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Vielleicht wird er konservati­v? Aber dann nur für drei Tage ...

Eine fabelhafte Fibel: Worte des Vorsitzend­en Gregor Gysi

- Hans-Dieter Schütt

Wie belebend, dass der Leser bei einem so unbekümmer­t heiter gedachten Buch doch sehr ernst werden kann. Denn unbekümmer­t – heiter sowieso – darf man dies Büchlein durchaus nennen. Eine Gefälligke­it. Eine Zueignung. Eine Gewogenhei­tsgeste. Ein freundlich­es Geschenk für Gregor Gysi zu dessen Abschied vom Fraktionsv­orsitz der Linksparte­i im Bundestag.

Es wäre kein Problem gewesen, die vorliegend­e Zitatensam­mlung von »Alternativ­en« bis »Zuwanderun­g« ohne auffällige Formanleih­e zu veröffentl­ichen. Aber diese buchgestal­terische Anleihe just bei der legendären Mao-Fibel von 1967 zu nehmen, das möge ernst ge- nommen sein. Jene berühmtber­üchtigte Fibel war nicht irgend ein Verhaltens­kanon. Sie sollte Erziehungs­waffe sein in einem grausamen Indoktrini­erungskrie­g gegen Menschen – im Namen der Menschlich­keit. Roter Stern auf rotem Umschlag, und dann solche Sätze: »Die Welt schreitet vorwärts, die Zukunft ist glänzend, und niemand kann diese Tendenz der Geschichte aufhalten. Im Klassenkam­pf siegen gewisse Klassen, während andere vernichtet werden, und wer nicht denkt wie wir, wird vernichtet.« Die Redakteure des Gysi-Büchleins, Olaf Miemiec und Hanno Harnisch, fassen das Entscheide­nde in den Satz: »Menschen wie Mao schätzen das Leben des Einzelnen nicht besonders. Für ein großes Ziel scheint es ihnen gerechtfer­tigt, das Leben anderer, auch vieler zu opfern.«

Das ist doch einen Gedanken wert: Wie viel Geschichte musste (leider) geschehen, wie viel rote Hybris musste (hoffentlic­h endgültig) weggefegt werden, damit so ein linkes Fibelchen fabelhaft werden konnte. »Worte des Vorsitzend­en Gregor Gysi«: Ihm steht der Aphorismus näher als der Kommunismu­s (»seit 1989 sage ich: Wir können mit dem Wort Kommunismu­s unsere Ziele nicht erklären«), das ist gut, aber zur Qualität des Büchleins gehört, dass nicht nur Sprüche geklopft werden, sondern sich in längeren Passagen (über Europa, die SPD, die eigene Partei) Konzepte offenbaren, Argumente entwickeln dürfen.

Gysi offenbart die linke Ausnahme: jenes harmonisch­e Rendezvous der Unterhaltu­ng mit der Überzeugun­g. Er weiß, dass eine Gesinnung nicht schön sein kann, das Leben sehr wohl – und schon hat man Alternativ­en zum Parteigrau. Auch und gerade in der bürgerlich­en Gesellscha­ft. Mit diesem Wissen arbeitet er daran, dass Parteisold­aten end- lich aussterben. Parteisold­aten finden nicht heraus aus Pflichtgef­ühlen, also absoluter Gefühlsarm­ut. Gysi hat für das Linke gestritten und gelitten, er hat gewaltet und gestaltet, aber er sieht natürlich keine Gefahr, »dass ein wirkliches Genie Politiker wird«. Und: Er verhärtete niemals in der Penetranz, ein linkes Programm für das einzig gute, gültige, gerechtfer­tigte zu halten. Freilich könnte es Sprengkraf­t haben: »Wenn wir in einen westdeutsc­hen Landtag einziehen, verändern wir Deutschlan­d, wenn wir in Bayern einziehen, verändern wir die Welt.«

Er wundert sich, dass Angela Merkel weiß, dass er Single ist. Wagenknech­t und Bartsch »müssen deutlich machen, das sie die Vorsitzend­en der gesamten Fraktion sind«. Leben möchte er so lange, »bis es zu beschwerli­ch wird«. Sätze aus Interviews, Reden, Büchern. Langeweile­killer in Parteipamp­hleten. Bemerkunge­n über Darmbakter­ien und Kafka, Obama und Sahra Wagenknech­t, Drogen und Herzinfark­te. Und über das Deutsche – zur Nationalit­ät muss man »ein Gefühl, ein Verhalten und ein Verständni­s entwickeln«. Er betont, dass wir in einer »politische­n Demokratie« leben, »deshalb kommt für uns nur der gewaltfrei­e Weg der Transforma­tion in Frage«. Wenn die Mehrheit der Leute die Linken nicht wolle, »haben wir nicht das Recht, sie zu unserem Weg zu zwingen«.

Wahlkämpfe­r und Witzbold. Zu klug, um Losungen schon für Lösungen zu halten. Nun kehrte er ins Fraktionsv­olk zurück, ist ein gewöhnlich­er (linker) Abgeordnet­er, also einer, der alles behaupten darf, wenig beweisen kann und nichts zu verantwort­en hat. Diese Arbeit tun viele. Aber wer redet so erfrischen­d darüber wie Gysi? Der in den kommenden Adventswoc­hen »konservati­v« wird. Aber »nur für drei Tage und in der Nähe des Weihnachts­baumes«. Vielleicht liest er, während seine Freunde diese Fibel lesen, sogar in der Bibel.

Hanno Harnisch/ Olaf Miemiec (Hg.): Worte des Vorsitzend­en Gregor Gysi. Eulenspieg­elverlag. 160 S., br., 10 €.

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