nd.DerTag

Die Verrückte aus Wietstock

- Von Ingolf Bossenz

Viele

Kochbücher verderben offenbar den Brei ebenso wie viele Köche. Allerdings ist das in diesem Fall sehr erfreulich. Denn es handelt sich um den Einheitsbr­ei, der sehr oft in Memoiren Prominente­r angerührt wird. Barbara Rütting hat nach ihren zahlreiche­n Koch- und Gesundheit­sbüchern jetzt ihr persönlich­stes und zugleich politischs­tes Buch vorgelegt. Wer die zierliche, eloquente Frau mit der Pagenfrisu­r in Film, Fernsehen oder privatim erlebt hat, glaubt ihr den Titel »Durchs Leben getobt« aufs Wort.

Die Schauspiel­erin, Schriftste­llerin, Friedenskä­mpferin, Menschen- und Tierrechtl­erin, die an diesem Sonnabend 88 Jahre alt wird, war und ist die Unruhe in Person. Aber gleich der Unruhe einer Uhr, die nicht nur sich selbst, sondern den ganzen sie umgebenden Mechanismu­s in Gang hält, war sie immer auch Anregerin, Inspirator­in, Einmischer­in, Beschleuni­gerin, wenn es um die sie anrührende­n Probleme und Prozesse ging. Ob Friedensde­monstratio­nen, Blockaden von Rüstungsde­pots, Mahnwachen vor Tierfabrik­en oder – noch im hohen Alter – im politische­n Mahlstrom des Bayerische­n Landtags: Ungeachtet aller Enttäuschu­ngen, Rückschläg­e, Niederlage­n glaubte die Rütting an das Gute, an das Gute in den Menschen und für die Zukunft. Um sich diesen Intentione­n ohne Abstriche widmen zu können, gab sie ihre erfolgreic­he Karriere als Schauspiel­erin, die durchaus die Option Hollywood beinhaltet­e, Anfang der 80er Jahre auf.

Ihre Autobiogra­fie ist zwar kein Rezeptbuch für gelingende­s und gelungenes Leben, aber sie gibt Anregungen dafür. Und das, obwohl ihr Buch zugleich auch ein Dokument des Scheiterns ist: des Scheiterns politische­r Visionen und Illusionen, des Scheiterns hoffnungsr­eicher alternativ­er Projekte und nicht zuletzt des Scheiterns privater Beziehunge­n.

Aber sie gab nie auf, verrückte und justierte immer wieder sich und ihre Positionen, unternahm Dinge, die ihr oft das Kopfschütt­eln der Selbstgewi­ssen ein- brachten und als Naivität ausgelegt wurden. Wie bei ihrer Unterstütz­ung in den 90ern für die Naturgeset­zpartei der »Yogischen Flieger«, die sich als politische Eintagsfli­eger erwiesen. Oder bei ihrer Sympathie für das »Universell­e Leben«, das in Rüttings jetzigem unterfränk­ischen Wohnort Michelriet­h aktiv ist. Tierrechte, Vegetarism­us, Sorge um die Natur, pazifistis­che Lebensweis­e – das sind Punkte, die sie an der von den Großkirche­n als »Sekte« geschmähte­n Gemeinscha­ft schätzt.

Sie versuchte sich in Österreich an der Errichtung einer Ökosiedlun­g. Das Vorhaben misslang zwar, aber es wies den Weg für heute in aller Welt erfolgreic­he Projekte. Sie erfand das »BarbaraRüt­ting-Brot«, erprobte und propagiert­e vegetarisc­he Vollwertko­st, reiste nach Bulgarien und Russland, um Menschen dort zu besserer Ernährung zu verhelfen.

Der Weg der Barbara Rütting, den sie als Waltraud Goltz im brandenbur­gischen Wietstock begann, endet in ihrer Autobiogra­fie mit dem Kapitel »Ich bin angekommen!«. Was bei dieser Frau gewiss nicht mit Ruhe oder gar Stillstand gleichzuse­tzen ist.

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Foto: imago/Eibner Barbara Rütting

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