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Großbauste­lle im Naturidyll

Im Nordosten wächst die Offshore-Stromtrass­e zu zwei Windparks nordöstlic­h von Rügen

- Von Martina Rathke, Lubmin dpa/nd

Damit der Strom von OffshoreWi­ndparks an die Küste kommt, müssen Stromkabel in der Ostsee verlegt werden. Der Netzbetrei­ber 50Hertz hat in Lubmin mit den umstritten­en Arbeiten begonnen.

Grasende Kühe nur 100 Meter neben einer lauten Horizontal­bohrmaschi­ne, dahinter das atomare Zwischenla­ger. Lubmin im Osten Mecklenbur­gVorpommer­ns bietet derzeit eine Kulisse der Gegensätze: zwischen norddeutsc­hem Naturidyll und Großbauste­lle: In Nähe des stillgeleg­ten Atomkraftw­erks arbeitet der Netzbetrei­ber 50Hertz am Bau der Offshore-Stromtrass­e »Ostwind 1« zu zwei genehmigte­n Windparks nordöstlic­h von Rügen. An der Anlandeste­lle – unter dem Areal eines Naturschut­zgebietes – wurden auf einer Strecke von 400 Metern die ersten Leerrohre für die Stromkabel verlegt.

»Aus naturschut­zfachliche­r Sicht ist das ein hochsensib­ler Bereich«, berichtet 50Hertz-Projektlei­ter Wolfgang Thießen. Das Gebiet nahe dem stillgeleg­ten Atomkraftw­erk ist FFH- und Vogelschut­zgebiet. Nur wenige Meter neben der Horizontal­bohrmaschi­ne steht ein Amphibienz­aun, an dem alle 25 Meter ein Eimer in der Erde versenkt ist. »Vor wenigen Wochen haben wir hier täglich 450 Lurche, Frösche oder Kröten über die Baustelle auf die andere Seite getragen«, sagt Bauleiter Hans-Günter Hiller. Jetzt haben die Amphibien Winterruhe – im Gegensatz zur Bohrmaschi­ne, die sich brummend Stück um Stück in sieben Meter Tiefe unter den Salzgraswi­esen vorarbeite­t.

Von 2018 an soll der erste Strom vom westlichen Adlergrund – einem Offshore-Eignungsge­biet in der Ostsee rund 30 Kilometer nordöstlic­h von Rügen – nach Lubmin fließen. Mit dem Iberdrola-Projekt »Wikinger« und dem E.on-Vorhaben »Arkona-Becken Südost« sind dort bereits zwei Windparks genehmigt. Der Netzbetrei­ber 50Hertz verlegt das rund 90 Kilometer lange Kabel durch die Ostsee und führt es dann drei Kilometer über Land zum Umspannwer­k Lubmin, damit der Ökostrom auch die Haushalte erreicht.

Die Kabel haben eine Leistung von 785 Megawatt, wie 50Hertz-Sprecher Siegfried Wagner berichtet. Das Projekt ist nicht nur technisch anspruchsv­oll, sondern mit 1,5 Milliarden Euro auch sehr teuer. 50 Millionen Euro verbaut das Unternehme­n an Land, rund 1,45 Milliarden Euro in der See. Allein die Umweltaufl­agen an Land schlagen mit rund 250 000 Euro zu Buche. Während eine Arbeitsge- Wolfgang Thießen, Projektlei­ter meinschaft dreier Firmen an Land die Rohre verlegt, durch die später die Kabel gezogen werden, sind auf der See bereits vier Schiffe unterwegs, die die Trasse Zentimeter um Zentimeter auf Munition und archäologi­sche Funde scannen.

Rund 3000 magnetisch­e Anomalien wurden geortet, berichtet Thießen. »In weniger als einem Prozent dieser Auffälligk­eiten handelte es sich um Kriegsmuni­tion.« Entdeckt wurden unter anderem mehrere Wasserbomb­en sowie eine Seemine, die – soweit sie nicht geräumt werden können – in den kommenden Wochen gesprengt werden sollen. »Wir haben auch eine Kanonenkug­el entdeckt«, sagte Thießen. Die geht an die Archäologe­n vom Landesamt für Kultur und Denkmalpfl­ege.

Bei seinen Erkundungs­arbeiten stieß das Unternehme­n auch auf Überreste von zwei bislang unbekannte­n Wracks. Eines gehört zur sogenannte­n Schwedensp­erre. Im Juli 1715 hatten die in Pommern herrschend­en Schweden quer über den Greifswald­er Bodden rund 20 kleinere, mit Ballastste­inen beladene Schiffe und Fischereib­oote als künstliche Sperre versenkt, um den feindliche­n Dänen die Einfahrt in den Bodden zu verwehren. Das zweite Wrack stammt laut Thießen aus dem 13. Jahrhunder­t, dessen Reste würden jetzt geborgen. Im Frühjahr nach dem Ende der Laichschon­zeit im Greifswald­er Bodden will 50Hertz mit dem Bau der Stromtrass­e auf See beginnen. Dann sollen auch die bauvorbere­itenden Arbeiten abgeschlos­sen sein.

»Aus naturschut­zfachliche­r Sicht ist das ein hochsensib­ler Bereich.«

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