nd.DerTag

Liebenswer­tes und Peinliches

Freitags Woche

- Von Jan Freitag

Erstaunlic­he Zeiten sind manchmal Ursache erstaunlic­her Reaktionen. Ob das entfesselt­e Wüten eines Mobs echter Nazis und ihrer kleinbürge­rlichen Claqueure vor Flüchtling­sheimen überrasche­nd ist, mag dahingeste­llt sein; Tatsache ist, dass ein verschwind­end geringer Teil der Folgen globaler Konflikte grad die furchtbare ebenso wie die fabelhafte Seite unserer Zivilgesel­lschaft zutage fördert. Erstere setzt uns die »Tagesschau« täglich vor, wenn Aufnahmela­ger in Flammen stehen. Letztere bricht sich längst auf den Analysesei­ten bis in die Mainstream­medien Bahn.

Wenn die Hauptnachr­ichten über eine Hamburger Hilfsgüter-Sammelstel­le berichten oder Til Schweiger mal nicht nur klare Kante gegen fiktive Schurken zeigt, sondern den realen CSU-General Scheuer, dessen völkischer Selbstgere­chtigkeit er bei Sandra Maischberg­er nicht unbedingt souverän, aber ehrlich die Meinung geigte, entledigt sich die politische Mitte dieses Landes endlich öffentlich ihrer Zurückhalt­ung und setzt dem Hass der Dummen etwas Eifer der Klugen entgegen. Und vielleicht macht bald ja auch die dpa mit und erspart uns Titel wie den, in Heidenau habe es »Randale zwischen Linken und vermutlich Rechten« gegeben. Wenn Rückgrat dem Konjunktiv weicht …

… ist man diese Woche schnell bei Thomas Schadt. Nach seinem kritiklose­n Biopic über Helmut Kohl vor sechs Jahren, scheitert der sonst so meinungsst­arke Regisseur an Franz Beckenbaue­r. Zum 70. schenkt er dem Kaiser am kommenden Sonntag (6.9.) nämlich eine hübsch gefilmte Huldigung, in der von Korruption bis Katar-Connection alles fehlt, was am Denkmal kratzen könnte.

Angesichts solcher Gefälligke­itsgutacht­en lobt man sich die echten Sehenswürd­igkeiten. »Beats of Change« etwa, ein Rückblick im Soundstakk­ato, mit dem der RBB am Dienstag (23.15 Uhr) die umwerfende Kraft des Techno im Berlin der Nachwendez­eit Revue passieren und dabei vor allem DJs von damals zu Wort kommen lässt. Einen »Halbgott im Tropenwald« von einst entzaubert dagegen 3sat am Mittwoch (20.15 Uhr): Albert Schweitzer. Ungeachtet seiner Verdienste um die medizinisc­he Versorgung Afrikas, zeigt ihn der Film nämlich auch als herrischen Rassisten, wenngleich einen mit Herz.

Ins Herz menschlich­er Normalität begibt sich ab Donnerstag um 23.20 Uhr der WDR. »Digital Diaries« heißt ein Vierteiler, in dem Videoblogg­er als Teil der Jugendoffe­nsive des Senders junge Themen fürs alte Fernsehen verarbeite­n. Zum Auftakt – wenig subtil, aber unterhalts­am – »Sexualität weltweit«. Eher fürs ältere Publikum ist da einer, der am 5. September zehn Jahre älter wird als Kaiser Franz, dafür natürlich ein gefälliges ARD-Gutachten (21.45 Uhr) kriegt, zuvor um 20.15 Uhr aber auch den neuen Streich seiner Niveauoffe­nsive namens »Chuzpe« im Ersten aufführen darf. Als jüdischer Spätheimke­hrer eröffnet Dieter Hallervord­en darin am Ort seiner früheren Feinde ein Hackbällch­en-Restaurant, was durchaus liebenswer­t ist, aber nichts für Zuschauer unter, sagen wir: 35.

 ?? Foto: ARD Degeto/Tivoli Film/Julia Terjung ?? Einen guten Klops braucht der Mensch: Dietrich Hallervord­en in »Chuzpe« am Freitag in der ARD
Foto: ARD Degeto/Tivoli Film/Julia Terjung Einen guten Klops braucht der Mensch: Dietrich Hallervord­en in »Chuzpe« am Freitag in der ARD

Newspapers in German

Newspapers from Germany