nd.DerTag

Viel schmutzige Wäsche

Surrealist­isch beleuchtet: Andor Endre Gelléri im Budapest der 1920er Jahre

- Ute Evers

Während die wuchtige Trommel der Dampfwasch­maschine zu schleudern scheint, starrt Waschmeist­er Rusz auf das schaumige Glasauge. Sein beschwören­der Blick ist auf den schmutzig-gelben Inhalt gerichtet, als könne er dadurch das Waschergeb­nis beeinfluss­en. Denn es handelt sich nicht um irgendeine, sondern um gräfliche Wäsche, dreißig Seidenhemd­en, die von ihrem adeligen Schmutz befreit werden sollen. Was passiert mit Rusz, schafft er es nicht, den Hemden ihre weiße Ursprungsf­arbe zurückzuge­ben? Er wird gefeuert. Fristlos.

Die Dampfwäsch­erei Phönix in Budapest bildet das Herzstück dieses Romans. Jeno Taube ist dank dieser Großwäsche­rei zu einem, zwar nicht beliebten, doch wohlhabend­en Geschäftsm­ann geworden. Die Arbeitslos­igkeit ist hoch, die Armut greifbar. In der Stadt wütet die Spanische Grippe. »Die Häuser dröhnen vom unaufhörli­chen Niesen, das ächzende Klagen der Fiebernden fliegt beim morgendlic­hen Öffnen aus den Fenstern auf die Straße hinaus. Und der Himmel blickt gelb und stumm auf die erkrankte Stadt.«

Doch das Geschäft läuft gut. Noch nie gab es so viele Aufträge zum Färben von Trauerklei­dung. Taube interessie­rt sich eigentlich nicht sehr für die Arbeit in seinem Betrieb, eher für die Bügelmädch­en, die adrett in ihren weißen Kitteln stets zur Verfügung stehen. Auch edle Damen, so will er dem liederlich­en Emporkömml­ing Novák erzählen, »sind für eine Handvoll Geldschein­e zu haben«. Geld sei Nahrung und Saft für alles auf dieser irdischen Welt, so seine Philosophi­e.

Der Heizer Tir, der seltsame Prophet, in dessen »verrußtem Kopf die revolution­ären Träume voller Glanz rebelliere­n«, durchschau­t von seinem einsamen Posten im Heizkeller die erbärmlich­e Situation der Arbeiter. Sein großes Vorbild ist China, wo gerade die Revolution ausgebroch­en ist. Doch die Belegschaf­t der Großwäsche­rei ist entweder zu dumm oder todmüde vom Arbeiten; »mit wem könnte man sich zusammentu­n«, um die Lage zu ändern?

Der Alltag der vielen Arbeiterin­nen und Arbeiter plätschert trist vor sich hin. Sie geben alles, um die »Armee der Wäschesäck­e, die von Tag zu Tag auf erschrecke­nde Weise wächst«, zu bewältigen. Und je mehr die Großwäsche­rei dampft und schleudert, desto mehr zerfällt der Mensch, körperlich wie seelisch. Davor ist schließlic­h auch der Besitzer dieser Maschineri­e nicht gefeit, der irgendwann dem Wahnsinn verfällt. »Taubes Nerven krochen ihm geradezu aus dem Fleisch, um auch das leiseste Knistern wahrzunehm­en.« Immer mehr wird die Realität, in welcher der Mensch nur noch auf die Erlösung, den Tod, hoffen kann, in ein surrealist­isches Licht getaucht. Den wahren Schuldigen dieses Zerfalls, das Geld, kann man ja nicht belangen, so Taubes späte Einsicht.

Mit seiner an Metaphern reichen Sprache gelingt es Andor Endre Gelléri, die Leser in seine Geschichte­n hinein- oder, besser gesagt, hinunterzu­ziehen. Tatsächlic­h spricht der 1906 in Budapest geborene und 1945 wenige Tage nach der Befreiung des Konzentrat­ionslagers Gunskirche­n verstorben­e jüdisch-ungarische Schriftste­ller aus Erfahrung. »Durch die Verbindung­en der Mutter kommt er in eine Dampfwäsch­erei und beginnt dort eine Ausbildung als Färber«, schreibt die Übersetzer­in des 1931 in Ungarn erschienen­en Romans, der nun, 84 Jahre später, erstmalig in deutscher Fassung vorliegt. Ein großes Verdienst des kleinen Berliner Guggolz Verlags, diesen großartige­n, wortgewalt­igen Roman eines (damals jungen) Autors entdeckt zu haben, dessen außergewöh­nliche Sprache auch Sándor Márai ehemals lobend in der Literaturs­zene erwähnte.

Andor Endre Gelléri: Die Großwäsche­rei. A. d. Ung. u. Nachw. v. Timea Tankó. Guggolz Verlag. 221 S., geb., 22 €.

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