Grenzstreit auf Kosten der Umwelt
China vergrößert Riffe und Inseln im Spratly-Archipel. Den Schaden haben Fische und Korallenriffe.
Der Ton im Streit um die von China beanspruchten Spratly-Inseln im Südchinesischen Meer wird schärfer. Nachdem vor kurzem ein Kriegsschiff der USA vor den Spratlys auftauchte, warnte der Chef der chinesischen Marine, schon »ein kleiner Vorfall« könne »zum Krieg führen«. Ähnlich harsch reagierte China auf das Schiedsverfahren um das rohstoffreiche Gebiet im Südchinesischen Meer vor dem Ständigen Schiedshof in Den Haag. »Wir werden nicht teilnehmen und werden das Schiedsverfahren nicht akzeptieren«, sagte Vizeaußenminister Liu Zhenmin in bester Basta-Manier.
China betrachtet das Südchinesische Meer und den darin strategisch günstig liegenden Spratlys-Archipel mit 100 weit verstreuten Riffen, Atollen und kleinen Inseln als sein »ureigenstes Territorium«. Die anderen Anrainerstaaten Japan, Vietnam, Taiwan und die Philippinen erheben allerdings ebenfalls Besitzansprüche auf die von China Nansha genannten Inseln. Durch die Expansionslust der Chinesen fühlen sie sich wirtschaftlich und militärisch bedroht.
Während die Gefahr für den Weltfrieden im Streit um die Spratlys vielleicht doch noch auf diplomatischen Wegen gemildert werden kann, ist der Krieg gegen die maritime Natur rund um den Archipel bereits in vollem Gang. Die Waffen dabei sind Bagger, mit denen sie vom Grund des Meers Zehntausende Tonnen Sand, Gestein und Korallen ausbaggern. Mit dem Material schütten sie Land an den kleinen Inseln auf, machen Riffe zu künstlichen Inseln, um mehr Platz zu schaffen für den Bau von militärischen Anlagen und Häfen in dem umstrittenen Seegebiet. »Das überlebt kein Ökosystem«, klagte der Meeresbiologe Ed Gomez von der Universität der Philippinen unlängst im Wissenschaftsjournal »Science«.
Leidtragende der Bauwut sind Korallenriffe und ihre Bewohner. Oft könnten Riffe sich mit ihren Selbstheilungskräften von Schäden erholen, sagt Spratlys-Expert John McManus. »Aber wenn man Korallenriffe ganz oder teilweise unter Tonnen von Sand und Kies begräbt, ist der Verlust endgültig.« Der Meeresbiologe von der Universität Miami schätzt, dass bereits 13 Quadratkilometer der Riffökosysteme zerstört sind.
Das klingt zunächst nach einem überschaubaren Verlust. In Wirklichkeit aber ist der Schaden auf lange Sicht weit folgenreicher, prophezeien Wissenschaftler. Die Riffe im Spratly-Archipel sind nämlich die Kinderstube der maritimen Fauna des Südchinesischen Meeres. »Meine Studien zeigen, dass die komplexen, sich oft ändernden Strömungen im Südchinesischen Meer schubweise Fischlarven zu den Riffen an den Küsten rund um das Südchinesische Meer bringen«, erläutert Gomez.
Der regelmäßige Fischnachschub ist dringend notwendig. Die Bewohner der Anrainerstaaten sind für ihren Proteinbedarf in erster Linie auf Fisch angewiesen. Überfischung, zerstörerische Fangmethoden mit Dynamit und Zyanid und die Auswirkungen des Klimawandels haben in den letzten Jahrzehnten die Fischbestände im Südchinesischen Meer ohnehin schon arg dezimiert. Bleibt auch noch der Nachschub an Jungfischen aus, ist die Ernährungssicherheit von Millionen Menschen gefährdet. Ein »vertracktes Problem« konstatiert Terry Hughes, Direktor des Centre of Excellence for Coral Reef Studies des Australian Research Council (ARC). »Das wird durch die Militarisierung der Inseln durch China noch vertrackter.«
Die Chinesen weisen selbstredend den Vorwurf der Umweltzerstörungen von sich und behaupten das Gegenteil. Ihre Aktivitäten dienten der Sicherheit der Seefahrt, der Meeresforschung, dem Umweltschutz und der Sicherung des Fischbestands, verteidigte Chinas Außenminister Ouyang Yujing im August gegenüber der staatlichen chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua den Bau von Flughäfen und Häfen in dem »chinesischen Territorium«. Dann betonte Ouyang Yujing: »Wir Chinesen sind mehr als jedes andere Land an ökologischem Umweltschutz der Riffe und Gewässer interessiert.«
Während Wissenschaftler China als Verursacher der Umweltzerstörung beim Namen nennen, verhalten sich die großen Umweltorganisationen, die sonst bei jedem toten Fisch in lautes Wehklagen ausbrechen, merkwürdig ruhig. Der WWF zum Beispiel fördert seit den 1980er Jahren in Zusammenarbeit mit den dortigen Regierungen und Fischereiverbänden die Erforschung des 5,7 Millionen Quadratkilometer großen Korallendreiecks zwischen den Salomonen, den Sundainseln und den Philippinen sowie die Entwicklung regionaler Projekte zur nachhaltigen wirtschaftlichen Nutzung. Zu den Spratlys am Rande des Korallendreiecks aber herrscht Schweigen. »Wir haben dort keine Projekte«, lässt WWF Malaysia lakonisch wissen. WWF Australien teilt auf Anfrage dünnlippig mit, »bei dieser Geschichte nicht helfen zu können«. Niemand legt sich gerne mit China an.
Die Anrainerstaaten benutzen die Umweltzerstörung als ein Argument in ihrem Kampf gegen die chinesische Vereinnahmung des Südchinesischen Meers. Die »ökologische Zerstörung der Riffe« verursache einen wirtschaftlichen Schaden für die Philippinen von 100 Millionen Dollar pro Jahr, klagt das Außenministerium der Philippinen. Das Umweltlamento mutet allerdings ein wenig scheinheilig an. In philippinischen Gewässern bedecken Korallenriffe 35 000 Quadratkilometer. 70 Prozent der Riffe gelten jedoch als Folge destruktiver Fischereimethoden als schwer beschädigt.
Die Spratly-Saga hat jetzt ausgerechnet durch einen chinesischen Wissenschaftler einen zusätzlichen wissenschaftlichen Dreh bekommen. Möglicherweise gehörten der Meeresboden des Südchinesischen Meers und damit die Spratlys geologisch gar nicht zu China. Der Sockel des Kontinentalschelfs an der Küste von China war offenbar ursprünglich nicht Teil des Kontinents. Geologen um Yaoling Niu vom Institut für Ozeanografie in Qingdao meinen, dass vor rund 190 Millionen Jahren eine relativ kleine, bisher unbekannte ozeanische Platte auf die Kante des heutigen Ostasien stieß und dort bei der Subduktion stecken blieb.
Das mag die Philippinen erfreuen. Peking wird aber kaum nur wegen einer jahrmillionenalten tektonischen Laune der Natur seinen Anspruch auf die Spratlys aufgeben.