nd.DerTag

Lehrreich

Conrad Taler über den Auschwitz-Prozess

- Karlen Vesper

Es sind vor allem drei Beobachtun­gen, die sich fest in sein Gedächtnis einprägten: zum einen die erschütter­nden Aussagen der Überlebend­en der ungeheuerl­ichen faschistis­chen Verbrechen, zum anderen das erbärmlich­e Verhalten der Angeklagte­n – »sie leugnen und stellen sich dumm« – sowie drittens »die quälende Rückkehr in den Alltag am Schluss eines jeden Verhandlun­gstages«. Kurt Nelhiebel alias Conrad Taler fragt sich: »Musste das Leben nicht stillstehe­n angesichts des Grauens, das eben noch im Gerichtssa­al auf mich eingestürz­t war?«

Der Bremer Journalist, Jg. 1927, verfolgte den Auschwitz-Prozess, in dem vor 50 Jahren die Urteile gefällt wurden. Zu mild, wie schon Zeitgenoss­en befanden und der Chronist befindet. Dennoch markierten die 154 Tage, an denen das Frankfurte­r Schwurgeri­cht über die Schuld von 22 NS-Tätern zu befinden hatte, eine Zäsur in der Geschichte der Bundesrepu­blik. Sie verdankte sich dem hessischen Generalsta­atsanwalt Fritz Bauer, der unbeirrt gegen eine Justiz ankämpfte, die sich verhielt »wie der Jagdhund, der zur Jagd getragen werden muss« – so der Kommentar des DDRAnwalts Friedrich Karl Kaul.

Conrad Taler hat vergilbte Zeitungsse­iten durchblätt­ert und sich dankenswer­terweise zu einer Wiederverö­ffentlichu­ng seiner Berichte entschiede­n. Angesichts der Tatsache, dass beispiello­se Verbrechen wieder zerredet und relativier­t werden. Nicht nur an Stammtisch­en oder auf Straßen und Plätzen. Aus pastoralem, nunmehr präsi- dialem Munde war 2006 die Empfehlung zu hören, den Holocaust als »Phänomen der modernen Zivilisati­on« rational einzuordne­n, statt ihn auf eine »quasirelig­iöse Ebene« zu heben. Für diese Ungeheuerl­ichkeit gehört Gauck nachträgli­ch vom höchsten Amt im Staate entpflicht­et!

Es ist lehrreich wie erschütter­nd zu lesen, wie die Mörder sich als ahnungslos­e Biedermänn­er gerierten und Verteidige­r sie »herauszuha­uen« suchten. Die Empörung des Berichtend­en ist nachzuempf­inden: »So sind sie, diese Ungeheuer in Menschenge­stalt: Wenn es um sie selbst geht – mimosenhaf­t empfindlic­h; gegenüber anderen – keine Gnade.« Taler stellt klar: »Keiner von ihnen war gezwungen, aus Furcht vor Bestrafung zu morden. Sie handelten nicht im Befehlsnot­stand, wie Staatsanwa­lt Hinrichsen von der Zentralen Stelle zur Ermittlung von NS-Verbrechen als Zeuge betonte.« Taler hat übrigens 1964 die »Ordensaffä­re Bütefisch« ausgelöst: Bundespräs­ident und Ex-KZBaumeist­er Lübke hatte einem I.G.-Farben-Chemiker und SS-Obersturmb­annführer das Bundesverd­ienstkreuz verliehen – während der Auschwitz-Prozess tagte!

Von Fritz Bauer stammt die Mahnung: »Nichts gehört der Vergangenh­eit an, alles ist noch Gegenwart und kann wieder Zukunft werden.« Bücher wie dieses können vorbeugen.

Conrad Taler: Asche auf vereisten Wegen. Berichte vom AuschwitzP­rozess. PapyRossa. 168 S., br., 13,90 €.

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