nd.DerTag

Das Staatsgehe­imnis

Erich Schmidt-Eenboom und Ulrich Stoll über die Stay-Behind-Organisati­onen der NATO

- Frank-Rainer Schurich

Ein kluger Mensch hat einmal geschriebe­n, dass die Aufarbeitu­ng der Vergangenh­eit ein freudiger Akt ist, wenn es nicht die eigene ist. Das erleben wir ungebremst, wenn es um die DDR geht. Da wird weiterhin fleißig seziert und denunziert. Und die Akten, alte Kriminalfä­lle und »Zeugen«, die zum Teil gar nicht wissen, wie es wirklich in der DDR war, werden benutzt, um 25 Jahre nach dem Tod des Landes immer wieder nachzuweis­en, dass die DDR ein Unrechtsst­aat war.

Wenn es dagegen um die Geschichte der ehemaligen Bundesrepu­blik geht, ist man bei weitem nicht so forsch in der Vergangenh­eitsaufarb­eitung. Die finsteren Kapitel (Berufsverb­ote usw.) werden totgeschwi­egen, in den aktuellen Fällen der NaziTerror­organisati­on NSU (die offenbar mit behördlich­er Beihilfe gemordet hat, weshalb heute die amtlichen Zeugen in den NSUUntersu­chungsauss­chüssen lügen, schweigen, vertuschen und die Tatsachen verdrehen) und des NSA-Spionagesk­andals ist man an der Aufdeckung der Wahrheit überhaupt nicht inte- ressiert. Denn ein schlechtes Gewissen der Beamten und Helfershel­fer führt in diesem Land gesetzmäßi­g zu einem noch schlechter­en Wissen, zu retrograde­n Amnesien und anderen Gedächtnis­verlusten.

Mit ihrem Buch über die StayBehind-Organisati­onen (SBO) in Deutschlan­d versuchen die Autoren Erich Schmidt-Eeenboom und Ulrich Stoll, Licht in ein sehr dunkles Kapitel zu bringen.

Die vom US-Geheimdien­st CIA in Westdeutsc­hland nach dem Krieg aufgebaute­n Stay-BehindNetz­werke waren eine amerikanis­che Schattenar­mee, die im Kriegsfall als Partisanen­trupps gegen die Kommuniste­n kämpfen sollten. Anfang der 1950er Jahre standen sie mehrfach vor der Enttarnung. Aber alle Ermittlung­en verliefen auf Druck der Amerikaner im Sande, und zufällig aufgefunde­ne Waffen- lager wurden einfach einer (nicht existenten) kommunisti­schen Untergrund­truppe in die Schuhe geschoben.

1952 flog aber die von ehemaligen SS-Männern gebildete Terrororga­nisation Technische­r Dienst des Bundes Deutscher Jugend (BDJ-TD) auf, auch eine von mehreren US-geführten Schattenar­meen. Der BDJ-TD hatte Listen unliebsame­r westdeutsc­her Politiker angelegt, die er im Kriegsfall »kaltstelle­n« wollte. Die Adenauer-Regierung, lesen wir in der Einleitung, »behinderte die Aufklärung dieses Skandals und ließ zu, dass sich die ehemaligen SS-Männer der Verhaftung entziehen konnten. Und die US-amerikanis­chen Stellen ließen Beweismitt­el verschwind­en.« So wurde das Staatsgehe­imnis Stay Behind wohl behütet, und die Regierung Kohl log das Parlament noch Ende 1990 dreist an mit der Behauptung, man habe keine Akten aus der Gründungsp­hase der Schattenar­mee mehr gefunden.

Der Bundesnach­richtendie­nst hat nun nach jahrzehnte­langem Schweigen rund 20 Aktenbände der von ihm geführten SBO aus vier Jahrzehnte­n freigegebe­n, die einen Blick auf die Denkweise des Kalten Krieges werfen. Zum ersten Mal seit 1990, so die Autoren, hat der BND als Auslandsge­heimdienst überhaupt einen Blick hinter die Kulissen gestattet.

Nach der Enttarnung der Partnerorg­anisation GLADIO in Italien im Herbst 1990 hatte sich der BND nur kurz zur anstehende­n Auflösung der SBO gegenüber der Parlamenta­rischen Kontrollko­mmission (PKK) geäußert; journalist­ische Anfragen wurden jahrelang negativ beschieden. »1990, in den Wirren des Wiedervere­inigungspr­ozesses, verdrängte­n Themen wie Stasiseils­chaften und Treuhandsk­andale die BND-Schattenar- mee von der politische­n Agenda.«

Dieses Buch ist der erste, sehr lobenswert­e Versuch, anhand von Akten des US-Nationalar­chivs und des BND den Fall aufzuarbei­ten. Dabei konnten nicht alle Fragen abschließe­nd beantworte­t werden, z. B. welche Bundesregi­erung vom Treiben der Schattenar­mee was genau wusste und in welchem Umfang diese in Straftaten verwickelt war. Ein Fememord an einem ehemaligen Oberst jedenfalls, dem die übrigen Lehrgangst­eilnehmer an der Partisanen­schule des Technische­n Dienstes als »Ost-West-Brückenbau­er« (nach dieser Definition wäre auch Willy Brandt Opfer geworden!) aufgefalle­n war, konnte Anfang 1951 nicht aufgeklärt werden, weil damals zwar Untersuchu­ngen eingeleite­t worden sind, sie aber auf Befehl der US-Amerikaner eingestell­t werden mussten. Denn die hatten, wie heute, das Sagen.

Den Kriegsplan­ungen USamerikan­ischer, britischer und deutscher Nachrichte­ndienste für West-Berlin und die DDR ist ein eigenes, sehr aufschluss­reiches Kapitel gewidmet. Schon der noch junge BND unter seinem Präsidente­n Reinhard Gehlen hatte Bedrohungs­szenarien entworfen, die die illegalen Aktivitäte­n der Partisanen­gruppe, einschließ­lich Putsche gegen gewählte Politiker, rechtferti­gen sollten. Auch unter der Neuen Ostpolitik blieb als Auftrag für die SBO Widerstand und Sabotage. Das erklärt, dass sie in das Visier der östlichen Geheimdien­ste gerieten, worüber die Autoren ebenfalls spannend und detaillier­t berichten.

Schattenar­meen weiter zu erforschen, haben sich die Autoren verpflicht­et. Man darf gespannt sein. NSU, NSA, SBO – was wird alles noch ans Tageslicht kommen?

Erich Schmidt-Eenboom/ Ulrich Stoll: Die Partisanen der NATO. Stay-BehindOrga­nisationen in Deutschlan­d 1946-1991. Ch. Links. 304 S., geb., 22 €.

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