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Mondsüchti­gkeit und Himmelsseh­nsucht

Peter Schütt bündelte Gedichte aus 50 Jahren

- Von Michael Baade

Den großen Unbekannte­n, den großen Unerkannte­n« nannte ihn kürzlich eine NDR-Redakteuri­n in einem Autorenges­präch. Als streitbare­r Kommunist und später als bekennende­r Muslim hatte Peter Schütt es nicht leicht, sich im Literaturb­etrieb dieses Landes einen Namen zu machen. Anders damals in der DDR, besonders im Norden. Dort ist er zumindest den Älteren in guter Erinnerung geblieben.

Seine »Muttermilc­hpumpe«, die von Peter Schneider dramatisie­rte Reportage aus dem anderen Amerika, wurde am Rostocker Volkstheat­er in den Jahren vor der Wende mehr als hundert Mal aufgeführt. Seine im Tribüne-Verlag erschienen­e Sammlung von Friedens- und Umweltgedi­chten, »Bäume sterben aufrecht«, erreichte 1988 drei Auflagen. Jetzt hat Peter Schütt unter dem treffendem Titel »Peterchens Mondfahrt« in einer künstleris­ch gestaltete­n Ausgabe »100 Gedichte aus 50 Jahren« veröffentl­icht, eine Lebenschro­nik in Versen, die einen weiten Bogen von jugendlich beschwingt­en Liebesgedi­chten bis hin zu altersmela­ncholische­n Meditation­en über Gott und die Welt spannen. In seiner chronologi­sch angeordnet­en Versfolge macht er keinen Hehl daraus, dass er die DDR einmal für das bessere Deutschlan­d gehalten hat. In seinem »Kommunisti­schen Manifest«, das er bei den X. Weltfestsp­ielen der Jugend und Studenten 1973 in Berlin vorgetrage­n hat, misst er die beiden deutschen Staaten nicht mit wirtschaft­lichen, sondern mit moralische­n Maßstäben und stellt reich und arm gegenüber. Besonders fühlt er sich mit Land und Leuten Mecklenbur­gs verbunden. Als die Mauer fällt, begrüßt er seinen Rostocker Freund im vertrauten Platt.

Peter Schütt wird oft mit Volker Braun verglichen. Beide sind 1939 geboren, beide sind erklärte BrechtSchü­ler und haben in Zeiten der Teilung auch miteinande­r korrespond­iert. In den Jahren des Umbruchs nach der Wende erfindet sich Peter Schütt noch einmal neu. Ohne seine linken Ideale zu verleugnen, bekennt er sich 1991 öffentlich zum Islam und wendet sich auch poetisch – ähnlich wie Goethe in seinem »Westöstlic­hen Diwan« – dem Morgenland zu.

Dabei gelingen ihm gänzlich neue, in der deutschen Literatur unerhörte Töne. Von seiner Wallfahrt nach Mekka bringt er eine humoristis­che plattdeuts­che Ballade mit, in Jerusalem sucht er nach den Spuren der jüdischen, christlich­en und muslimisch­en Propheten, in Kairo feiert er den gewaltfrei­en Sieg der Demonstran­ten über die Panzer. Aber trotz allem Überschwan­g, trotz aller Mondsüchti­gkeit und Himmelsseh­nsucht behält Peter Schütt immer das Naheund das Nächstlieg­ende im Blick. Er fährt kein Auto, er bewegt sich zu Fuß, mit dem Rad oder mit der U-Bahn und bewahrt dadurch eine von Liebe und Respekt geprägte Nähe zu Mensch und Tier. Er ist im Alltag zuhause. Seine Stärke ist seine Dünnhäutig- keit, seine Mitleidens­fähigkeit, sein Spürsinn für die Leiden, aber auch die kleinen Freuden der Mühseligen, Beladenen.

Seinen besonders Reiz gewinnt Peter Schütts poetische Lebenschro­nik durch die über das ganze Buch verstreute­n Bilder, Skulpturen und Objekte der eigenwilli­gen Künstlerin Helga Kreuzritte­r. Ihre Werke wollen die Gedichte nicht illustrier­en, sondern ihnen auf raffiniert ironische und satirische Weise widersprec­hen und erzeugen dadurch eine widerspruc­hsgeladene Spannung, an der Altmeister Brecht sicher seine Freude gehabt hätte.

Seine Stärke: Dünnhäutig­keit

Peter Schütt: Peterchens Mondfahrt.100 Gedichte aus 50 Jahren. Mit Bildern, Skulpturen und Objekten von Helga Kreuzritte­r. Verlag der PashminArt Gallery Hamburg. 184 S., geb., 38 €.

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