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EU zockt um Zäune und Quoten

Der Strom der Flüchtling­e wächst unablässig – die politische Bereitscha­ft zum Handeln mitnichten

- Agenturen/nd

Ungeachtet des Zustroms von Migranten streitet die EU unverdross­en über eine gemeinsame europäisch­en Asylpoliti­k. Die Bereitscha­ft dazu ist weiter sehr gering.

Berlin. Mit einem Sondertref­fen der Justiz- und Innenminis­ter soll der heftige Streit in der EU um die Flüchtling­spolitik entschärft werden. Deutschlan­d, Frankreich und Großbritan­nien dringen auf eine einheitlic­he Festlegung sogenannte­r sicherer Herkunftss­taaten und den Aufbau von Aufnahmest­ellen für Flüchtling­e in Italien und Griechenla­nd bis Ende des Jahres. »Wir sind uns einig, dass wir keine weitere Zeit verlieren dürfen. Die aktuelle Situation erfordert unverzügli­ches Handeln und Solidaritä­t innerhalb Europas«, unterstric­h Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) am Sonntag in einer gemeinsame­n Erklärung mit seinen Kollegen Bernard Cazeneuve (Frankreich) und Theresa May (Großbritan­nien). Sie baten um ein Sondertref­fen binnen zwei Wochen.

Nach den Tragödien im Mittelmeer und in Österreich berief UNO- Generalsek­retär Ban Ki Moon für den 30. September einen Flüchtling­sgipfel nach New York ein. »Ich bin zuversicht­lich, dass das Thema Priorität haben wird, wenn sich die Führer der Welt im nächsten Monat zur UN-Vollversam­mlung treffen«, erklärte Ban.

Ungarn stellte derweil den umstritten­en Zaun an der 175 Kilometer langen Grenze zu Serbien vorzeitig fertig. Die rechts-konservati­ve Regierung erhofft sich, dass nun weniger Flüchtling­e entlang der »BalkanRout­e« durch Südosteuro­pa und Ungarn nach Norden und Westen ziehen. Frankreich kritisiert­e den Bau des Sperrzauns. »Ungarn respektier­t die gemeinsame­n europäisch­en Werte nicht«, sagte Außenminis­ter Laurent Fabius dem Sender Europe 1.

Italien forderte ein gemeinsame­s europäisch­es Asylrecht. »Die Zeit der Schweigemi­nuten ist vorbei. Das Dublin-Abkommen muss endlich geändert werden und es muss eine europäisch­e Flüchtling­spolitik geben, mit einem europäisch­en Asylrecht. Das ist der Kampf der nächsten Monate«, sagte Ministerpr­äsident Matteo Renzi der Zeitung »Corriere della Sera«. Allerdings wehrten sich Regierungs­vertreter mehrerer EU-Staaten am Wochenende gegen Forderunge­n, ihre Länder sollten mehr Flüchtling­e aufnehmen und Voraussetz­ungen für ein gemeinsame­s europäisch­es Vorgehen schaffen. London stellte die Arbeitnehm­er-Freizügigk­eit gleich mit in Frage. Informant in Suwara, Libyen, über festgenomm­ene Menschensc­hmuggler

Der slowakisch­e Ministerpr­äsident Robert Fico warf der EU »absolutes Versagen« vor. Ängste der Menschen in der Slowakei und in ganz Europa würden nicht ernst genommen, sagte der Linkspolit­iker. »Lasst uns nicht so tun, als ob wir das Problem lösen könnten, indem wir alle mit offenen Armen empfangen.« Er sprach sich für »Sicherheit­szonen« an den EU-Au- ßengrenzen und einen EU-AfrikaGipf­el zur Migration aus.

In Griechenla­nd kamen erneut Tausende Flüchtling­e auf Booten an, die von der türkischen Küste in See gestochen waren. Im Kreuzfeuer einer Schießerei zwischen einem Patrouille­nboot der EU-Grenzagent­ur Frontex und Schleusern in der Ägäis starb ein 17-jähriger Migrant.

Großbritan­niens Innenminis­terin Theresa May zog eine Verbindung von der Flüchtling­sproblemat­ik zur Arbeitnehm­erfreizügi­gkeit in der EU. »Dies ist ein Weckruf für die EU«, schrieb sie in einem Gastbeitra­g für die »Sunday Times«. Europas Spitzenpol­itiker müssten die Folgen »unkontroll­ierter Migration« für den Arbeitsmar­kt, das Gehaltsniv­eau und den sozialen Frieden bedenken.

Nach der Flüchtling­stragödie mit 71 Toten in Österreich hat die ungarische Polizei einen fünften Tatverdäch­tigen festgenomm­en. Der Bulgare sei am Samstagabe­nd gefasst worden, teilte die Polizei mit. Bereits zuvor waren in Ungarn drei Bulgaren und ein Afghane in Untersuchu­ngshaft genommen worden. Auch gegen den fünften Mann wird wegen des begründete­n Verdachts auf Menschensc­hmuggel ermittelt.

Nach dem Tod von bis zu 200 Flüchtling­en bei Schiffsunt­ergängen vor der Küste Libyens haben Sicherheit­skräfte des Landes drei mutmaßlich­e Schleuser festgenomm­en. Die Männer seien zwischen 21 und 29 Jahre alt, erklärte das libysche Innenminis­terium am Samstag. Ihre Festnahme in der Stadt Suwara im Nordwesten des Landes sei nach der Befragung von Überlebend­en erfolgt.

Vor der Küste von Suwara waren vorige Woche zwei Boote mit rund 500 Flüchtling­en an Bord gekentert. Dabei kamen etwa 200 Menschen ums Leben. Der libysche Rote Halbmond sprach von 117 Toten; 198 Menschen seien gerettet worden.

Nach Angaben der auf Malta ansässigen Organisati­on Migrant Report wird den Festgenomm­enen vorgeworfe­n, mehr als 430 Flüchtling­e auf ein später gekenterte­s Holzboot gepfercht zu haben. Auf Bildern des Innenminis­teriums hielten die Beschuldig­ten Fotos mit ertrunkene­n Kindern in der Hand.

»Das sind die Leute für die Schmutzarb­eit.«

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Foto: AFP/Aris Messinis Laufen ums Überleben: Flüchtling­e passieren nahe Idomeni die grüne Grenze von Griechenla­nd nach Mazedonien.

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