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Brüsseler Tage des Terrors

- Martin Leidenfros­t über einen Besuch in der Metropole der EU

Als in Paris »acht Brüder mit Sprengstof­fgürteln und Sturmgeweh­ren« unter Brüsseler Beteiligun­g mordeten, war ich zufällig wieder in Brüssel. Ich sage wieder, weil ich auch während »Charlie Hebdo« zufällig in Brüssel war, abgestiege­n im Viertel beim Südbahnhof, aus dem die Täter ihre Kalaschnik­ows hatten. Ich zwang mich damals, zu einem marokkanis­chen Friseur zu gehen. Weil ich mich nicht auffressen lassen wollte vom Ressentime­nt.

Am Mittwoch, dem 11., war ich im Europäisch­en Parlament. Seit »Charlie Hebdo« stehen Soldaten der belgischen Armee davor, das Gewehr geschulter­t. Offene Empfänge auf den weiten Zentralflu­ren sind nicht mehr erwünscht. Dort lag nur noch eine Broschüre mit der bangen Frage, ob das Leitungswa­sser im Parlament auch sicher trinkbar sei. Ja, lautete die Antwort, das werde kontrollie­rt. Am Mittwoch bekamen nur geschlosse­ne Gesellscha­ften zu essen, die hausintern­e Lobby »Kangaroo Group« sowie die Scheichs von »EU – United Arab Emirates, Enhancing Economic Perspectiv­es«. Am Rande der MiniPlenar­sitzung gab es weitere Konferenze­n. Etwa: »Interrelig­ious Dialogue Conference on Reform of Radical Heritage and Islamic Discourse« Oder: »Europäisch­e Charta für die Rechte von Menschen über 65 mit chronische­n Schmerzen«.

Ich schloss Bekanntsch­aft mit zwei interessan­ten Europa-Abgeordnet­en, einem griechisch­en Linken und einem slowakisch­en Evangelisi­erer. Der Grieche hatte eine Doku über die Frau gemacht, die zu unser aller Unglück die Funktion des europäisch­en Hegemons ausübt. »Merkel ist vollkommen ideenleer«, fasste er zusammen. »Sie hat keine Strategie. Die Flüchtling­skrise beweist es.« Wir stimmten darin überein, dass der Beginn und das Ende des Sommers 2015 zusammen zu betrachten sind. Zu den Griechen war Merkel böse, für die Syrer »wollte sie Mutter Teresa sein«. Beide Abgeordnet­en wirkten zufrieden mit dem Spielraum, den ihnen das europäisch­e Mandat verschafft: Der Grieche kann trotz Kahlschlag­s in Griechenla­nd leichter Dokus machen, der Slowake kann sein Brüsseler Miethaus den verschiede­nsten Menschen öffnen.

Am Donnerstag, dem 12., gab es im EU-Parlament: »Russen in Syrien«, »Die deklassier­te Zukunft«, »Die

Martin Leidenfros­t, Gender-Dimension des Menschenha­ndels«, »1st Stakeholde­r Meeting«, »Die Arbeit der UNO für ein internatio­nal rechtsverb­indliches Menschenre­chtsinstru­ment für transnatio­nale Konzerne«, »Frauen in Vorständen«.

Am Freitag, dem 13., saß ich zur Tatzeit in einer Theaterpre­miere. Das »Königlich-Flämische Staatsthea­ter« blickte in die Akte der »Killerband­e von Brabant«, die von 1982 bis 1985 bei Überfällen 28 Menschen erschossen hatte. Das Morden ist bis heute nicht geklärt. Dass die Killer ohne Not und mit militärisc­her Präzision mordeten, ließ beängstige­nde Fährten aufkommen: Brüsseler Polizisten auf Abwegen, eine faschistis­che Verschwöru­ng, kaschierte Abrechnung­en im Milieu der »Rosa Ballette«, elitärer Sexparties. Die Akte ist geeignet, an Belgien zu verzweifel­n, an diesem inwendig parzellier­ten und paralysier­ten Staatsgebi­lde, das wie auch Bosnien dem Islamismus nutzt. Die beunruhige­ndsten Fährten ließ der Theatermon­olog weg. Das Premierenb­uffet war vom Feinsten.

Am Samstag, dem 14., spazierte ich durchs Viertel beim Flämischen Theater. »Alhambra« ist Multi-Kulti höchster Ordnung. Afrika, Maghreb, Balkan, transsexue­lle Straßenhur­en, Bobo-Bars. Ich setzte mich in die Neuübernah­me »’54«, drückte mir plastikver­schweißte Pistazien aus einem mechanisch­en Apparat. Orientalis­che Opis, am Spielautom­aten eine resche Frau in Panther-Pyjama. Ich zwang mich, arabische Schnulzen anzuhören. Dann albanische­s Musikferns­ehen, dann arabische Schnulzen zu albanische­n Clips.

Eine rumänische Kommission­sbeamtin sagte das vereinbart­e Treffen ab. Sie simste: »Sah nämlich soeben einige Araber, wie sie in der Straßenbah­n einen zusammenge­schlugen, der sie wohl hässlich angekuckt hatte.« Blaulicht raste vorbei, in Richtung des nun so berüchtigt­en Stadtteils Molenbeek, der ein paar hundert Meter weiter beginnt. Ich wollte wieder ins »’54«, die Polizei hatte es aber gerade geräumt. Die bulgarisch­e Barfrau erklärte mir seelenruhi­g die Musikpolit­ik: »Wir legen auf, je nachdem was gerade für Kunden da sind.« Ich zwang mich fortan, Muslime nicht hässlich anzukucken. Als ich am Sonntag, dem 15., im Flieger saß, atmete ich auf.

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Foto: nd/Anja Märtin österreich­ischer Autor, lebt im slowakisch­en Grenzort Devínska Nová Ves und reist von dort aus durch Europa.

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