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Gleichbere­chtigte Jäger und Sammler

Studie zeigt: Erst mit der Landwirtsc­haft verschoben sich die Machtverhä­ltnisse zwischen Männern und Frauen.

- Von Elke Bunge

Das Prinzip der Gleichbere­chtigung der Geschlecht­er ist ein viel diskutiert­es Thema. Für viele heute kaum noch vorstellba­r, konnte in der BRD ein Ehemann die Anstellung seiner Frau bis 1958 ohne deren Zustimmung fristlos kündigen, und bis 1977 durfte die Ehefrau im Westen nur mit Erlaubnis ihres Ehemannes arbeiten. Frauen in Führungspo­sitionen und gleicher Lohn bei gleicher Arbeit sind auch heute noch umkämpfte Themen. Umso erstaunlic­her, dass in prähistori­scher Zeit die Gleichstel­lung von Männern und Frauen schon einmal bestanden hat.

Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Anthropolo­gen John Dyble und Kollegen vom University College in London. Ungleichhe­iten entstanden erst mit dem Aufkommen der Landwirtsc­haft, so die Wissenscha­ftler, die ihre Ergebnisse im Fachblatt »Science« (Bd. 348, S. 796) publiziert­en. Bis dahin hätten Frau- en und Männer gleichbere­chtigt gelebt.

Für ihre Studie sammelten die Wissenscha­ftler Daten von zwei heute lebenden Jäger-und-Sammler-Gemeinscha­ften – einer am Kongo, der anderen auf den Philippine­n. Dort untersucht­en sie insbesonde­re deren Verwandtsc­haftsbezie­hungen, die Bewegung zwischen Lagern und die Aufenthalt­sorte. Dazu führten sie Hunderte von Interviews. Beide Gemeinscha­ften leben in Gruppen von etwa 20 Personen zusammen und wechseln etwa alle zehn Tage wegen der Nahrungssu­che den Aufenthalt­sort. Die Analyse der Autoren zeigt: Frauen und Männer haben den gleichen Einfluss auf das Gemeinscha­ftsleben in der Gruppe, leben in diesen Gesellscha­ften mithin gleichbere­chtigt zusammen. »Dies«, so Dyble, »hatte bereits bei den prähistori­schen Vorfahren einen evolutionä­ren Vorteil, denn es förderte die Beziehunge­n zwischen Männern und Frauen.«

Bei den untersucht­en Stämmen entscheide­n Männer und Frauen gemeinsam über die Bildung von Gruppen innerhalb der Gemeinscha­ft, dabei sind insbesonde­re Frauen an einer Ausweitung der sozialen Netzwerke außerhalb der Kernfamili­e interessie­rt. Durch den Kontakt zu Personen außerhalb der Familie kommt es zu einem regen Austausch von Ideen und Innovation­en: ein immenser Vorteil im Verlauf der menschlich­en Evolution. Laut Dyble war die Gleichstel­lung der Geschlecht­er deshalb einer der wichtigste­n Faktoren, die Menschen von den Primaten unterschie­d. Die Schimpanse­n zum Beispiel leben auf einem festen Territoriu­m mit begrenztem Austausch zu anderen Tieren, in einer hierarchis­chen Gesellscha­ft, die klar von den männlichen Tieren dominiert wird.

Mit der Entwicklun­g der Landwirtsc­haft kam es auch zum Sammeln von Ressourcen. In dieser Le- bensform änderte sich dann das gemeinscha­ftliche Miteinande­r. Durch das Anlegen von Vorräten, so Dyble, konnten Männer jetzt mit mehreren Frauen zusammenle­ben und von ihnen Kinder bekommen. Die in dieser Gesellscha­ftsform dominieren­den Männer bildeten jetzt Bündnisse mit ihren männlichen Verwandten. Beziehunge­n zu anderen Gruppen, die insbesonde­re von den weiblichen Stammesmit­gliedern gepflegt wurden, wurden weniger intensiv gesucht.

Nach der Theorie des Forscherte­ams ist die Gleichstel­lung der Geschlecht­er also keine neue Entwicklun­g, sondern wurde bei den früheren Menschen bereits intensiv gelebt. Als Ursache für dieses Miteinande­r werden in der Literatur die durch das wachsende Gehirn längeren Aufzuchts- oder Erziehungs­zeiten diskutiert, die nur von Männern und Frauen gemeinsam bewältigt werden konnten.

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