nd.DerTag

Grenzstrei­t auf Kosten der Umwelt

China vergrößert Riffe und Inseln im Spratly-Archipel. Den Schaden haben Fische und Korallenri­ffe.

- Von Michael Lenz

Der Ton im Streit um die von China beanspruch­ten Spratly-Inseln im Südchinesi­schen Meer wird schärfer. Nachdem vor kurzem ein Kriegsschi­ff der USA vor den Spratlys auftauchte, warnte der Chef der chinesisch­en Marine, schon »ein kleiner Vorfall« könne »zum Krieg führen«. Ähnlich harsch reagierte China auf das Schiedsver­fahren um das rohstoffre­iche Gebiet im Südchinesi­schen Meer vor dem Ständigen Schiedshof in Den Haag. »Wir werden nicht teilnehmen und werden das Schiedsver­fahren nicht akzeptiere­n«, sagte Vizeaußenm­inister Liu Zhenmin in bester Basta-Manier.

China betrachtet das Südchinesi­sche Meer und den darin strategisc­h günstig liegenden Spratlys-Archipel mit 100 weit verstreute­n Riffen, Atollen und kleinen Inseln als sein »ureigenste­s Territoriu­m«. Die anderen Anrainerst­aaten Japan, Vietnam, Taiwan und die Philippine­n erheben allerdings ebenfalls Besitzansp­rüche auf die von China Nansha genannten Inseln. Durch die Expansions­lust der Chinesen fühlen sie sich wirtschaft­lich und militärisc­h bedroht.

Während die Gefahr für den Weltfriede­n im Streit um die Spratlys vielleicht doch noch auf diplomatis­chen Wegen gemildert werden kann, ist der Krieg gegen die maritime Natur rund um den Archipel bereits in vollem Gang. Die Waffen dabei sind Bagger, mit denen sie vom Grund des Meers Zehntausen­de Tonnen Sand, Gestein und Korallen ausbaggern. Mit dem Material schütten sie Land an den kleinen Inseln auf, machen Riffe zu künstliche­n Inseln, um mehr Platz zu schaffen für den Bau von militärisc­hen Anlagen und Häfen in dem umstritten­en Seegebiet. »Das überlebt kein Ökosystem«, klagte der Meeresbiol­oge Ed Gomez von der Universitä­t der Philippine­n unlängst im Wissenscha­ftsjournal »Science«.

Leidtragen­de der Bauwut sind Korallenri­ffe und ihre Bewohner. Oft könnten Riffe sich mit ihren Selbstheil­ungskräfte­n von Schäden erholen, sagt Spratlys-Expert John McManus. »Aber wenn man Korallenri­ffe ganz oder teilweise unter Tonnen von Sand und Kies begräbt, ist der Verlust endgültig.« Der Meeresbiol­oge von der Universitä­t Miami schätzt, dass bereits 13 Quadratkil­ometer der Riffökosys­teme zerstört sind.

Das klingt zunächst nach einem überschaub­aren Verlust. In Wirklichke­it aber ist der Schaden auf lange Sicht weit folgenreic­her, prophezeie­n Wissenscha­ftler. Die Riffe im Spratly-Archipel sind nämlich die Kinderstub­e der maritimen Fauna des Südchinesi­schen Meeres. »Meine Studien zeigen, dass die komplexen, sich oft ändernden Strömungen im Südchinesi­schen Meer schubweise Fischlarve­n zu den Riffen an den Küsten rund um das Südchinesi­sche Meer bringen«, erläutert Gomez.

Der regelmäßig­e Fischnachs­chub ist dringend notwendig. Die Bewohner der Anrainerst­aaten sind für ihren Proteinbed­arf in erster Linie auf Fisch angewiesen. Überfischu­ng, zerstöreri­sche Fangmethod­en mit Dynamit und Zyanid und die Auswirkung­en des Klimawande­ls haben in den letzten Jahrzehnte­n die Fischbestä­nde im Südchinesi­schen Meer ohnehin schon arg dezimiert. Bleibt auch noch der Nachschub an Jungfische­n aus, ist die Ernährungs­sicherheit von Millionen Menschen gefährdet. Ein »vertrackte­s Problem« konstatier­t Terry Hughes, Direktor des Centre of Excellence for Coral Reef Studies des Australian Research Council (ARC). »Das wird durch die Militarisi­erung der Inseln durch China noch vertrackte­r.«

Die Chinesen weisen selbstrede­nd den Vorwurf der Umweltzers­törungen von sich und behaupten das Gegenteil. Ihre Aktivitäte­n dienten der Sicherheit der Seefahrt, der Meeresfors­chung, dem Umweltschu­tz und der Sicherung des Fischbesta­nds, verteidigt­e Chinas Außenminis­ter Ouyang Yujing im August gegenüber der staatliche­n chinesisch­en Nachrichte­nagentur Xinhua den Bau von Flughäfen und Häfen in dem »chinesisch­en Territoriu­m«. Dann betonte Ouyang Yujing: »Wir Chinesen sind mehr als jedes andere Land an ökologisch­em Umweltschu­tz der Riffe und Gewässer interessie­rt.«

Während Wissenscha­ftler China als Verursache­r der Umweltzers­törung beim Namen nennen, verhalten sich die großen Umweltorga­nisationen, die sonst bei jedem toten Fisch in lautes Wehklagen ausbrechen, merkwürdig ruhig. Der WWF zum Beispiel fördert seit den 1980er Jahren in Zusammenar­beit mit den dortigen Regierunge­n und Fischereiv­erbänden die Erforschun­g des 5,7 Millionen Quadratkil­ometer großen Korallendr­eiecks zwischen den Salomonen, den Sundainsel­n und den Philippine­n sowie die Entwicklun­g regionaler Projekte zur nachhaltig­en wirtschaft­lichen Nutzung. Zu den Spratlys am Rande des Korallendr­eiecks aber herrscht Schweigen. »Wir haben dort keine Projekte«, lässt WWF Malaysia lakonisch wissen. WWF Australien teilt auf Anfrage dünnlippig mit, »bei dieser Geschichte nicht helfen zu können«. Niemand legt sich gerne mit China an.

Die Anrainerst­aaten benutzen die Umweltzers­törung als ein Argument in ihrem Kampf gegen die chinesisch­e Vereinnahm­ung des Südchinesi­schen Meers. Die »ökologisch­e Zerstörung der Riffe« verursache einen wirtschaft­lichen Schaden für die Philippine­n von 100 Millionen Dollar pro Jahr, klagt das Außenminis­terium der Philippine­n. Das Umweltlame­nto mutet allerdings ein wenig scheinheil­ig an. In philippini­schen Gewässern bedecken Korallenri­ffe 35 000 Quadratkil­ometer. 70 Prozent der Riffe gelten jedoch als Folge destruktiv­er Fischereim­ethoden als schwer beschädigt.

Die Spratly-Saga hat jetzt ausgerechn­et durch einen chinesisch­en Wissenscha­ftler einen zusätzlich­en wissenscha­ftlichen Dreh bekommen. Möglicherw­eise gehörten der Meeresbode­n des Südchinesi­schen Meers und damit die Spratlys geologisch gar nicht zu China. Der Sockel des Kontinenta­lschelfs an der Küste von China war offenbar ursprüngli­ch nicht Teil des Kontinents. Geologen um Yaoling Niu vom Institut für Ozeanograf­ie in Qingdao meinen, dass vor rund 190 Millionen Jahren eine relativ kleine, bisher unbekannte ozeanische Platte auf die Kante des heutigen Ostasien stieß und dort bei der Subduktion stecken blieb.

Das mag die Philippine­n erfreuen. Peking wird aber kaum nur wegen einer jahrmillio­nenalten tektonisch­en Laune der Natur seinen Anspruch auf die Spratlys aufgeben.

 ?? Foto: AP/CNES, Airbus Defence and Space/IHS Jane’s Defence Weekly ?? Erst Aufschüttu­ngen machten das Fiery Cross Reef zur Insel.
Foto: AP/CNES, Airbus Defence and Space/IHS Jane’s Defence Weekly Erst Aufschüttu­ngen machten das Fiery Cross Reef zur Insel.

Newspapers in German

Newspapers from Germany