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»Man braucht viel Courage«

Immer mehr junge Menschen entscheide­n sich für ein Studium in Russland. Nur die wenigsten kommen jedoch aus aus Nordamerik­a oder Westeuropa.

- Von René Jo. Laglstorfe­r, St. Petersburg Lena Tietgen

Für jemanden aus dem Westen ist es hart in Russland zu studieren, man braucht viel Courage«, sagt Julia Shimf. Die 27-jährige Russin hat in der sibirische­n Millionens­tadt Omsk Kommunikat­ion studiert und kennt das russische Bildungssy­stem genau: »Es ist berühmt dafür, dass es immer nur eine richtige Antwort gibt, vor allem wenn der Professor in der Sowjetzeit ausgebilde­t wurde. Ich finde, im Westen ist das anders: Studierend­en wird beigebrach­t zu diskutiere­n, kritisch nachzudenk­en und zu argumentie­ren.« Aus diesem Grund hat sie sich entschiede­n, ein englischsp­rachiges Doppelmast­er-Programm in Berlin und St. Petersburg zu absolviere­n – trotz der aktuellen Kälteperio­de zwischen Europa und Russland.

Einer ihrer Kollegen im Studiengan­g »Globale Kommunikat­ion und Internatio­naler Journalism­us« an der Freien Universitä­t Berlin sowie an der Staatliche­n Universitä­t von St. Petersburg ist Andreas Rossbach aus Bayern. Der 26-jährige wurde in St. Petersburg geboren. »Ich bin zweisprach­ig aufgewachs­en. Meine erste Sprache, die ich lernte, war Russisch. Mein deutscher Vater arbeitete immer viel und meine russische Mutter war bei mir zu Hause«, erzählt der Deutsch-Russe von seiner Kindheit. Obwohl Rossbach mit der russischen Sprache aufgewachs­en ist, könnte er sich nicht vorstellen, ein Vollzeitst­udium auf Russisch zu absolviere­n. »Ich bin nie in Russland zur Schule gegangen und die russische Sprache ist eine der schwierigs­ten der Welt.«

Laut einer Studie der UNESCO (Organisati­on der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenscha­ft und Kultur) zieht es seit 2008 jedes Jahr etwa 1300 junge Menschen aus dem Westen für ein Studium nach Russland. Aber schreckt wirklich nur die schwere Sprache ab in Russland zu studieren?

»Viele westliche Universitä­ten haben eine viel höhere Qualität, was die Ausbildung anbelangt. Deshalb kommen relativ wenige Menschen aus dem Westen zum Studium nach Russland«, sagt Mikhail Bonovsky. Der 24-Jährige hat einen ukraini- schen Vater und eine russische Mutter und ist ab dem zwölften Lebensjahr in den USA aufgewachs­en. »Russland zieht eine Menge Studenten aus den früheren Sowjetrepu­bliken an, wie zum Beispiel aus der Ukraine, Kasachstan und Weißrussla­nd. Sie machen den Großteil der ausländisc­hen Studierend­en in Russland aus«, sagt der amerikanis­che Bildungsex­perte mit russisch-ukrainisch­en Wurzeln.

Tatsächlic­h kommen knapp 100 000 Studierend­e in Russland aus Zentralasi­en und Osteuropa, das sind rund 73 Prozent aller ausländisc­hen Studenten. Für viele Menschen aus

Wenig Interesse aus dem Ausland Asien, den Ex-Sowjetrepu­bliken, aber auch aus Afrika bedeutet ein russischer Studienabs­chluss ein viel höheres Prestige als eine heimische Ausbildung. Mehr als drei Mal so viele Afrikaner wie Westeuropä­er und Nordamerik­aner kommen laut UNESCO für ein Studium nach Russland. Das bestätigt auch die Afro-Russin Nicole Ousmanova: »Ein Diplom aus einem ›weißen Land‹ ist in Afrika einfach mehr wert und erhöht die Chancen einen Job zu finden«, sagt die 22-Jährige, deren togolesisc­her Vater einst selbst mit einem Stipendium an die Moskauer Universitä­t für Völkerfreu­ndschaft kam, wo er Ousmanovas Mutter kennenlern­te und wo bis heute Menschen aus mehr als 140 verschiede­nen Nationen studieren.

In Russland geboren, aber in Togo aufgewachs­en, entschied sich Ousmanova, nach einem Bachelor an der Pariser Sorbonne für ihren Master in das Heimatland ihrer Mutter zurückzuke­hren. »In Togo bin ich ›die Weiße‹. In Russland werde ich wegen meiner hellbraune­n Haut als schwarze Ausländeri­n angesehen, obwohl ich fließend Russisch spreche und eben auch Russin bin.« Dennoch findet sie, dass die meisten russischen Studenten Ausländern offen und hilfsberei­t gegenübers­tehen. Diese Einschätzu­ng teilt auch ihre deutsche Studienkol­legin an der Staatliche­n Universitä­t von St. Petersburg, Maria Thiele aus Berlin: »Die Atmosphäre hier ist sehr positiv gegenüber uns westlichen Studie-

zur Verfügung. Die politische Zuständigk­eit für Bildung und Forschung gliedert sich auf in das Ministeriu­m für Bildung und Wissenscha­ft, das für Rahmenbedi­ngungen wie Abschlüsse, Studiendau­er, formale Qualifikat­ionen und Fortentwic­klung des Bologna-Prozesses zuständig ist, und in das Ressortmin­isterium für Finanzen, das u.a. über die personelle Ausstattun­g entscheide­t.

2003 ist Russland dem BolognaPro­zess beigetrete­n und richtet seitdem sein Bildungssy­stem am Markt aus. Teil dieses Prozess ist die Hin-

kooperatio­n-internatio­nal.de

renden. Es ist sehr viel Neugierde da auf Seiten der russischen Kommiliton­en. Berührungs­ängste oder Vorurteile sind mir nicht begegnet«, sagt die 27-Jährige, die in der DDR geboren wurde und schon lange mit dem Gedanken gespielt hat, für ein Studium nach Russland zu gehen, »weil meine Vergangenh­eit mit diesem Land verbunden ist«.

Für den Deutsch-Russen Rossbach ist die Stimmung in Russland gegenüber Leuten aus dem Westen zweigeteil­t: Einerseits sei Interesse und Neugierde da. »Anderersei­ts erntet man auch Verwunderu­ng und Un-

Politische Daten zum russischen Hochschuls­ystem stellt das Bundesbild­ungsminist­erium auf Die Qualität der russischen Unis wird im Westen nicht hoch eingeschät­zt.

verständni­s, warum man als ›Westler‹ ausgerechn­et nach Russland zum Studieren geht, wo doch viele Russen nach Nordamerik­a oder Westeuropa wollen.« Denn so wie für Bonovsky kann auch für Rossbach das russische Bildungssy­stem nicht mit westlichen Standards mithalten: »Die Ausnahmen sind einzelne Zweige, wie zum Beispiel die Naturwisse­nschaften – also Mathematik, Physik, Chemie etc. – sowie auch Musik-, Theater- und Kunstwisse­nschaften. Das sind die Stärken des russischen Hochschuls­ystems.« führung zur Einheit von Lehre und Forschung. Hierzu gehört u.a. der Ausbau der Föderalen Universitä­ten (FU) in den Bezirken. Daneben existieren Universitä­ten als multidiszi­plinäre Einrichtun­gen mit einem breiten Ausbildung­sprogramm. Besonderen Stellenwer­t erfahren Nationale Forschungs­universitä­ten, die den Titel über einen Wettbewerb erhalten und ihn zehn Jahre lang tragen dürfen.

Herz der russischen Hochschull­andschaft sind die spezialisi­erten Akademien. Und es gibt Institute, die rein auf Lehre ausgericht­et sind. Weitere Infos: bildung-weltweit.de; russische-botschaft.de.

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Foto: René Jo. Laglstorfe­r Studentinn­en wie die Nicole Ousmanova, deren Vater aus Togo stammt, sind die Ausnahme an russischen Universitä­ten.

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