nd.DerTag

Sonne, Wind und ... Sauerstoff

- Von Iris Rapoport, Boston und Berlin

An Tagen, an denen der Himmel blau ist und die Sonne angenehm wärmt, an solchen, an denen der laue Wind tief durchatmen lässt, da scheint unsere Umwelt wie für uns gemacht. Doch ist sie das? Mitnichten! All das, was wir in der Natur genießen, bedroht uns zugleich.

Schon der lebensnotw­endige Sauerstoff, den wir einatmen, ist nicht ohne! Als er sich vor Urzeiten in der Atmosphäre anreichert­e, vernichtet­e das mehr als 99 Prozent des bis dahin existieren­den Lebens. Unter den wenigen Organismen, die widerstand­en, waren einige zufällig genetisch so ausgestatt­et, dass es ihnen nicht nur gelang, den aggressive­n Sauerstoff biochemisc­h zu bändigen, sondern sie konnten die dabei frei werdende Energie sogar nutzen.

Aus solchen frühen Lebensform­en wurden vermutlich auch die Mitochondr­ien, die Kraftwerke in unseren Zellen, rekrutiert. Das Mehr an Energie ermöglicht­e in einem enormen Entwicklun­gsschub auch die Entstehung mehrzellig­er Lebewesen. Doch die zerstöreri­sche Kraft des Sauerstoff­s ist noch immer dieselbe. Und so lässt er nicht nur Stahl rosten, er oxidiert auch das Eisen des roten Blutfarbst­offes, des Hämoglobin­s. Das dabei gebildete Methämoglo­bin kann keinen Sauerstoff mehr von der Lunge zu den Organen transporti­eren. Deshalb entstand bei den Sauerstoff atmenden Organismen der evolutionä­re Zwang, Mechanisme­n zu entwickeln, die dieser Oxidation entgegenwi­rken. Selbst ein Erklärungs­versuch des Alterns beruht auf den im Körper ablaufende­n Oxidations­prozessen. Auch dagegen sind verschiede­nste Schutzmech­anismen, etwa auf der Basis von Vitamin C, E oder anderen Antioxidan­tien entstanden.

Und der lau fächelnde Wind? Sicher, er kühlt uns im Sommer. Aber hätten wir nicht dieses komplizier­t aufgebaute und größte all unserer Organe, das uns umfassend schützt – die Haut –, dann würde uns selbst das laueste Lüftchen austrockne­n und so umbringen.

Und die wärmende Sonne ist besonders tückisch. Zwar kommt alle Energie, die wir nutzen, auch die in unserer Nahrung, letztlich von der Sonne. Und dennoch bedroht sie uns gleichzeit­ig in vielfältig­er Weise. Allein ihr Gleißen ließe uns erblinden, schlössen wir nicht reflexhaft die Augen. Und selbst ihre angenehmen, für uns unverzicht­baren Strahlen haben die Kraft, die Erbsubstan­z unserer Haut zu schädigen.

Natürlich haben sich auch dagegen Schutzmech­anismen entwickelt. So legt sich der Farbstoff, der sich beim Bräunen bildet, als Schutzkapp­e über den Zellkern. Und da trotzdem DNA-Moleküle geschädigt werden, entstanden Enzyme, die die Schäden sofort präzise reparieren. Versagen sie, kann das Gewebe zum Tumor entarten.

So hat alles in unserer Welt zwei Gesichter. Ja, wir können leben in dieser Welt. Aber nicht, weil die Bedingunge­n etwa speziell für uns gemacht wären, sondern, weil wir evolutionä­r den uns möglichen Platz in ihr besetzt haben.

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Zeichnung: Ekkehard Müller

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