»Mehr Angst habe ich nicht«
Nach den Anschlägen von Paris: Berliner wollen Weihnachten genießen / Innensenator Henkel warnt vor Panik
Am Montag eröffnen die ersten Weihnachtsmärkte, die bis zu den Feiertagen tausende Besucher anlocken. Welche Sicherheitsvorkehrungen trifft Berlin nach den Anschlägen in Paris?
»Ich lebe mein Leben weiter wie bisher«, sagt der 34-jährige Tom Münster. »Wenn wir uns einschüchtern lassen, ist es genau das, was die Terroristen wollen«, fügt er hinzu. Auf dem Potsdamer Platz, unweit der Französischen Botschaft, herrscht wie immer reger Betrieb. Auch der 73-jährige Otto Wegener hat nicht vor, etwas an seinem Verhalten zu ändern. »Bedroht fühle ich mich aktuell nicht«, sagt er. »Aber natürlich ist es sinnvoll, generelle Vorsicht walten zu lassen«. Er plane, wie jedes Jahr zum Weihnachtsmarkt zu gehen. Für die 24-jährige Janett Koch sei der Terrorismus seit den Pariser Anschlägen präsenter geworden. »Mehr Angst habe ich dadurch aber nicht«, sagt sie. Sie hoffe, dass die Berliner Sicherheitsbehörden als Reaktion nicht die Überwachung ausbauen. »Das hat in Frankreich auch nicht geholfen.« Ohne Panik, aber mit verstärkten Sicherheitsmaßnahmen will der Berliner Profisport auf die sensible Lage nach der Absage des Fußball-Klassikers Deutschland gegen Niederlande reagieren. »Ich habe keine Angst, das habe ich schon vorher gesagt«, erklärte Hertha-Chefcoach Pal Dardai, der nach den Anschlägen in Paris und der Terror-Warnung in Hannover sein Team ohne besondere Maßnahmen auf das nächste Heimspiel gegen die TSG Hoffenheim am Sonntag einstellen wird. Die Geschäftsführung des Vereins aber zieht Konsequenzen aus den Ereignissen der letzten Wochen. Wie genau diese Vorkehrungen aussehen, bleibt geheim. Zuschauer sollten jedoch mehr Zeit bei den Einlasskontrollen einplanen, so Herrich. Der Verein betont, dass die größtmögliche Sicherheit bei allen Spielen herrsche. Lokalrivale Union Berlin will für die kommenden Heimspiele gegen Arminia Bielefeld und den SV Sandhausen am Sicherheitskonzept keine großen Veränderungen vornehmen. »Jedes Spiel wird von den beteiligten Vereinen und allen Sicherheitskräften gemeinsam vorbereitet«, sagt Vereinssprecher Christian Arbeit dem »nd«. Alle Erkenntnisse würden in die Vorgespräche einfließen und daraus »notwendige Maßnahmen« abgeleitet. Ein generelles »Mehr« wäre also gar nicht möglich, so Arbeit.
Selbstbewusste Worte gab es auch im Verfassungsschutzausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses. »Wir sind den Terroristen überlegen. Gegen Anschläge wie in Paris ist Berlin allemal gewappnet«, sagte der Grünenabgeordnete und Vorsitzende des Ausschusses, Benedikt Lux am Mittwoch. Am Rande des Treffens erklärte Innensenator Frank Henkel, dass sich die Sicherheitslage in Berlin nicht verändert habe. Weiterhin gebe es eine »abstrakt hohe Gefährdungslage«, teilte er mit. Berlin befinde sich nach wie vor im »Fadenkreuz des islamistischen Terrors«. Konkrete Hinweise auf Anschläge gebe es keine. Großveranstaltungen wie Bundesligaspiele oder der Weihnachtsmarkt sollen normal stattfinden. Es gelte jedoch, wachsam zu sein. Die Berliner Polizei wird als Reaktion auf die Anschläge verstärkt bei Veranstaltungen und im Stadtbereich sichtbar eingesetzt, vor allem an französischen Einrichtungen. Zudem wies Henkel daraufhin, dass im letzten Haushalt die Finanzierung der Polizeiausrüstung von zwei Millionen auf vier Millionen Euro verdoppelt wurde. Der Innensenator erklärte auch, »in aller Ruhe und Gelassenheit« die Diskussion in den Bund führen zu wollen, ob das Verbot von Militäreinsätzen im Inneren noch sinnvoll sei.
Nach aktuellen Informationen des Verfassungsschutzes sind rund 100 Berliner Islamisten nach Syrien oder den Irak ausgereist, um dort im Bürgerkrieg mitzukämpfen. Etwa ein Dutzend Islamisten sind im Krieg getötet worden. Rund ein Drittel der Ausgereisten sei zurückgekehrt, viele davon desillusioniert. Fünf Personen mit islamistischem Hintergrund würden darüber hinaus in Berliner Gefängnissen einsitzen, sieben weitere in Untersuchungshaft. Nach Angaben des Verfassungsschutzchefs Bernd Palenda versuchen Berliner Islamisten Flüchtlinge zu instrumentalisieren und zu radikalisieren, beispielsweise über humanitäre Hilsvereine. Damit seien sie jedoch bisher nicht erfolgreich.
In der vergangenen Woche wurden wiederholt verdächtige Gegenstände gemeldet. Die Polizei musste immer wieder Straßen, Wege und Geschäfte sperren. In jedem Fall stellten sich die Funde als ungefährlich heraus. Zwei solche Fälle gab es am Freitag in Mitte und Charlottenburg. Beide Male ein Fehlalarm. Am Zoologischen Garten wurde eine herrenlose Tasche gefunden und der Bahnhof daraufhin gesperrt. Zuvor hatte es bereits einen Alarm in der Leipziger Straße gegeben.