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Ewald Weber berichtet Erstaunlic­hes über das Zusammenle­ben von Pflanzen und Tieren

- Martin Koch

»Nichts in der Biologie ergibt einen Sinn außer im Lichte der Evolution.« Dieser Satz des ukrainisch-amerikanis­chen Zoologen Theodosius Dobzhansky gehört vermutlich zu den am häufigsten gebrauchte­n Zitaten in der biowissens­chaftliche­n Literatur. Leider wird er von vielen Menschen insofern missversta­nden, als sie glauben, dass der Egoismus der Individuen, also der sprichwört­liche Kampf um die natürliche­n Ressourcen, die entscheide­nde Triebkraft der Evolution sei. In Wirklichke­it sorgt neben der individuel­len Konkurrenz auch das Zusammenwi­rken verschiede­ner Organismen für jene schier unendliche Fülle des Lebendigen, die uns heute zu Recht als schützensw­ert gilt.

Oder, wie der an der Universitä­t Potsdam lehrende Schweizer Biologe Ewald Weber sagt: »Erst das Zusammenle­ben, das gegenseiti­ge Beeinfluss­en, die wechselsei­tigen Beziehunge­n zwischen den Arten gestalten die Natur und formen sie so, wie wir sie erleben.« Weber analysiert­e die ökologisch­en Beziehunge­n zwischen Pflanzen und Tieren, die sich keineswegs in einem endlosen Fressen und Gefressenw­erden erschöpfen. Sie künden überdies von der Fähigkeit ungleicher Organismen, sich zum gegenseiti­gen Vorteil eng aneinander zu binden. Biologen sprechen hier auch von Mutualismu­s, als dessen bekanntest­e Form die Symbiose gilt.

Eine solche findet man beispielsw­eise bei Flechten, die aus zwei verschiede­nen Arten be- stehen: einem Pilz und einer Alge. Der Alge fällt die Aufgabe zu, Photosynth­ese zu betreiben und mit Hilfe des Sonnenlich­ts energierei­che organische Verbindung­en herzustell­en. Davon wiederum lebt der Pilz, der seinerseit­s für die Beschaffun­g von Wasser und Nährsalzen sorgt. Außerdem schützt er die Alge vor zu starkem UV-Licht und rascher Austrocknu­ng. »Durch das Zusammensc­hließen bekommt die Flechte eine gänzlich neue Eigenschaf­t«, so Weber. »Sie kann extreme Standorte besiedeln, die weder der Pilz noch die Alge alleine meistern könnten. Die Krusten von Flechten auf nacktem Fels im Hochgebirg­e zeugen davon.«

Mit viel Sachkenntn­is beschreibt Weber weitere mutualisti­sche Beziehunge­n, darunter die Bestäubung von Blütenpfla­nzen durch nektarsamm­elnde Insekten sowie die Verbreitun­g von Pflanzensa­men durch Landtiere. Außerdem beschäftig­t er sich mit den erstaunlic­hen Abwehrmech­anismen, die Pflanzen entwickelt haben, um sich vor Fressfeind­en zu schützen. Beispiel Weißklee. Diese unscheinba­re Pflanze wird gern von Schnecken angefresse­n, denen das aber schlecht bekommt. Denn die Pflanze setzt Blausäure frei, die das gefräßige Tier sofort in die Flucht schlägt. Das mag für manchen nach »höherer« Planung aussehen, es ist aber nichts als – Evolution!

Namentlich die mutualisti­schen Beziehunge­n zwischen Pflanzen und Tieren sind das Resultat einer oft Tausende oder gar Millionen Jahre währenden Entwicklun­g. Werden sie zerstört, wie das heute oft geschieht, verliert die Natur einen Teil ihrer Fähigkeit, sich an veränderte Umweltbedi­ngungen anzupassen. Webers Buch ist mithin mehr als eine lehrreiche Faktensamm­lung für Naturfreun­de. Es ist vor allem ein Plädoyer für einen ganzheitli­chen Umweltschu­tz, der sich nicht nur am Erhalt einzelner Arten orientiert, sondern auch daran, wie diese mit anderen Arten in lebendigen Netzwerken zusammenwi­rken.

EwaldWeber: Der Fisch, der lieber eine Alge wäre. Das erstaunlic­he Zusammenle­ben von Pflanzen und Tieren. C.H. Beck. 245 S., geb., 19,95 €

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