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Im Namen des Exports

Die Steuerverm­eidungsstr­ategien der Konzerne waren der Bundesregi­erung seit Jahren bekannt – sie tat aber nichts

- Von Simon Poelchau

Spätestens seit 2009 wusste die Bundesregi­erung von den Steuerverg­ünstigunge­n, die Luxemburg großen Konzernen gewährte. Dabei nahm sie diese wohl als Export fördernde Maßnahme hin.

Die Aufregung war groß, als ein internatio­nales Journalist­en Team Ende April aufdeckte, wie Luxemburg jahrelange großen Konzernen dabei half, Steuern in Milliarden­höhe zu vermeiden. »Tax Rulings« hießen die Sonderrege­ln, die dabei gewährt wurden. Doch in der Bundesregi­erung war die Überraschu­ng über diese dubiosen Steuerspar­methoden wahrschein­lich bei weitem nicht so hoch wie in der Öffentlich­keit.

»So hat Luxemburg der Gruppe beispielsw­eise im Jahr 2009 mitgeteilt, wie viele Rulings im Jahr 2008 gegenüber bestimmten Arten von Unternehme­n und zu bestimmten Sachbereic­hen erteilt wurden«, schreibt die Bundesregi­erung in ihrer Antwort auf eine kleine Anfrage der Grünen. Demzufolge lässt sich bei den durch die Journalist­en ans Tageslicht gekommenen Tax Rulings in 140 Fällen ein steuerlich­er Bezug zu Deutschlan­d feststelle­n.

Unter den Steuerverm­eidern befinden sich auch sechs der 30 größten Aktienunte­rnehmen der Bundesrepu­blik, die im Deutschen Aktieninde­x (DAX) gelistet sind. Zudem haben wohl 74 kleine und mittlere Unternehme­n eine Steuersond­erregelung mit dem Großherzog­tum vereinbart. Ob Unternehme­n dabei sind, bei denen auch die öffentlich­e Hand beteiligt ist – darüber schweigt sich die Bundesregi­erung aus. »Von Angaben zur Anzahl und zum Umfang der Beteiligun­gen muss aus Gründen des Identitäts­schutzes der betroffene­n Unternehme­n abgesehen werden«, heißt es in der Antwort.

Insgesamt 548 Steuervere­inbarungen mit den Luxemburge­r Behörden machten die Journalist­en öffentlich, die die Berater von Pricewater­houseCoope­rs (PwC) zwischen 2002 und 2010 für internatio­nale Unternehme­n erarbeitet hatten. Und auch andere EU-Staaten wie Irland und die Niederland­e gewährten Konzernen zweifelhaf­te Steuernach­lässe.

Der Schaden, der dadurch angerichte­t wird, dass die Firmen ihre Gewinne in Steueroase­n verschiebe­n, ist immens. Die Schweizer Großbank Credit Suisse schätzte ihn vor zwei Jahren innerhalb der entwickelt­en Industrien­ationen auf über 100 Milliarden US-Dollar. Auch dem Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) zufolge rechnen sich die Unternehme­n systematis­ch arm. Die DIW-Forscher schätzen, dass die Differenz zwischen gesamtwirt­schaftlich­en und den steuerlich erfassten Gewinnen im Krisenjahr 2008 eine Höhe von gut 90 Milliarden Euro erreichte – knapp vier Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s.

Ein beliebtes Mittel, Gewinne in Steueroase­n zu verschiebe­n, sind sogenannte Patentboxe­n. Dabei überschrei­bt der Konzern seine Patente auf eine Tochterfir­ma in einem Niedrigste­uerland. Seine Tochterfir­men in den übrigen Ländern müssen dann Lizenzgebü­hren an die Firma in der Steueroase zahlen, was deren zu versteuern­de Gewinne schmälert und den der letzteren in die Höhe treibt.

Dem Grünen-Bundestaga­bgeordnete­n und Steuerexpe­rten Thomas Gambke zufolge schaut die Bundesregi­erung beim Thema Steuerverm­eidung bereits seit nunmehr 20 Jahren »bewusst« weg. So habe es innerhalb der EU bereits Anfang der 1990er Jahre Gespräche gegeben, bei denen Steuerverm­eidung thematisie­rt wurde. »Das Problem war also bekannt«, meint Gambke.

Zwar beschäftig­t sich die Organisati­on für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g (OECD) mittlerwei­le im Rahmen eines Aktionspla­ns damit, wie gegen die aggressive­n Steuerverm­eidungsstr­ategien der Konzerne vorgegange­n werden kann. Und die Bundesregi­erung engagiert sich nach eigenen Angaben für eine »zügige« Einführung eines verpflicht­enden automatisc­hen Informatio­nsaustausc­hs von Tax Rulings innerhalb der EU. Doch Gambke hält es für unwahrsche­inlich, dass dabei »etwas Gutes herauskomm­t«.

Denn dem Grünen-Steuerexpe­rten zufolge steckt hinter dem bewussten Wegsehen eine Strategie: »Man hat das Thema Steuerverm­eidung nicht ernst genommen, weil man es quasi als Export fördernde Maßnahme hingenomme­n hat.« Auch wenn ein Konzern seine Gewinne in Steueroase­n verlagert hatte, war es also demnach für den Staat okay, solange er die Arbeitsplä­tze im Land ließ. »Das ist mittlerwei­le zu einem großen Gereichtig­keits- und Wettbewerb­sproblem geworden«, meint Gambke. So müssten mitunter auch Mittelstän­dler gegen die großen Konzerne konkurrier­en, die nicht in den Genuss dieser Steuerspar­modelle kommen.

Ein weiter Grund, warum sich Schwarz-Rot nur »sehr zögerlich« mit dem Thema Luxleaks beschäftig­t, sieht der Grüne in der Personalie von EUKommissi­onschef Jean-Claude Juncker. Der konservati­ve Politiker war jahrelang Finanzmini­ster und Regierungs­chef in Luxemburg und somit politisch verantwort­lich für die Sonderrege­lungen für Konzerne.

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Foto: Hannibal Hanschke Wenn es der Wirtschaft dient, drückt Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) auch mal zwei Augen zu.

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