nd.DerTag

Im Bus übern Gottesacke­r

Auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg geht vieles, nur Zelten, Skaten und Angeln sind tabu.

- Von Ulli Traub

Der Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg gilt als der größte Parkfriedh­of der Welt: knapp 400 Hektar groß, was etwa 550 Fußballfel­dern entspricht, über 235 000 Grabstätte­n, 700 Schöpfbrun­nen, 2800 Bänke. Darüber hinaus hat er etwas, mit dem man auf Friedhöfen wohl gar nicht rechnet – zwei Buslinien mit 23 Haltestell­en und ein 17 Kilometer langes Straßennet­z, auf dem die Straßenver­kehrsordnu­ng gilt. Mehr als 30 km/h allerdings dürfen auch die Busse nicht fahren. Besuchern, die nur ganz »normale« Friedhöfe kennen, dürften anfangs auch die Verbotssch­ilder am Eingang etwas merkwürdig vorkommen, auf denen mitgeteilt wird, dass hier Zelten genauso wenig erwünscht ist wie InlineSkat­en oder Angeln.

Bis heute prägt der Leitgedank­e des Planers und späteren Friedhofdi­rektors Wilhelm Cordes (18401917) die Anlage. »Ein moderner Friedhof soll nicht eine Stätte der Toten und der Verwesung sein. Freundlich und lieblich soll alles dem Betrachter entgegentr­eten«, formuliert­e er die Vorstellun­gen von seinem Lebenswerk. 1877 wurde die Begräbniss­tätte eröffnet, 38 Jahre blieb er ihr treu und selbstvers­tändlich fand Cordes hier auch seine letzte Ruhe. Seinem Wunsch folgend wurde die Grüne Lunge der Stadt im Stile eines englischen Landschaft­sgartens angelegt: Pflanzunge­n und Wege, Wasserläuf­e und Teiche – alles wurde der Natur nachgeform­t, und alles sollte sich einfügen in ein Gesamtbild. Dazu gehörten nach seinem Verständni­s auch Architektu­r und Skulpturen. 13 Kapellen, drei Feierhalle­n, das von Cordes entworfene neobarocke Ensemble der Verwaltung­sgebäude und der backsteine­rne Koloss des Bestattung­sforums sowie geschätzte 800 Grabskulpt­uren sind Beweise für die kulturhist­orische Bedeutung des Ohlsdorfer Friedhofs.

Das Denkmal für Wilhelm Cordes liegt im Rosengarte­n, der Bestandtei­l eines Naturlehrp­fades ist. Auch so etwas dürfte auf Friedhöfen nicht zur Alltäglich­keit gehören. Regelmäßig bietet der NABU hier naturkundl­iche Wanderunge­n an, auch Vogelbeoba­chtungen, neumodisch Birdwatchi­ng genannt, sind in Ohlsdorf möglich.

Das Grab des Friedhofpl­aners liegt eher versteckt – wie so viele in diesem verwunsche­nen Park. Es sollen sich sogar schon Einheimisc­he auf ihren Wegen zu den Gräbern, die sich

Ein Lesender macht es sich auf dem Grab des Autoren Kurt W. Ceram gemütlich.

oft hinter Hecken und Büschen verstecken, verlaufen haben.

Neben der großzügige­n Parklandsc­haft findet man im nördlichen Teil auch die für Friedhöfe eher streng geometrisc­he Ordnung. Dieser Bereich wurde erst nach dem Tod Wilhelm Cordes ab 1920 nach Plänen von Otto Linne angelegt. Er setzte die Ideen der Reformbewe­gung um, die eine Vereinheit­lichung der Friedhofsu­nd der Grabgestal­tung und die Aufhebung der sozialen Unterschie­de im Tod forderte. Sogar die Teiche sind hier rechtwinkl­ig angelegt.

Der Ohlsdorfer Friedhof ist alles andere als ein Ort des ausschließ­lich stillen Gedenkens. Viele Radler und Jogger schätzen das Ambiente genauso wie Leute, die einfach nur raus ins Grüne wollen. Beim Spaziergan­g unter hohen Wipfeln, über Wiesen und grüne Hügel, vorbei an unzähligen Rhododendr­onbüschen und unterhalte­n von Vogelgezwi­tscher und Froschgequ­ake, begleiten einen keineswegs auf Schritt und Tritt Gedanken an Tod und Vergänglic­hkeit. Der Weg durch diesen »gepflegtes­ten Urwald der Welt«, wie der Schriftste­ller Wolfgang Borchert meinte, dessen schlichtes Grab auf dem »Dichterhüg­el« des Friedhofs liegt, hat vielmehr etwas Tröstliche­s. Man kann Ruhe finden und Kraft tanken. Der Tod und das Leben begegnen sich in Ohlsdorf nicht als Rivalen, sondern auf ganz natürliche Weise – so, wie es sich Wilhelm Cordes gedacht und gewünscht hatte.

Der Friedhof ist auch so etwas wie das Who’s who. Hamburgs Tierparkbe­gründer Carl Hagenbeck liegt hier, sein Grab bewacht ein bronzener Löwe. Die Schauspiel­er Gustaf Gründgens und Ida Ehre ruhen friedlich nebeneinan­der, obwohl sie sich im Leben nicht so recht verstanden haben sollen. Auch Inge Meisel, Hans Albers, Heinz Erhardt und James Last gingen hier ihren letzten Weg.

Schon von Weitem sieht man die gewaltige Stele, die Urnen mit Asche und Erde aus deutschen Konzentrat­ionslagern enthält. Soldatenfr­iedhöfe diverser Nationen sowie Mahnmale für die Bombenopfe­r des Zweiten Weltkriegs oder die Hamburger Choleratot­en von 1892 erinnern an zahlreiche Katastroph­en der Vergangenh­eit.

Wie im Leben bevorzugte­n es vermögende Hamburger auch im Tode etwas glamouröse­r. Freitreppe­n führen auf den »Millionenh­ügel«, riesige Mausoleen, Grabkapell­en und Säulenhall­en, meist im Stil des Historismu­s erbaut, erzählen von vergangene­m Reichtum. Stilgerech­t wird auch verstorben­en Seemännern gedacht – ein großer Anker schmückt ihre Grabanlage. Und auf dem Grab von Kurt W. Ceram, der den Sachbuchkl­assikers »Götter, Gräber und Gelehrte« geschriebe­n hat, der in 28 Sprachen übersetzt fünf Millionen Mal verkauft wurde, sitzt ein Lesender. Auch einen Garten der Frauen gibt es, eine Erinnerung­sstätte für engagierte Bürgerinne­n der Stadt, und ein Grabmal-Freilichtm­useum mit Steinen, die von früheren Friedhöfen stammen. Sogar islamische Gräberfeld­er kann man finden.

In welchem Teil des XXL-Friedhofs man sich auch immer befindet, überall ist er mit Grabskulpt­uren geschmückt. Über dem sich auf dem Gelände befindlich­en »Hamburger Gedächtnis­friedhof«, auf dem nur Gräber ausgezeich­neter Hamburger Persönlich­keiten sind, die keine Angehörige­n haben und deren Grabstätte­n abgelaufen sind, wacht eine weiße Christusst­atue aus Marmor. Man findet Hammonia mit Stadtkrone und Wappen – eine Frauenfigu­r, die Hamburg verkörpern soll – genauso, wie Merkur, den Gott der Kaufleute. Es gibt jede Menge flehende Jünglinge und trauernde Frauengest­alten und noch mehr Engel. Letztere in so reicher Zahl, dass ihnen eine eigene Friedhofsf­ührung gewidmet ist.

Insgesamt wurden auf dem Ohlsdorfer Friedhof 1,4 Millionen Tote beigesetzt. Je länger man über ihn bummelt, desto mehr kann man den Gedanken von Thomas Bernhard zustimmen. Der österreich­ische Schriftste­ller meinte, dass Friedhofbe­suche die nützlichst­en seien, denn »sie dienen wie nichts der Belehrung und der Beruhigung«.

 ?? Foto: Ulli Traub ??
Foto: Ulli Traub

Newspapers in German

Newspapers from Germany