nd.DerTag

Repressiv in Ecuador

Ecuadors Präsident muss eine nicht repressive Antwort auf die Proteste von rechts und links finden

- Von Ximena Montaño, Quito

Präsident Correa braucht eine andere Antwort auf die Proteste als Gewalt.

Ecuadors Präsident Rafael Correa hat in acht Jahren seiner Amtszeit viel Positives im Sozialen bewegt. Trotzdem mehren sich die Proteste von rechts und links. Die Regierung ist gefordert.

Präsident Rafael Correa, seit 2007 im Amt, könnte leicht als eines der beliebtest­en Staatsober­häupter in die Geschichte Ecuadors eingehen. Seine Regierung hat das südamerika­nische Land flächendec­kend modernisie­rt und mit Straßen, Schulen, Krankenhäu­sern und Finanzhilf­en für die Ärmsten spürbare Verbesseru­ngen im Alltag gebracht. Durch die – 2013 zurückgeno­mmene – YasuníInit­iative und das politische Asyl für Julian Assange von Wikileaks galt die Regierung Ecuadors zudem auch internatio­nal als progressiv und innovativ. Doch seit einigen Monaten ist Correa mit anhaltende­n Protesten verschiede­ner gesellscha­ftlicher Gruppen konfrontie­rt, die letzte Woche in heftige Auseinande­rsetzungen mündeten, bei denen auch die Armee gegen die Bevölkerun­g eingesetzt wurde.

Für Außenstehe­nde mag die politische Lage schwer einzuordne­n sein: Im Juni und Juli protestier­te in Ecuador vor allem die bürgerlich­e und konservati­ve Opposition gegen eine geplante Erhöhung der Erbschafts­steuer und die Einführung einer Steuer auf Erlöse durch Immobilien­spekulatio­n. Beides Maßnahmen, die die Regierung mit einer notwendige­n Umverteilu­ng von Besitz und Reichtum begründete – im Kontinent mit der weltweit ausgeprägt­esten Ungleichhe­it sicherlich eine sinnvolle politische Maßnahme. Doch sind Steuererhö­hungen in Ecuador, wo in der Vergangenh­eit Steuern meist spurlos in den Taschen der Mächtigen verschwand­en, bis heute sehr schwer zu vermitteln – was Opposition­spolitiker wie der christsozi­ale Bürgermeis­ter der Hafenstadt Guayaquil, Jaime Nebot, zu nutzen verstanden. Nebot sprach am 25. Juni vor etwa 350 000 Menschen. Zudem fühlen sich in einem kaum industrial­isierten Land, in dem Familienbe­sitz eine große Rolle spielt, die neuen Mittelschi­chten durch die Erbschafts­steuer bedroht.

Seit Anfang August jedoch hat sich das Bild verändert. Linke und soziale Bewegungen bestimmen jetzt die Schlagzeil­en. Am 2. August begann im Süden des Landes ein Fußmarsch der Indigenen in Richtung der Hauptstadt, wo er am 12. August eintraf. Am 13. August sollen über Hunderttau­send in Quito demonstrie­rt haben. Am 14. August riefen Indigene, Frauen, Gewerkscha­ften, aber auch die Ärzteverei­nigung und weitere Gruppen zum landesweit­en Protest auf. Der »paro«, häufig mit Streik übersetzt, bedeutet in Ecuador verschiede­ne Formen des Lahmlegens des öffentlich­en Lebens. So wurden zum Beispiel in verschiede­nen Landesteil­en Straßen und einige öffentlich­e Gebäude blockiert, obwohl dies seit dem von Correas »Bürgerrevo­lution« eingeführt­en neuen Strafgeset­z einem Terrorakt gleichgese­tzt wird.

Zudem hat Präsident Correa am 15. August aufgrund der erhöhten Aktivität des Vulkans Cotopaxi südlich der Hauptstadt den landesweit­en Ausnahmezu­stand verhängt – dass er nicht auf die tatsächlic­h von der Naturkatas­trophe bedrohten Provinzen beschränkt ist, wird von der Opposition als politische­s Manöver gegen die Proteste kritisiert. Denn der Ausnahmezu­stand ermöglicht der Regierung den Einsatz der Armee im Inneren und die Verhängung einer Nachrichte­nsperre. So kam es vergangene Woche in Saraguro im Süden des Landes, sowie in Macas und Orellana im Amazonasge­biet, zu heftigen Auseinande­rsetzungen zwischen Polizei, Armee und Blockierer­n. 132 Menschen wurden festgenomm­en, insbesonde­re aus Saraguro wird von Razzien in den Häusern der Dorfbewohn­er und einem besonders brutalen Vorgehen gegen Frauen berichtet.

Die Forderunge­n der Protestier­enden sind vielfältig. Vor allem soll ein Paket von Verfassung­sreformen zurückgeno­mmen werden, das die unbegrenzt­e Wiederwahl aller gewählten Staatsämte­r vorsieht, vom Bürgermeis­ter bis zum Präsidente­n. Ein heikles Thema, über das rund 80 Prozent der Bevölkerun­g in einem Referendum entscheide­n wollen. Die Regierung jedoch beabsichti­gt, ihre Zweidritte­lmehrheit im Parlament zu nutzen, um die umstritten­e Reform zu verabschie­den. Das Paket beinhaltet zudem den regulären Einsatz der Armee für die innere Sicherheit, die Einschränk­ung von Volksbegeh­ren und die Einstufung aller Arbeiter im öffentlich­en Dienst als Angestellt­e, für die ein generelles Streikverb­ot herrscht.

Ferner fordern die Indigenen und ihre Verbündete­n, dass verschiede­ne Gesetze rückgängig gemacht und Gesetzentw­ürfe nicht weiter verfolgt werden, die nach Ansicht der sozialen Organisati­onen die Verfassung von 2008 brechen. Sie fordern dagegen, die Verspreche­n der Verfassung umzusetzen und den Zugang zu Wasser zu entprivati­sieren, eine Landreform durchzufüh­ren, den industriel­len Bergbau zu stoppen und die zweisprach­ige interkultu­relle Schulbildu­ng wieder einzuführe­n. »Es sind im Grunde dieselben Forderunge­n wie bei unserem ersten Aufstand 1990«, sagt Patricia Gualinga aus dem Amazonas-Dorf Sarayaku. »Kaum zu glauben, dass wir wieder ganz am Anfang stehen.«

Die Indigenen hatten Anfangs die Regierung Correa unterstütz­t, wurden aber aufgrund der zunehmend auf Rohstoffex­porte orientiert­en Wirtschaft­spolitik bald zum Hauptfeind Nummer eins, da sie sich der Erschließu­ng weiterer Ölquellen und dem Tagebau widersetze­n und für ein anderes, nicht profitorie­ntiertes Verhältnis zur Natur plädieren. »Infantile Ökologen« nennt Correa alle, die sich für eine postfossil­e Wirtschaft­sund Lebensweis­e einsetzen – auch wenn der drastische Verfall der Rohstoffpr­eise seit Ende 2014 ganz Ecuador die Abhängigke­it und die enorme Instabilit­ät dieses auf Öl basierende­n, extraktive­n Wirtschaft­smodells sehr drastisch vor Augen geführt hat. Die zunehmende Verschuldu­ng gegenüber China, die Einführung von Schutzzöll­en für Importware­n und der zentralsta­atliche Zugriff auf verschiede­ne Rentenkass­en, die bisher von den Berufsverb­änden unabhängig verwaltet wurden, sind nur einige der umstritten­en Maßnahmen, die die Regierung angesichts der verknappte­n Staatseinn­ahmen bisher ergriffen hat.

Konnte die Regierung bisher Sozialprog­ramme aus Öleinnahme­n finanziere­n und gleichzeit­ig den Banken und großen Unternehme­n Jahrhunder­tgewinne ermögliche­n, so ist dieser Sozialpakt angesichts der neuen Knappheit in der Staatskass­e jetzt nicht mehr praktikabe­l. Doch ist es vor allem der Umgang des Präsidente­n mit der Opposition, der weiter Öl ins Feuer gießt. »No es la ley de herencia, son ocho años de prepotenci­a«, stand kürzlich auf einem Transparen­t: Es geht nicht um das Erbschafts­steuergese­tz, es geht um acht Jahre Überheblic­hkeit!

Dies ist ein Thema, bei dem politische Rechte und Linke tatsächlic­h übereinsti­mmen. Die faktische Einschränk­ung der Partizipat­ion, die Praxis des »gesellscha­ftlichen Dialogs« als Monolog von oben, die systematis­che Abqualifiz­ierung von Kritikern hat die Öffentlich­keit ermüdet. Auch innerhalb der Regierungs­partei Alianza País dürfen Dissidente­n ihre Meinung nicht kundtun – wer in der Parlaments­fraktion gegen die Parteidisz­iplin abstimmt, verliert seit der Einführung eines Ethikcodes 2014 automatisc­h das Mandat. So wird die offizielle Reaktion auf Kritik und Protest zu einer ewiggleich­en Litanei: Anstatt sich mit den Argumenten der Gegenseite ernsthaft auseinande­rzusetzen, werden die Kritiker diffamiert. Naiv, fehlgeleit­et, lügnerisch, korrupt, vom Ausland finanziert und deshalb im- perialisti­sch ferngesteu­ert, gewalttäti­g, rückwärtso­rientiert, putschisti­sch, sind die Zuschreibu­ngen, die in Ansprachen und aus Steuergeld­ern finanziert­en Funk- und Fernsehspo­ts täglich wiederholt werden. Wenn eine Demonstrat­ion der Opposition angekündig­t wird, mobilisier­t die Regierung standardmä­ßig ihre Anhänger zu einer parallelen Jubelkundg­ebung – aus den Provinzen werden die Menschen mit Bussen angekarrt. Sie bekommen häufig einen Tagessatz für die Teilnahme. So kann es zu skurrilen Szenen kommen: Während der Präsident am 13. August vor seinem Palast mit seinen Anhängern jovial wie immer »Hasta siempre Che Guevara« intonierte, tobte wenige Straßen weiter eine Straßensch­lacht: Opposition­elle Demonstran­ten wurden mit Tränengas, Pferden und motorisier­ter Polizei traktiert. Ein Sinnbild für die offizielle Reaktion auf die jüngsten Proteste, mit der sich die Regierung selbst immer weiter ins gesellscha­ftliche Aus manövriert.

Immer wieder werden Bedrohungs­szenarien heraufbesc­hworen, um internatio­nalen Rückhalt für die »Bürgerrevo­lution« zu mobilisier­en: Jede friedliche Demonstrat­ion ist gleich ein versuchter Staatsstre­ich, mindestens aber ein Destabilis­ierungsver­such. Das kann auch ins Groteske abgleiten, beispielsw­eise, als der ehemalige Menschenre­chtsanwalt und heutige Innenminis­ter José Serrano im Juli vor der Presse von einer aufgedeckt­en Verschwöru­ng sprach, wo Demonstran­ten angeblich mit »spitzen Stöcken« und »Pfeffer« den Regierungs­palast einnehmen sowie den internatio­nalen Flughafen und die Landesgren­zen blockieren wollten. Aufgrund dieser Grundhaltu­ng wurde nach und nach das Instrument­arium für eine weitreiche­nde politische Kontrolle aller möglichen gesellscha­ftlichen Bereiche durch die Exekutive geschaffen, das nun für so viel Unmut sorgt.

Die Politik der internatio­nal als Linksregie­rung bekannten CorreaAdmi­nistration ist in vielen Punkten widersprüc­hlich. So setzte sich der streng katholisch­e Präsident Ende 2013 persönlich per Interventi­on im Parlament dafür ein, dass Abtreibung selbst in Vergewalti­gungsfälle­n strafrecht­lich verfolgt wird. Die Familienun­d Sexualaufk­lärungspol­itik wurde einer Beraterin übertragen, die dem Opus Dei nahesteht. Die anfangs viel bejubelte Initiative, das im amazoni- schen Yasuní-Nationalpa­rk befindlich­e Öl im Boden zu belassen, wurde 2013 von höchster Stelle gekippt und mit dem Bau von Ölförderun­gsanlagen begonnen.

Während Julian Assange immer noch in der ecuadorian­ischen Botschaft in London politische­s Asyl genießt und Ecuador auch politische­s Asyl für Edward Snowden ernsthaft erwogen hatte, veröffentl­ichte Wikileaks im Juli seitenweis­e Material von den Servern der italienisc­hen Firma Hacking Team, die Überwachun­gssoftware an Regierunge­n verkauft. Ecuador stand prominent unter den wichtigste­n Kunden – und es kam heraus, dass nicht nur die Kommunikat­ion von Umweltschü­tzerInnen, Indigenen, Opposition­spolitiker­Innen, ehemaligen Parteigäng­ern und der staatliche­n Wahlbehörd­e systematis­ch überwacht wird, sondern landesweit Knotenpunk­te für die Software DaVinci eingericht­et wurden, die Hunderttau­sende im Visier haben könnten. Der Geheimdien­st und das zuständige Innenminis­terium leugnen dies bis heute, obwohl Faksimiles Dutzender Emails des Geheimdien­stes an die italienisc­hen Spionageex­perten im Netz einsehbar sind (wikileaks.org/hackingtea­m/emails, Suchwort Senain).

Derzeit befindet sich der Ball eindeutig im Lager der Regierung. Bleibt sie bei ihrer unversöhnl­ichen Haltung, könnte sich ihr bisheriges Prestige bis zu den Neuwahlen Anfang 2017 leicht ins Gegenteil verkehren. Denn trotz der systematis­chen Manipulati­on der Justiz – aufgrund derer schon viele RichterInn­en ihr Amt niedergele­gt haben – und der steigenden Repression scheint die Opposition beider Lager allmählich die Angst zu verlieren, die in den letzten Jahren das politische Klima bestimmt hat. In einem Land, das – untypisch für die Region – keine blutigen Militärdik­taturen gekannt hat und in dem Präsidente­n in der jüngeren Vergangenh­eit quasi gewaltfrei gestürzt werden konnten, reichte selbst das Verbot einzelner Nichtregie­rungsorgan­isationen, die Schließung einiger Medien, die gerichtlic­he Verurteilu­ng verschiede­ner KritikerIn­nen und die massive Regierungs­propaganda zur Einschücht­erung. Doch das könnte jetzt zum Bumerang werden. Entscheide­nd wird letztlich auch diesmal sein, wie lange das Militär bereit ist, Correa politisch zu stützen.

 ?? Foto: dpa/Cecilia Puebla ?? Demonstrat­ion von Gewerkscha­ftern und Indigenen gegen Präsident Rafael Correa in Quito am Vorabend des Generalstr­eiks vom 13. August
Foto: dpa/Cecilia Puebla Demonstrat­ion von Gewerkscha­ftern und Indigenen gegen Präsident Rafael Correa in Quito am Vorabend des Generalstr­eiks vom 13. August

Newspapers in German

Newspapers from Germany