Fatales Signal
Was
die ARD bewogen hat, den Sänger Xavier Naidoo im nächsten Jahr zum Eurovision Song Contest (ESC) nach Stockholm zu schicken, wissen wir nicht. Vielleicht hat man sich beim federführenden NDR wehmütig an das »Sommermärchen« der Fußball-WM 2006 erinnert, bei dem Naidoos Lied »Dieser Weg« zur Fan-Hymne wurde, vielleicht glaubt man in Hamburg auch daran, dass ein Deutscher mit sogenanntem Migrationshintergrund als Repräsentant eines toleranten, weltoffenen Deutschlands besonders gut taugt und in Stockholm mehr als null Punkte beim Wettbewerb einfährt.
Eines ist allerdings so gut wie sicher: Jenen, die den Mannheimer vorgeschlagen haben, müssen die politisch brisanten Äußerungen Naidoos bekannt gewesen sein. Dazu reicht ein Blick in das ARD-Archiv. So hat Naidoo 2011 im ARD-Morgenmagazin behauptet, Deutschland sei noch immer ein besetztes Land und deshalb nicht frei. Dass der Soulsänger folgerichtig im vergangenen Jahr bei einer Demo der rechtsextremen »Reichsbürger« auftrat, kann man ebenfalls wissen. Zudem gibt es reichlich fragwürdige Liedzeilen von ihm. 2012, als Fälle von pädosexueller Gewalt in den Medien die Runde machten, setzte er in einem Lied Homosexuelle mit Päderasten gleich und äußerte offen Gewaltfantasien (»Ich zerquetsch euch die Klöten«).
Senderintern stößt die Nominierung Naidoos auf zum Teil heftige Kritik. Wie der ARD-Redakteur Patrick Gensing am Freitag auf ndr.de schrieb, stand die Nominierung Naidoos für den ESC bereits vor einem halben Jahr zur Debatte. Schon damals habe es »überwiegend ablehnende« Reaktionen gegeben. Gensing, der u. a. für das ARD-Nachtmagazin und das Magazin »Panorama« arbeitet, hält die Entscheidung für den 44-Jährigen »für das falsche Signal«; diese sei »nicht in meinem Namen« gefallen.
2012 setzte Naidoo in einem Lied Homosexuelle mit Päderasten gleich.
Auch aus der Politik und aus der Öffentlichkeit schlägt der ARD Unverständnis entgegen. Aus den Reihen der SPD-Bundestagsfraktion hieß es, man halte Naidoo für »politisch nicht vertretbar«, der NDR solle die Entscheidung überdenken. Im Internet organisiert sich indes Widerstand. Bis Freitagmittag erhielten zwei OnlinePetition gegen den ESC-Auftritt Naidoos bereits mehr als 20 000 Unterstützer. Eine weitere Petition, die sich dafür stark macht, dass die Punk-Band »Wolfgang Wendland und die Kassierer« beim ESC antritt, hatte mehr als 7000 Unterzeichner.
Wenn der NDR bei seiner Entscheidung bleibt, dann haben die TV-Zuschauer am 18. Februar 2016 das letzte Wort. Dann nämlich soll Naidoo in der Show »Unser Song für Xavier« darüber entscheiden, mit welchem Titel der Sänger beim ESC antreten soll. Egal, für welches Lied sich die Zuschauer entscheiden werden – sie werden damit faktisch auch für die politischen Ansichten des Sängers votieren, selbst dann, wenn sie diese nicht teilen.
Naidoo selbst hat sich mittlerweile ebenfalls geäußert und sich zu »Meinungsfreiheit und Toleranz« bekannt. Er sei von Anfang an für diese Werte eingetreten, erklärte Naidoo auf der ARD-Homepage. Das Bekenntnis klingt aber nur vordergründig gut, jeder Pegida-Marschierer wird es unterschreiben können – und damit vor allem das Recht meinen, weiter widerspruchslos gegen Flüchtlinge und die »Lügenpresse« hetzen zu dürfen.