­n, Indien, das zerfallend­e Jugoslawie­n, Argentinie­n, Guatemala, Ruanda, Syrien, Irak, die Gefängniss­e und Straflager der britischen wie amerikanis­chen Armee oder ihrer Geheimdien­ste; seien es Deutschlan­d und Österreich, die bis vor siebzig Jahren einen Spitzenpla­tz in den Ermordungs- und Ausrottung­saktionen einnahmen – exzessiv lachend; dann entspannt lächelnd.«

Dass Männer die Orgien der Gewalt, ob als Einzelpers­onen oder kollektiv, dominieren, ist evident. Das faktisch völlige Ausblenden von Frauen innerhalb dieser Thematik geht indes auf die durch Theweleit und seine »Männerphan­tasien« geprägte Sicht auf die männliche Körperlich­keit und ihre Implikatio­nen zurück. Was zu Erklärunge­n führt, die im weit gespannten Themenspek­trum (Judenersch­ießungen im Zweiten Weltkrieg, Massaker an Kommuniste­n in Indonesien, Völkermord in Kambodscha u. a.) bisweilen merkwürdig banal-deplatzier­t wirken. Gewiss: Nicht nur das Böse ist oft banal, auch die Wege, die zu ihm führen, sind es nicht selten. So seien beispielsw­eise »insbesonde­re junge Männer mit der Empfindung einer gesellscha­ftlichen Ortlosigke­it, die im adoleszent­en Alter mit einer körperlich­en Unsicherhe­it einhergeht, ... massiv davon bedroht, in diesem Zustand körperlich zu fragmentie­ren. Wenn dann die Unsicherhe­it über den eigenen sexuellen Status hinzukommt, wenn noch eine Freundscha­ft bricht, eine Liebesbezi­ehung oder eine Vereinszug­ehörigkeit misslingt und bei der Gelegenhei­t noch › Du gehörst ja nicht hierher‹ ins Spiel gebracht wird, geht der schwache Boden unter den Füßen womöglich ganz weg.« Und das Fazit: »Diesen Zustand und zu bearbeiten, stehen offenbar ›Prediger‹ bereit.«

Eine Variante, ein Weg, um in radikalen Zusammenhä­ngen zu landen. Ein Fragment eines Gesamtbild­es. Wie sich Theweleits Schrift insgesamt aus Fragmenten zusammense­tzt, aus Versatzstü­cken, die verstellt, verschoben, ab- und umgebaut werden können. Ein heterogene­s Text-Bild, aus dem sich ein ebensolche­s Welt-Bild schält. Ein Verfahren, das den Lesern – wie im »wirklichen Leben« – die eigene Formierung des Faktischen ermöglicht.

Das betrifft auch die Rolle des Religiösen bei der Genesis der Gewalt. Theweleit weist der Religion, namentlich dem Islam, zwar eine fördernde Funktion zu, relativier­t diese aber deutlich: »Dass mit

auf den Lippen gemordet wird, muss keineswegs mit ›Religiosit­ät‹ zu tun haben; so viel ist klar. Entscheide­nd ist vielmehr: dass die Täter damit nicht als Einzelvera­ntwortlich­e morden, sondern in Berufung auf die übermächti­ge, schuldüber­nehmende ›Großorgani­sation‹.«

Eine Sicht, die einzunehme­n sich auch mit Blick auf die Funktion anderer »schuldüber­nehmender Großorgani­sationen« lohnt, in deren langen Autoritäts­schatten übergriffi­ge Gewalt geschieht. Auch hierzuland­e, wie jüngst gemeldete Attacken gegen Migranten durch Bundespoli­zei und Wachperson­al belegen.

Theweleit beschränkt sich auf eine durchweg deprimiere­nde Diagnose. Therapievo­rschläge sind seine Sache nicht. Immerhin, seine finale Lakonik würde wohl, käme sie vom Dalai Lama, weise genannt werden: »›Lösungen‹ zeichnen sich nur da ab, wo die Haut der Andern – grundsätzl­ich und selbstvers­tändlich – geachtet und verschont wird.«

Der

Theweleit verweist auf die Abgründe des Maskulinen unter den Bedingunge­n strukturel­ler Gewalt.

Klaus Theweleit: Das Lachen der Täter: Breivik u. a. – Psychogram­m der Tötungslus­t. Residenz Verlag St. Pölten. 248 S., br., 22,90 €.

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Foto: akg-images/De Agostini Picture Cornelis van Haarlem, 1562–1638: Das Massaker der Unschuldig­en

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