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Das Tor zu Skandinavi­en ist halb offen

- Von Andreas Knudsen, Kopenhagen

Die Flüchtling­skrise lässt auch in Skandinavi­en von Monat zu Monat die Zahl der Asylbewerb­er und Flüchtling­e steigen. Sie hat schon längst die der früheren Jahre übertroffe­n. Im Großen und Ganzen machen syrische Flüchtling­e etwa ein Drittel bis die Hälfte der Schutzsuch­enden aus, während andere starke Gruppen aus Irak, Afghanista­n und Eritrea kommen.

Schweden ist das skandinavi­sche Land, das mit Abstand die meisten Flüchtling­e aufnimmt. Bürgerlich­e wie Mitte-links-Parteien sind sich einig, dass in dieser Krisenzeit geholfen werden muss, wo geholfen werden kann. Dementspre­chend ist die Vorjahrsza­hl von rund 80 000 bereits übertroffe­n. An Schwedens selbst formuliert­em Anspruch als moralische Großmacht bei Menschenre­chten besteht kein Zweifel, doch in Teilen der Bevölkerun­g wächst die Besorgnis über die Konsequenz­en der Zuwanderun­g – und die Abwehr von Flüchtling­en. Die rechten und gegen Einwanderu­ng positionie­rten Schwedende­mokraten können laut Umfragen heute auf jede vierte Wählerstim­me zählen.

Drei von vier Norwegern befürworte­n, deutlich mehr Flüchtling­e als bisher aufzunehme­n. Im Vorjahr suchten 11 000 Flüchtling­e um Schutz in äußersten Norden Europas. Die nationalko­nservative Fortschrit­tspartei, die Teil der Regierungs­koalition ist, verlangte Begrenzung­en bei der Einwanderu­ng und in der Asylpoliti­k, konnte sich aber nicht gegen ihre Partner durchsetze­n. Die Kommunalwa­hl in zwei Wochen wird zeigen, wie die Bevölkerun­g die Flüchtling­sfrage einschätzt, denn die Parteien positionie­ren sich unter anderem in ihrer Haltung dazu, was die einzelne Gemeinde tun oder nicht tun kann.

In Dänemark stützen nach Meinungsum­fragen zwei Drittel der Wähler den Kurs der Regierung, die Zuwanderun­g einzuschrä­nken. Bei der Asylgewähr­ung wird deutlich unterschie­den zwischen ökonomisch­en Flüchtling­en, die schnell abgewiesen werden und politisch Verfolgten. Die liberale Minderheit­sregierung beschloss zusammen mit einer Reihe anderer Parteien die Herabsetzu­ng der finanziell­en Unterstütz­ung für neu angekommen­e Flüchtling­e auf Stipendien­niveau und Einschränk­ungen bei der Familienzu­sammenführ­ung. An der Kurve der Asylbewerb­er in diesem Jahrtausen­d können deutlich Erleichter­ungen und Einschränk­ungen bei der Erteilung von Aufenthalt­sgenehmigu­ngen abgelesen werden. Ministerpr­äsident Lars Lokke Rasmussen bezeichnet­e Dänemarks Anteil von bisher etwa 14 000 Personen bei der Bewältigun­g der Flüchtling­skrise als fair.

Auch in Finnland ist man bereit zu helfen, aber nur in Maßen. Hier erklärte sich die bürgerlich­e Regierung zögernd bereit, 1000 Flüchtling­e des EU-Verteilers­chlüssels pro Jahr entgegenne­hmen zu wollen, während gleichzeit­ig die Zahl der Quotenflüc­htlinge herabgeset­zt wurde. Gleichzeit­ig klopfen aber auch hier immer mehr Flüchtling­e an die Tür, so dass die reelle Zahl der Neuankömml­inge höher werden wird als die 3000, die 2014 kamen. Würde es nach Außenminis­ter Timmo Soini gehen, der Parteivors­itzender der rechtspopu­listischen Wahren Finnen ist, würden alle Flüchtling­e abgewiesen werden.

Mehrheitli­ch sind die Bevölkerun­gen der vier Länder darauf eingestell­t, Flüchtling­en in Notzeiten zu helfen. Doch gibt es Bedenken zu den finanziell­en Lasten von Einwanderu­ng und Asylbewerb­ungen, deren Kosten explosiv gestiegen sind. In allen Ländern wird diskutiert, welche Integratio­nskraft der Sozialstaa­t hat und wie die große Anzahl von Neuankömml­ingen die Gesellscha­ftsmodelle Skandinavi­ens beeinfluss­en werden.

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