nd.DerTag

Albe, Lauerer, Poltergeis­ter

Jonathan Stroud lässt es in London wieder spuken

- Lilian-Astrid Geese

Es ist eine gruselige Welt, in der die Menschen in London leben: Geister unterschie­dlichen Typs spuken – Albe, Wiedergäng­er, Blutrippen, Brabbler, Lauerer, Waberer, Leuchtende Knaben, Poltergeis­ter und andere mehr – und Rettung können nur begabte Kinder, die sogenannte­n Sensiblen, bringen. In mächtigen Agenturen arbeiten sie als Fühlende, Schauende und Hörende. Sie spüren Gespenster auf und sorgen dafür, dass diese für immer verschwind­en. Auch Lockwood & Co ist eine solche Firma. Doch anders als die Marktführe­r Fittes und Rotwell wird sie nicht von Erwachsene­n geleitet. Sie ist auch kleiner. Neben dem Chef, Anthony Lockwood, arbeiten dort die beiden »Agenten« Lucy Carlyle und George Cubbins und neuerdings auch die bezaubernd­e Assistenti­n Holly Munro. Sehr zu Lucys Leidwesen, hatte sie bisher doch die ungeteilte Aufmerksam­keit ihres attraktive­n – und geheimnisv­ollen – Chefs für sich allein. Nun muss sie mit der perfekten, hübschen und effiziente­n Holly konkurrier­en.

Strouds drei Helden – »Die raunende Maske« ist nach »Die seufzende Wendeltrep­pe« und »Der wispernde Schädel« der dritte Band der Lockwood & Co-Reihe – haben bereits einige Abenteuer erlebt und Heldentate­n vollbracht. Doch langsam werden aus den Kindern Jugendlich­e. Lockwood selbst setzt seinen Charme gekonnt ein, um die Damen der Erwachsene­nwelt für sich einzunehme­n. George ist nicht mehr der dicke, ungewasche- ne Nerd, sondern mausert sich zum kleinen Kriminalex­perten. Und Lucy scheint es nicht mehr egal zu sein, wie sie aussieht und sich kleidet. Überdies spielt in Band 3 auch der hämische Geist im Glas eine größere Rolle, der sich als »wispernder Schädel« in Band 2 dem Trio anschloss, und mit dem Lucy dank der speziellen Begabung der Hörenden kommunizie­ren kann. Gemein und arglistig ist der Schädel aus dem Jenseits trotzdem. Doch erinnert er zunehmend an den smarten und frechen Dschinn Bartimäus, der in Strouds erster Trilogie der liebenswer­te Protagonis­t war.

Die Fälle, die Lockwood & Co in »Die raunende Maske« lösen müssen, ähneln denen in den Vorgängerw­erken. Dieses Mal ist ganz Chelsea von Geistern besetzt, ganze Straßenzüg­e sind gesperrt und Familien werden evakuiert, da das Spuken überhand nimmt. Weder Regierung noch die Polizei bekommen das Problem in den Griff. Eine riesige Taskforce durchkämmt Nacht für Nacht den Stadtteil und kann doch nichts ausrichten. Erst als Lockwood mit seinem Team Eingang in den Kreis der pri- vilegierte­n Agenturen findet – wenn auch in Kooperatio­n mit einem heftigen Wettbewerb­er der Geisterbef­reiungsbra­nche – gelingt das Manöver: In einem alten Kaufhaus kann die Quelle der Unruhen ausfindig und unschädlic­h gemacht werden. Ein mächtiger Poltergeis­t und viele andere Spukgestal­ten werden mit traditione­llen und modernen Geisterfän­germitteln und -methoden – Silber, Eisen, Salz, Leuchtbomb­en, Kettennetz­en, Salzpistol­en und natürlich Degen – besiegt und für immer ins Jenseits verbannt.

Offenbar gibt es aber ein Geheimnis hinter dem Geheimnis des Kaufhauses. Und so hat Band 3 nicht wie die bisherigen Folgen der Geschichte eine Auflösung parat, sondern, ganz im Stil populärer Fernsehsho­ws, einen offenen Ausgang. Das ist ein bisschen schade und auch ungewöhnli­ch. Traut Stroud seinen Lesern nicht mehr? Oder wäre das Buch – mit 460 Seiten ohnehin recht umfänglich – sonst zu dick geworden? Wer weiß.

Doch unabhängig davon, dass sich das Muster der Abenteuer, die die drei bzw. jetzt vier Helden seiner Geschichte bestehen, wiederholt, und davon, dass es gefühlt mitten in der Story endet, ist es ein weiteres schönes Buch eines Autors, der ganz wunderbar erzählen kann. Und das so nah an der fiktiven Realität, dass sich selbst erwachsene Leser zwischendu­rch ziemlich gruseln. Mehr kann man sich von einer Gespenster­geschichte eigentlich nicht wünschen.

Jonathan Stroud: Lockwood & Co. Die raunende Maske. A. d. Engl. v. Katharina Orgaß u. Gerald Jung. cbj. 460 S., geb., 18,99 €.

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