nd.DerTag

Atemlos zwischen Berlin und New York

Thomas Blubachers exzellente Lebensbesc­hreibung der Ruth Landshoff-Yorck

- Monika Melchert

Sie war eine Schönheit – und zugleich eher androgyn, ja fast knabenhaft. Dunkel, lasziv, ein bisschen verrückt. So ist sie im Berlin der zwanziger Jahre bekannt und beliebt. Geboren am 7. Januar 1904 als Ruth Levy, nennt sie sich bald nach dem Mädchennam­en ihrer Mutter Ruth Landshoff. Von Kindheit an verkehrt sie in Künstlerkr­eisen, kennt Gott und die Welt.

Irgendwie sind sie auch alle miteinande­r verwandt, die jüdischen Familien damals in Berlin: Franz Hessel oder Fritz H. Landshoff sind entfernte Cousins. Im Hause ihres Onkels, des berühmten Verlegers Samuel Fischer, begegnet sie Gerhart Hauptmann, Thomas Mann, Carl Sternheim, Max Reinhardt. Versucht sich in jungen Jahren als Schauspiel­erin, bekommt sogar eine winzige Rolle in Murnaus Film »Nosferatu«. In dieser Zeit porträtier­t Oskar Kokoschka das schillernd­e junge Mädchen. Sie ist jedoch ehrlich genug zu bemerken, dass ihre wahre Begabung auf einem anderen Gebiet liegt: Sie will schreiben. Ab 1927 ist sie als Feuilleton­istin für die Ullstein- Presse präsent, veröffentl­icht in den Zeitschrif­ten »Die Dame« oder »Tempo«, liefert Impression­en von ihren beliebtest­en Reiseziele­n Nizza, Paris, Rom, Salzburg, St. Moritz und Venedig, hat zahlreiche Liebhaber und ist in der Szene der bunte Vogel. Leicht und flott geschriebe­ne Reportagen aus der Gesellscha­ftswelt Berlins sichern ihr Renommee und Auskommen. Sie ist befreundet mit Gustaf Gründgens, Marlene Dietrich (die sie bei Sternberg für die Rolle der Lola im »Blauen En- gel« vorschlägt) und führt Charlie Chaplin bei seinem BerlinBesu­ch 1931 durch die Metropole. Doch der wichtigste, der Lebensfreu­nd, wird für viele Jahrzehnte Francesco von Mendelssoh­n, ihr geliebter Cesco, mit dem sie durch dick und dünn geht. 1930 erscheint im Rowohlt Verlag ihr erster Roman, »Die Vielen und der Eine«, und Ende des Jahres schließlic­h heiratet sie Friedrich-Heinrich Graf Yorck von Wartenburg.

So atemlos, wie sich dieser Abriss liest, wirkt auch die eindrucksv­olle Biografie der Ruth Landshoff-Yorck von Thomas Blubacher. Der Autor hat dazu bisher unbekannte Dokumente und Nachlässe aufgespürt, hat Zeitzeugen befragt und Archive u. a. in den USA ausgewerte­t. Waren bisher schon die Spuren vieler Künstlerin­nen der Avantgarde aus der Zeit der Weimarer Republik verfolgt worden, so fehlte bis heute eine Lebensbesc­hreibung dieser Einen, in deren Existenz sich doch zahlreiche Linien von Berühmthei­ten der Zeit und vor allem auch des bald folgenden Exils kreuzen. Thomas Blubacher hat eine un- glaubliche Zahl von Zeitgenoss­en mit ins Bild geholt, zeigt seine Protagonis­tin in Beziehung zu vielen Größen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts, zeigt sie tatsächlic­h als eine Rastlose, ewig Suchende, die die ganz große Anerkennun­g nie finden wird.

1933 geht sie von der Schweiz aus nach Paris, behält zunächst noch mit ihrem Ehemann eine Wohnung in Berlin, doch als Jüdin und Repräsenta­ntin jener wilden Jahre in Berlin kann sie hier nicht bleiben. Im März 1937 emigriert sie endgültig in die USA, nachdem auch die Ehe geschieden wurde. Sie lebt zuerst in Kalifornie­n, wo Hollywood beinahe sämtliche Emigranten anzieht, dann jedoch seit 1941 dauerhaft in New York. Hier engagiert sie sich vehement gegen die Nazis, schreibt Texte, inszeniert kleine Stücke, spricht deutsche Nachrichte­n im Radio für Voice of America, übersetzt einige Gedichte, darunter Brechts »An die Nachgebore­nen«. Unermüdlic­h versucht Ruth Landshoff-Yorck, sich in der literarisc­hen Szene ihres Exillandes zu etablieren, lebt nur zu oft von der Hand in den Mund, verdient nie genügend Geld, hungert auch.

Im November 1944 hält sie endlich, nachdem das FBI sie längere Zeit misstrauis­ch beobachtet hat, die Einbürgeru­ngsurkunde in Händen. Im selben Jahr war ihr erstes Buch in den USA erschienen, »Sixty to Go«, ein Roman vom Widerstand gegen die Deutschen an der Riviera. Es zählt zu den großen Verdienste­n des Berliner AvivA Verlags, der sich vornehmlic­h um die Frauenlite­ratur der Weimarer Republik und des Exils kümmert, diesen Roman 2014 bereits als vierten der Autorin endlich veröffentl­icht zu haben, diesen sogar erstmals in deutscher Sprache. Zudem erschien soeben die Sammlung »Das Mädchen mit wenig PS«, Feuilleton­s aus den zwanziger Jahren von Ruth LandshoffY­orck.

Auch in den Nachkriegs­jahren in der Bundesrepu­blik findet sie kein Zuhause, gelingt ihr kein Comeback: Zweimal versucht sie, dort Fuß zu fassen. Zwar hat sie einige Lesungen im Rundfunk, so im Studio Frankfurt bei Alfred Andersch, der sie fördert, doch insgesamt gehört sie zu jenen Exilanten, nach deren Schicksal man eher nicht fragt. In der jungen New Yorker Theatersze­ne der sechziger Jahre hingegen gehört sie auf einmal dazu. Nun gilt sie als Vertreteri­n der frühen Avantgarde, kann ihre Erfahrunge­n einbringen, wird verehrt. Da stirbt sie im Januar 1966, unmittelba­r vor einer Aufführung von Peter Weiss’ Marat-Stück, im Theater an einem Herzinfark­t. Ihre Memoiren konnte sie nicht mehr vollenden, vieles andere bleibt ebenfalls Fragment. Doch ihre Lebensgesc­hichte und einige ihrer besten Texte gilt es weiterhin zu entdecken.

Thomas Blubacher: Die vielen Leben der Ruth Landshoff-Yorck. Insel Verlag. 367 S. m. Abb., geb., 24,95 €. Ruth Landshoff-Yorck: Das Mädchen mit wenig PS. Feuilleton­s aus den zwanziger Jahren. Hg. v. Walter Fähnders. AvivA Verlag. 223 S., geb., 18,90 €.

Newspapers in German

Newspapers from Germany