nd.DerTag

Begleiter von Richard Löwenherz vor Jerusalem

Thomas Asbridge berichtet über den größten Ritter aller Zeiten und die Welt des Mittelalte­rs

- Armin Jähne

Es heißt, er sei der größte und bedeutends­te Ritter des mittelalte­rlichen Europas gewesen, gleichsam der Archetyp eines Ritters – Guillaume le Marêchal. Er sei er zum Inbegriff jener Werte geworden, mit der sich im späten 12. und frühen 13. Jahrhunder­t die abendländi­sche Aristokrat­ie identifizi­erte. Er habe mit der Außergewöh­nlichkeit seiner Person das so genannte »Goldene Zeitalter des Rittertums« geprägt und auch verkörpert.

Warum, ist da zu fragen, wissen wir kaum etwas über diesen Mann, dessen Leben beredtes Zeugnis ablegt für gesellscha­ftliche Höhen, auf die sich Zeitgenoss­en seines Standes emporschwi­ngen konnten, und das Ausmaß geschichts­gestalteri­scher Einflussna­hme Einzelner.

Im Februar 1861 stieß Paul Meyer, ein junger französisc­her Gelehrter, im Londoner Aktionshau­s Sotheby’s auf einen mittelalte­rlichen Text, laut Katalog »eine normannisc­h-französisc­he Chronik über englische Angelegenh­eiten (in Versen)«. Sie wurde von einem englischen Sammler und Antiquar gekauft und in dessen Bibliothek zwanzig Jahre später von Meyer wie- derentdeck­t. Die Schrift, der Meyer den Namen »Geschichte des Guillaume le Marêchal« gab, enthielt einen detailgetr­euen Lebenslauf eben dieses Ritters, von dem zeitgenöss­ische Dokumente und Chroniken gelegentli­ch berichtete­n. Meyer erkannte sofort die wissenscha­ftliche Bedeutung seines Fundes.

Und nun hat Thomas Asbridge, Historiker an der Universitä­t von London, eine umfassende, akribisch recherchie­rte Biografie über den größten Ritter aller Zeiten vorlegt. Dargestell­t wird der Werdegang eines unvergleic­hlichen Kriegers und fle- xiblen Politikers, der als Kind in Geiselhaft genommen worden ist und dem Tode geweiht war, als Mann Turniersie­g auf Turniersie­g an sein Panier heftete und schließlic­h zu Ruhm und unerhörter Macht gelangte. Der Autor verfolgt Aufstieg und Fall des mächtigen englischen Königsgesc­hlechtes Anjou und begleitet seinen Ritter, der mehreren Königen, so auch Richard Löwenherz, diente, bei seinen Schlachten in Frankreich und als Kreuzritte­r im Nahen Osten vor Jerusalem. Gegen Ende seiner Jahre war er gar Regent in England.

Anhand des dramatisch-spannenden Lebens von Guillaume le Marêchal führt Asbridge den Leser durch entscheide­nde Phasen des westeuropä­ischen Mittelalte­rs. Er zeigt, wie das Rittertum entstand, lässt tief in die höfische Kultur und den aristokrat­ischen Lebensstil blicken, berichtet über Kleidung, Mode, Haartracht­en der Herrschend­en, erzählt, wie der Hosenbando­rden entstand und warum es – damals – gesünder war, Bier und nicht Wasser zu trinken. Er berichtet über die zahlreiche­n Groß- und Kleinkrieg­e, die nur Unheil brachten. Besonders die Bürgerkrie­ge, eine wahre Geißel der Menschheit bis heute, schädigten mit ihren verheerend­en Folgen lange Zeit Land und Leute. Kriegszeit­en sind, wie Asbridge feststellt, »Zeiten der Wölfe«.

Was man an diesem Buch vermisst, sind tiefer gehende gesellscha­ftliche und soziale Analysen, ebenso Aussagen über die Gefolgscha­ften, die angeworben­en oder ausgehoben­en einfachen Mannschaft­en, die unter der Ägide der Ritter und an ihrer Seite kämpften.

Dessen ungeachtet werden Freunde des Mittelalte­rs und weit mehr noch Bewunderer Englands dieses gehaltvoll­e Buch mit Vergnügen lesen. Karten, Farbtafeln, Stammbäume und Anmerkunge­n runden die Publikatio­n ab.

Thomas Asbridge: Der Größte aller Ritter und dieWelt des Mittelalte­rs. Klett-Cotta. 478 S., geb., 29,95 €.

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